17. Dezember 2006

Die Honigberger Kapelle - Ein Kleinod siebenbürgischer Kunst

Ein Schlaglicht auf ein wenig bekanntes Kapitel der vorreformatorischen Kunstgeschichte Siebenbürgens wirft die (als 5. Band der Reihe „Kulturdenkmäler Siebenbürgens“ erschienene) Arbeit von Helga Fabritius „Die Honigberger Kapelle. Kunst und Selbstdarstellung einer siebenbürgischen Gemeinde im 15. Jahrhundert“. Erstmals werden Funktion und Bedeutung der im Volksmund wie in der Fachliteratur als „katholisch“ bezeichneten, meist ausgemalten Kapellen anhand des Beispiels Honigberg exemplarisch beleuchtet, die als Teil der Kirchenburgen und Wehrkirchen zwar dokumentiert, aber kaum je gründlich untersucht, geschweige denn monographisch erfasst wurden.
Nach der einleitenden Vorstellung der älteren Literatur sowie einem Überblick zur Geschichte des mittelalterlichen Siebenbürgen widmet sich der erste Hauptteil des Buches dem architektonischen Bestand der Kapelle, deren Erbauung ins ausgehende 13. bzw. beginnende 14. Jahrhundert angesetzt wird. Die ursprünglich zweigeschossige Kapelle wurde im Zuge der Wehrbarmachung der Kirche zu einem Turm mit zwei zusätzlichen Wehrgeschossen aufgestockt. Eine Nutzung als Ratsstube ist bis Anfang des 19. Jahrhunderts belegt, danach diente die Kapelle als Speckturm.

Alttestamentarische Propheten in der südlichen Fensternische der Honigberger Kapelle. Foto: Udo Buhn
Alttestamentarische Propheten in der südlichen Fensternische der Honigberger Kapelle. Foto: Udo Buhn

Spannend ist die Frage nach der ursprünglichen Funktion dieser Mitte der 1990er Jahre restaurierten Kapelle. Aus der Analyse des architektonischen Bestandes und vor dem Hintergrund, dass sich der Honigberger Friedhof bis Mitte des 16. Jahrhunderts innerhalb der Kirchenburg befand, folgert die Autorin, dass es sich um einen Karner, also eine Friedhofskapelle gehandelt haben müsse. Das kellerartige Unter- oder Gruftschoss diente als Ossuarium (eigentliches Beinhaus), in der darüber liegenden ausgemalten Beinhauskapelle wurde bis zur Reformation das Fürbittgedenken für die Verstorbenen abgehalten. Dieser Bautyp war im Bereich der mittelalterlichen römischen Kirche weit verbreitet. Fast jeder Ort mit Begräbnisrecht dürfte über einen Karner verfügt haben. Gehäuft treten zweigeschossige Karnerkapellen innerhalb der Erzdiözese Gran, der die sächsischen Gemeinden auf Königsboden unterstanden, aber auch in Österreich und Süddeutschland auf – Gebiete, zu denen die sächsischen Gemeinden besonders enge Beziehungen unterhielten. Die heute noch erhaltenen Kapellen von Birthälm, Broos Hammersdorf, Heltau, Kirtsch, Mühlbach, Petersberg und Wölz sowie der Mediascher Marienturm gehören zum gleichen Funktionstyp. Die Autorin erwägt für den Honigberger Karner auch einen Zusammenhang mit der zisterziensischen Architektur.

Der Hauptteil der Arbeit behandelt die Ausmalung der Honigberger Kapelle. Das ikonographische Programm der Malerei bestätigt die sepulkrale Funktion. So empfängt den Besucher der Honigberger Kapelle im westlichen Joch eine Zusammenschau von Bildfeldern, die die Vorstellung vom Jüngsten Gericht illustrieren: Weltenrichter und Apostelkollegium, Paradies und Hölle, ergänzend dazu die Parabel von den klugen und törichten Jungfrauen, die Werke der Barmherzigkeit und die Parabel vom armen Lazarus und dem reichen Prasser. Durch die spezifische Themenauswahl aus dem ikonographischen „Pool“ der Bilder mit Bezug zum Weltgericht erhält das Honigberger Bildprogramm eine klar moralisierende Zielsetzung. Sein Lehrprogramm verdichtet sich gleichsam zu einer „predigthaften Ermahnung“ (S. 67), die ihr besonderes Gewicht angesichts der „letzten Dinge“ und des Weltgerichtes bzw. der zweiten Wiederkehr Christi am Ende der Tage erhält.

