30. Januar 2008
Am Beispiel Großpold verdeutlicht: Bauernkultur verklingt in Siebenbürgen
Rezension des Buches Roland Girtler (Herausgeber): Das letzte Lied vor Hermannstadt. Das Verklingen einer deutschen Bauernkultur in Rumänien. Böhlau Verlag Wien, Köln, Weimar 2007, 351 Seiten, ISBN 978-3-205-77662-8, Preis 29,90 Euro.
Der hier zu besprechende Sammelband enthält Beiträge, die sich fast ausschließlich auf die etwa 30 Kilometer südlich von Hermannstadt gelegene sächsisch-landlerische Gemeinde Großpold beziehen. Verallgemeinernd treffen die Betrachtungen der Verfasser über das „Verklingen einer deutschen Bauernkultur in Rumänien“ zu, wie im Untertitel betont wird. Das wird am Beispiel von Großpold gezeigt. Lebten hier vor dem Zweiten Weltkrieg etwa 2 000 Landler und Sachsen, waren es nach dem großen Exodus, der nach dem Fall des Kommunismus einsetzte, 1994 noch 185 und 2006 nur noch 60 Personen. Zurückgeblieben sind fast nur Alte, deren Durchschnittsalter im letztgenannten Jahr bei etwa 70 lag.
Großpold erfreut sich seit 1990 der besonderen Aufmerksamkeit des Soziologen Roland Girtler vom Institut für Soziologie der Universität Wien, der jedes Jahr zusammen mit Studenten und Freunden anhand von Feldforschungen vor Ort die Umgestaltungen verfolgt und festgehalten hat, die sich innerhalb der deutschen Bevölkerung, vor allem der Landler, vollzogen haben. Die Eindrücke wurden nun in über 30 Beiträgen veröffentlicht, nachdem bereits 1997 ein erster Band unter dem Titel „Die letzten Verbannten“ erschienen ist. Mit „Verbannten“ sind die altösterreichischen Landler gemeint, die wegen ihres evangelischen Glaubens im 18. Jahrhundert nach Siebenbürgen zwangsdeportiert wurden.
Die österreichischen Forscher und Gäste wohnten in Großpold bei Bauernfamilien oder im Gästehaus des Dorfes, begleiteten die Einwohner bei ihren Tätigkeiten in Haus, Hof, Feld, bei Festlichkeiten, im Gottesdienst und die Kinder in der Schule. Ihre teilnehmenden Beobachtungen und Gespräche haben sie in ihrer Forschung verwertet. In dem einfachen Dorfleben stießen sie auf eine Bauernkultur, die es so in Österreich und in westlichen Ländern nicht mehr gibt. Es war für viele ein „nostalgischer Rausch“, und sie sprechen mit Wehmut ihr Bedauern darüber aus, dass diese Bauernkultur als Folge der Globalisierung und des Beitritts Rumäniens in die EU dem Untergang geweiht ist. Diese Betrachtung kann man zwar verstehen, ihr aber nur bedingt zustimmen, denn in Wirklichkeit ist die idealisierte Bauernkultur eine Landwirtschaft auf niedrigem Vorkriegsniveau, die nicht mehr in die moderne Gesellschaft passt. Zudem ist die traditionelle Bauernkultur bereits 1945 untergegangen, als die deutschen Bauern enteignet und Kollektivwirtschaften gegründet wurden.
Die in der Heimat verbliebenen Landlerinnen und Landler, denen das Hauptaugenmerk als verbannte Altösterreicher gilt, fühlen sich von ihren nach Deutschland und Österreich ausgewanderten Landsleuten verraten und alleingelassen. Diese Darstellung ist einseitig, denn die Autoren thematisieren nicht die eigentlichen Ursachen der Aussiedlung der Deutschen aus Rumänien. Die Aussiedler sind mit ihrem Schicksal größtenteils zufrieden und in ihre neue Heimat integriert. Sie fühlen sich aber mit ihrer Stammesheimat verbunden, was die zahlreichen Besuche, auch vieler Jugendlicher, und die Heimattreffen in Großpold belegen: Nicht wenige Familien besitzen noch ihre Häuser in Großpold und verbringen den Urlaub dort. Zur Rückkehr hat sich jedoch nur ein einziger Handwerker entschlossen, der eine Werkstatt zur Herstellung von Metallwaren betreibt.
Mehrere Beiträge weisen auf die Unterstützung der so genannten „Landlerhilfe“ hin, die die „Landlergemeinden“ Großpold, Großau und Neppendorf mittels einer Stiftung durch die Länder Kärnten und Oberösterreich erhalten. Diese Hilfe umfasst Altenpflege, medizinische Betreuung, Lebensmittellieferungen, Hilfsleistungen für die Schulen und Internate, Unterstützung mit Saatgut und landwirtschaftlichen Maschinen, Betreuung durch Zivildienstleister, Sozialarbeiter und Hilfslehrer.
In Großpold gibt es zwar eine deutsche Schulabteilung, aber kaum deutsche Schüler, pro Klasse bloß ein bis zwei Kinder, die aus einem deutschsprechenden Elternhaus kommen. Darunter befinden sich auch Kinder der Nachbargemeinden, die in einem Internat untergebracht sind. Die rumänischen Schüler, die die Schule besuchen, versprechen sich von der Erlernung der deutschen Sprache bessere Berufschancen.
Großpold zählt zu den wenigen Gemeinden, die einen evangelischen Pfarrer haben, der auch die Nachbargemeinden bereut. Die österreichischen Forscher kamen auch mit rumänischen und zigeunerischen Bewohnern in Kontakt. In ihrem Buch weisen sie auf die neuen Beziehungen hin, die sich zwischen den deutschen und anderssprachigen Dorfbewohnern herausgebildet haben, auf deren Hilfe die Deutschen vermehrt angewiesen sind.
Im Zusammenhang mit der jetzt in Deutschland geführten Diskussion über die Resozialisation von straffälligen und kriminellen Jugendlichen sei auf das RO-GER (ROmania-GERmania)-Projekt hingewiesen, das in Großpold experimentiert wird. Die Jugendhilfeeinrichtung des Uckermärkischen Berufsbildungsvereins in Rumänien betreut Jugendliche, die von deutschen Gerichten verurteilt wurden. Statt Jugendknast wird ihnen durch Leben und Arbeiten in einer anders gearteten Welt in Rumänien eine Resozialisierungschance zwecks Wiedereingliederung in die deutsche Gesellschaft geboten. Die Jugendlichen werden von einem deutschen Sozialarbeiter begleitet und betreut. Im Buch wird über einen Berliner Hooligan der rechten Szene von 2005 berichtet. Die Dorfbewohner beteiligen sich bereitwillig und aktiv am Projekt, das bisher leider keine positive Bilanz erbrachte. Die Resozialisierungsmaßnahmen wurden auch auf andere Ortschaften in Siebenbürgen ausgedehnt, wie am 10. Januar dieses Jahres in einer Reportage des ZDF-Auslandsjournals zu sehen war. Die Jugendlichen werden dabei Gastfamilien zugeteilt, die dafür eine Aufwandsentschädigung erhalten.
Der Sammelband „Das letzte Lied vor Hermannstadt“ beschreibt, das sei schlussfolgernd festgestellt, das gegenwärtige Dorfleben in Großpold aus der Sicht von österreichischen Soziologen und Sozialarbeitern, die meistens von ihrem Aufenthalt in Siebenbürgen schwärmen und ihn als eine Art Urlaub etwas idealisiert betrachten. Ihre nüchterne Bilanz ergibt aber, dass die letzten Lieder von Landlern und Sachsen in Siebenbürgen verklingen.
Großpold erfreut sich seit 1990 der besonderen Aufmerksamkeit des Soziologen Roland Girtler vom Institut für Soziologie der Universität Wien, der jedes Jahr zusammen mit Studenten und Freunden anhand von Feldforschungen vor Ort die Umgestaltungen verfolgt und festgehalten hat, die sich innerhalb der deutschen Bevölkerung, vor allem der Landler, vollzogen haben. Die Eindrücke wurden nun in über 30 Beiträgen veröffentlicht, nachdem bereits 1997 ein erster Band unter dem Titel „Die letzten Verbannten“ erschienen ist. Mit „Verbannten“ sind die altösterreichischen Landler gemeint, die wegen ihres evangelischen Glaubens im 18. Jahrhundert nach Siebenbürgen zwangsdeportiert wurden.
Die österreichischen Forscher und Gäste wohnten in Großpold bei Bauernfamilien oder im Gästehaus des Dorfes, begleiteten die Einwohner bei ihren Tätigkeiten in Haus, Hof, Feld, bei Festlichkeiten, im Gottesdienst und die Kinder in der Schule. Ihre teilnehmenden Beobachtungen und Gespräche haben sie in ihrer Forschung verwertet. In dem einfachen Dorfleben stießen sie auf eine Bauernkultur, die es so in Österreich und in westlichen Ländern nicht mehr gibt. Es war für viele ein „nostalgischer Rausch“, und sie sprechen mit Wehmut ihr Bedauern darüber aus, dass diese Bauernkultur als Folge der Globalisierung und des Beitritts Rumäniens in die EU dem Untergang geweiht ist. Diese Betrachtung kann man zwar verstehen, ihr aber nur bedingt zustimmen, denn in Wirklichkeit ist die idealisierte Bauernkultur eine Landwirtschaft auf niedrigem Vorkriegsniveau, die nicht mehr in die moderne Gesellschaft passt. Zudem ist die traditionelle Bauernkultur bereits 1945 untergegangen, als die deutschen Bauern enteignet und Kollektivwirtschaften gegründet wurden.