Eine Überraschung für den siebenbürgischen Kontext hält die Analyse der mariologischen Themen bereit, vor allem des deutlich von der Gestalt Mariens dominierten Bildes von der Geburt Christi, das in eine geometrische Komposition mit acht weiteren Bildfeldern eingeschrieben ist. Die vier inneren Bildfelder, die sich jeweils als Dreieck an das Hauptbild anschließen und auf diese Weise einen Rhombus ergeben, sind aus dem Physiologus, die vier äußeren Dreiecke, die den Rhombus wieder zum Rechteck ergänzen, geben alttestamentliche Szenen wieder, die sich typologisch auf die Jungfräulichkeit Mariens beziehen. Diese Honigberger Darstellung fügt sich nahtlos in eine ganze Serie von Bildern in verschiedenen Kirchen Europas mit gleichem Kompositionsschema („einfache mariologische Komposition“) ein, die die Autorin zum Vergleich heranzieht. Besonders aufschlussreich ist der geistesgeschichtliche Kontext, in dem diese vielteiligen Bilderzusammenstellungen entstanden und ihren Weg ins siebenbürgische Honigberg gefunden haben. Überzeugend argumentiert die Autorin, dass in diese Bilder Gedankengut der Wiener Universitätstheologie des ersten Viertels des 15. Jahrhunderts eingeflossen sei, die vom Dominikaner Franz von Retz geprägt war. Seinem „Defensorium“ zur Beweisführung der jungfräulichen Geburt Mariens liege der gleiche Sinngehalt wie der Bilderzusammenstellung in Honigberg bzw. deren Vorbildern zugrunde. Da die Wiener Universität von siebenbürgischen Studenten bevorzugt wurde, dürfte der Ideentransfer aus Wien über diesen Personenkreis erfolgt sein. – Mit einem weiteren mariologischen Thema, dem Marientod in der Form der letzten Fürbitte Mariens, schlägt der Schöpfer des ikonographischen Programms den Bogen zum Konzept des Gesamtprogramms, dessen Tenor von den Weltgerichtsdarstellungen vorgegeben ist. Die Reihe der Marienbilder gipfelt in der Strahlenmadonna und in der prächtig angelegten Marienkrönung, deren künstlerische Impulse die Autorin in Österreich ortet.

Den szenischen Darstellungen des westlichen Jochs steht die eher statuarische Bildauffassung des östlichen Jochs gegenüber. In den Gewölbefeldern sind Evangelisten und Kirchenväter, auf den Seitenwänden in zwei Registern Apostel und Propheten, jeweils mit Inschriftenbändern, zu sehen. Jedem einzelnen Apostel mit seinem Satz aus dem Glaubensbekenntnis ist ein Prophet mit der entsprechenden Prophetie aus dem Alten Testament zugeordnet.