Die in der Heimat verbliebenen Landlerinnen und Landler, denen das Hauptaugenmerk als verbannte Altösterreicher gilt, fühlen sich von ihren nach Deutschland und Österreich ausgewanderten Landsleuten verraten und alleingelassen. Diese Darstellung ist einseitig, denn die Autoren thematisieren nicht die eigentlichen Ursachen der Aussiedlung der Deutschen aus Rumänien. Die Aussiedler sind mit ihrem Schicksal größtenteils zufrieden und in ihre neue Heimat integriert. Sie fühlen sich aber mit ihrer Stammesheimat verbunden, was die zahlreichen Besuche, auch vieler Jugendlicher, und die Heimattreffen in Großpold belegen: Nicht wenige Familien besitzen noch ihre Häuser in Großpold und verbringen den Urlaub dort. Zur Rückkehr hat sich jedoch nur ein einziger Handwerker entschlossen, der eine Werkstatt zur Herstellung von Metallwaren betreibt.
Mehrere Beiträge weisen auf die Unterstützung der so genannten „Landlerhilfe“ hin, die die „Landlergemeinden“ Großpold, Großau und Neppendorf mittels einer Stiftung durch die Länder Kärnten und Oberösterreich erhalten. Diese Hilfe umfasst Altenpflege, medizinische Betreuung, Lebensmittellieferungen, Hilfsleistungen für die Schulen und Internate, Unterstützung mit Saatgut und landwirtschaftlichen Maschinen, Betreuung durch Zivildienstleister, Sozialarbeiter und Hilfslehrer.
In Großpold gibt es zwar eine deutsche Schulabteilung, aber kaum deutsche Schüler, pro Klasse bloß ein bis zwei Kinder, die aus einem deutschsprechenden Elternhaus kommen. Darunter befinden sich auch Kinder der Nachbargemeinden, die in einem Internat untergebracht sind. Die rumänischen Schüler, die die Schule besuchen, versprechen sich von der Erlernung der deutschen Sprache bessere Berufschancen.
Großpold zählt zu den wenigen Gemeinden, die einen evangelischen Pfarrer haben, der auch die Nachbargemeinden bereut. Die österreichischen Forscher kamen auch mit rumänischen und zigeunerischen Bewohnern in Kontakt. In ihrem Buch weisen sie auf die neuen Beziehungen hin, die sich zwischen den deutschen und anderssprachigen Dorfbewohnern herausgebildet haben, auf deren Hilfe die Deutschen vermehrt angewiesen sind.
Im Zusammenhang mit der jetzt in Deutschland geführten Diskussion über die Resozialisation von straffälligen und kriminellen Jugendlichen sei auf das RO-GER (ROmania-GERmania)-Projekt hingewiesen, das in Großpold experimentiert wird. Die Jugendhilfeeinrichtung des Uckermärkischen Berufsbildungsvereins in Rumänien betreut Jugendliche, die von deutschen Gerichten verurteilt wurden. Statt Jugendknast wird ihnen durch Leben und Arbeiten in einer anders gearteten Welt in Rumänien eine Resozialisierungschance zwecks Wiedereingliederung in die deutsche Gesellschaft geboten. Die Jugendlichen werden von einem deutschen Sozialarbeiter begleitet und betreut. Im Buch wird über einen Berliner Hooligan der rechten Szene von 2005 berichtet. Die Dorfbewohner beteiligen sich bereitwillig und aktiv am Projekt, das bisher leider keine positive Bilanz erbrachte. Die Resozialisierungsmaßnahmen wurden auch auf andere Ortschaften in Siebenbürgen ausgedehnt, wie am 10. Januar dieses Jahres in einer Reportage des ZDF-Auslandsjournals zu sehen war. Die Jugendlichen werden dabei Gastfamilien zugeteilt, die dafür eine Aufwandsentschädigung erhalten.
Der Sammelband „Das letzte Lied vor Hermannstadt“ beschreibt, das sei schlussfolgernd festgestellt, das gegenwärtige Dorfleben in Großpold aus der Sicht von österreichischen Soziologen und Sozialarbeitern, die meistens von ihrem Aufenthalt in Siebenbürgen schwärmen und ihn als eine Art Urlaub etwas idealisiert betrachten. Ihre nüchterne Bilanz ergibt aber, dass die letzten Lieder von Landlern und Sachsen in Siebenbürgen verklingen.
Michael Kroner
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Schlagwörter: Rezension, Landler
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Neueste Kommentare
- 30.01.2008, 18:47 Uhr von rio: Also ich würde sagen Westnordwestlich. Und wieso korrigiert niemand einen solch evident krassen ... [weiter]
- 30.01.2008, 09:35 Uhr von Robert: eher westlich von Hermannstadt [weiter]
- 30.01.2008, 06:51 Uhr von schully: "..die etwa 30 Kilometer südlich von Hermannstadt gelegene sächsisch-landlerische Gemeinde ... [weiter]
Artikel wurde 3 mal kommentiert.
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