Von besonderem Interesse ist die Kreuzigungsdarstellung an der Ostwand der Kapelle durch die flankierenden Figurengruppen: rechts das Gleichnis von Pharisäer und Zöllner, das auf Demut und Reue einstimmt, links eine Dreiergruppe mit einem Geistlichen, einem Ritter und einem Bauern als funktionales Ordnungsmodell der mittelalterlichen Ständegesellschaft. In diesem „Ständebild“ spiegelt sich nach Überzeugung der Autorin das Selbstbewusstsein und Selbstverständnis einer dörflichen Gemeinschaft auf Burzenländer Königsboden im 15. Jahrhundert wider: Nicht von ungefähr wird auf die Darstellung der höchsten Repräsentanten des Lehr- und Wehrstandes, nämlich Papst und Kaiser bzw. König, zugunsten eines höheren Klerikers und eines Ritters verzichtet; diesen beiden Ständevertretern steht der festtäglich gekleidete Bauer an feierlicher Repräsentation um nichts nach. Hierarchisch hervorgehoben durch seine unmittelbare Nähe zum Kreuzigungsgeschehen ist der höhere Kleriker. Auch in Verbindung mit dieser Figur dürfte der mittelalterliche Betrachter einen direkten Bezug zu den lokalen Gegebenheiten aus der Tatsache abgeleitet haben, dass der Honigberger Pfarrer in den vierziger Jahren des 15. Jahrhunderts Dechant des Burzenländer Kapitels war. Mit detektivischer Akribie strickt die Autorin ein dichtes Netz von allseitig abgesicherten Indizien, die zu dem Schluss führen, dass es sich bei diesem Kleriker, der als einziger der drei Ständevertreter kniend gegeben wird, um ein Stifterporträt handelt. Konsequent begibt sie sich auf die Suche nach einem Honigberger Pfarrer, der in Wien studiert hat, wo er das theologische Werk des Franz von Retz rezipiert haben dürfte, und später als Kapitelsdechant eine angesehene Stellung innerhalb der Burzenländer Kirchenhierarchie innehatte. Diesem „Anforderungsprofil“ entspricht tatsächlich ein gewisser Antonius de Montemellis, der 1427 an der Wiener Universität immatrikuliert war, als Honigberger Ortspfarrer zwischen 1442 und 1449 nachweisbar ist und gleichzeitig Kapitelsdechant war (1442 - 43 sowie 1447 – 1447). Es ist naheliegend, dass dieser Geistliche nicht nur der Stifter der Kapellenmalerei, sondern auch der Schöpfer des ikonographischen Programms war. In ihm findet nicht nur die damals aktuelle theologische Diskussion, sondern auch die unmittelbare historische Situation, die von der Türkengefahr geprägt war, ihren Niederschlag: In den mit arabischen Schriftzeichen verzierten orientalischen Krügen unterhalb des Weltenherrschers, denen fratzenhafte Dämonen entweichen, ist eine Parallele zu der damaligen Situation zu sehen.

Weitere Kapitel der Arbeit beschäftigen sich mit den Inschriften sowie mit dem Stil der Malereien, wobei es zu einer Scheidung von drei ausführenden Händen – zwei Meistern und einem Gehilfen – kommt. Wertvolle Hilfsmittel finden sich im Anhang: der Katalog der Honigberger Inschriften und der Kapelle im Mediascher Marienturm sowie die Textzusammenstellung zum Credo. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis und ein hilfreiches Register schließen die Arbeit ab.

Die Arbeit von Helga Fabritius – mit der Rezensentin weder verwandt noch verschwägert – ist uneingeschränkt jedem Kenner und interessierten Laien zu empfehlen, der sich mit einem noch wenig bekannten Kapitel der siebenbürgischen Architektur und Malerei näher beschäftigen möchte. Trotz des umfangreichen wissenschaftlichen Apparates (661 Anmerkungen!), der symptomatisch für die Sorgfalt ist, mit der die Autorin jede ihrer Aussagen belegt, ist der Text flüssig und gut lesbar – keine Selbstverständlichkeit für eine Dissertation! Das ansprechende Layout, der sorgfältige Druck (die Abbildungen hätte man sich gelegentlich größer gewünscht) und nicht zuletzt der attraktive Preis sollen als Lese- und Kaufempfehlung noch nachgetragen werden.

Ruth Fabritius


Helga Fabritius: „Die Honigberger Kapelle. Kunst und Selbstdarstellung einer siebenbürgischen Gemeinde im 15. Jahrhundert“, Verlag Janos Stekovics, Dössel 2006, 198 Seiten, zahlreiche, meist farbige Abbildungen. Preis: 19,80 Euro. ISBN 3-89932-117-1).

Schlagwörter: Rezension, Kunst, Kirchen

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