3. Juli 2006

Meisterwerke der klassischen Moderne aus Siebenbürgen

Siebenbürgen, auch Transsilvanien genannt, das „Land jenseits der Wälder“: Unbedarfte assoziieren es hierzulande, wenn sie es nicht mit dem Siebengebirge oder gar mit Sibirien verwechseln, im besten Falle mit dem Beiwort „hinterwäldlerisch“. Wie falsch sie dabei liegen, zeigt zurzeit in Kornwestheim bei Stuttgart eine repräsentative Gemäldesammlung des dortigen Museums im Kleihues-Bau, in der exemplarische Werke der so genannten „klassischen Moderne“ aus Siebenbürgen zur Schau gestellt werden. Vereint sind hier faszinierende Einblicke in eine facettenreiche Bilderlandschaft, die sich durchaus als zugehörig zum definitorischen Kunstgeschehen Europas im 20. Jahrhundert erweist. Die Ausstellung, die am 17. Juni in Anwesenheit u.a. des landsmannschaftlichen Bundesvorsitzenden Volker Dürr eröffnet wurde, ist bis Anfang Oktober zu sehen.
Die Kornwestheimer Ausstellung hat ihre Vorgeschichte. Im Herbst 2004 hatte im sächsischen Freiberg der dortige Arzt Dr. Josef Böhm, der eine ansehnliche Sammlung von Werken siebenbürgischer, vor allem ungarischer und deutscher Maler sein Eigen nennt, in Zusammenarbeit mit dem Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim und dessen Kustos Marius Joachim Tataru eine Ausstellung zum gleichen Themenkreis veranstaltet. Die Idee der Zusammenschau griff Dr. Irmgard Sedler, Leiterin der Städtischen Museen in Kornwestheim, auf. Die Akzente der neuen Ausstellung liegen nicht in erster Linie auf der siebenbürgisch-sächsischen Kunst, sondern diese werden in ihrer Wechselwirkung mit dem Schaffen ungarischer, jüdischer und rumänischer Maler der Kolonie Nagybánya präsentiert. Für diese Konzeption zeichnen Dr. Irmgard Sedler und Marius Tataru. Wichtige Leihgaben aus dem Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim und aus mehreren Privatsammlungen, so u.a. aus der von Dr. Josef Böhm, aber auch von Dr. Christian Phleps, dem Vorsitzenden des Stuttgarter Johannes-Honterus-Vereins, von der Karlsruher Galeristin Emilia Suciu sowie der Schriftstellerin Ruth Eder, der Enkeltochter des bekannten siebenbürgischen Malers Hans Eder. Zusammengekommen sind auf diese Weise, wie die Museumsleiterin bei der Vernissage am 17. Juni wissen ließ, insgesamt 250 Gemälde von deutschen, ungarischen und rumänischen Künstlern aus Siebenbürgen, aus denen 70 Arbeiten für die Ausstellung ausgewählt wurden, die restlichen Gemälde werden im Wechsel ebenfalls gezeigt. So wird dem Besucher ein nahezu lückenloser Rundblick auf die "klassische Moderne" in Siebenbürgen geboten, was anerkennend auch Kornwestheims Ulrich Oberbürgermeister Rommelfanger und der rumänische Generalkonsul Mihai Botorog aus München bei der Eröffnung in ihren Grußworten zu würdigen wussten.
Ausstellungseröffnung in Kornwestheim, von links nach rechts: Ruth Eder, Marius Tataru, Dr. Irmgard Sedler, Generalkonsul Mihai Botorog, Bundesvorsitzender Volker Dürr, am Rednerpult Dr. Ulrich Rommelfanger, Oberbürgermeister von Kornwestheim. Foto: Dr. Peter Mann
Ausstellungseröffnung in Kornwestheim, von links nach rechts: Ruth Eder, Marius Tataru, Dr. Irmgard Sedler, Generalkonsul Mihai Botorog, Bundesvorsitzender Volker Dürr, am Rednerpult Dr. Ulrich Rommelfanger, Oberbürgermeister von Kornwestheim. Foto: Dr. Peter Mann


Die kluge Strukturierung des Schauraums im Museumsbau mit Hilfe von Querwänden sowie die Auswahl der dort gezeigten Bilder, die allesamt genügend Luft zum Atmen haben, belegen das Kunstverständnis und die Erfahrung der Museumsleiterin, die jahrelang erfolgreich im Hermannstädter Brukenthalmuseum tätig war und in Kornwestheim u.a. bereits von November 2003 bis März 2004 eine von Fachkritikern mit überdurchschnittlicher Beachtung wahrgenommene Ausstellung von Werken Henri Nouveaus veranstaltet hatte, des im siebenbürgischen Kronstadt 1901 als Heinrich Neugeboren zur Welt gekommenen Künstlers.

Die Ausstellung, die nun gezeigt wird, nennt sich "Ausbruch aus der Tradition - Malerei der siebenbürgischen Moderne". Der Titel benennt das Spannungsfeld, in dem die bildende Kunst des Landstrichs im Karpatenbogen während der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts entstanden ist und sich zu bewähren hatte. Bis ins späte 19. Jahrhundert war die Malerei Siebenbürgens einem stagnierenden Biedermeier verhaftet geblieben und nur ansatzweise hatte der Hermannstädter Kreis um Fritz Schullerus, Arthur Coulin und Octavian Smigelschi kurz vor der Jahrhundertwende versucht, aus dessen Fesseln auszubrechen, freilich "meist in Anlehnung an den damals fast schon überlebten Naturalismus" etwa eines Wilhelm Leibl, wie es der Kunstkenner Tataru bereits aus Anlass der Freiberger Ausstellung formuliert hatte. Erst die nächsten Malergenerationen, deren Vertreter an den Kunstakademien in München, Rom und Berlin, aber auch in Paris und später in Dresden studierten und danach in den meisten Fällen nach Siebenbürgen zurückkehrten, transponierten ihre Erfahrungen mit den progressiven Tendenzen der europäischen Kunstentwicklung in die siebenbürgische Kunstszene, die dadurch in erneuernde Bewegung geriet. Vorbildlich geschah das beispielsweise in der Malerschule von Nagybánya (Baia Mare/Frauenbach), die von dem in München aktiven Simon Hollósy 1896 gegründet wurde und bis in die späten 1930er Jahre der ungarischen Malerei, und zwar nicht nur der in Siebenbürgen, entscheidende Impulse verlieh und der auch Hans Mattis-Teutsch zeitweilig angehörte.

Die siebenbürgisch-deutschen Künstler gingen einen ähnlichen Weg, auch wenn man in ihrem Falle nicht von einer "Schule" wie der von Nagybánya sprechen kann. Sie alle aber verband mit ihren ungarischen und auch rumänischen Künstlerkollegen ein durchaus spezifisch siebenbürgischer Nachvollzug des europäischen Kunstgeschehens, wie das der bereits zitierte Kunsthistoriker Tataru erkannt hat: Sie waren für alles Neue "zwar aufnahmefähig, aber abwägend" zugleich, sie verinnerlichten die "Entwicklung des bildnerischen Denkens", die in Europa vonstatten ging, "mit charakteristischer Gelassenheit", und "noch in den heftigsten Aussagen" ihrer Produkte klang "ein Ruf zur Ordnung" mit, sie waren, mit nur wenigen Ausnahmen, in jedem ihrer Bilder auf der "Suche nach einem wie auch immer gearteten Gleichgewicht". Ihr "Ausbruch aus der Tradition" erweist sich daher im Rückblick immer auch als ein Mitnehmen von Tradition, nämlich einer spezifischen Denktradition und der in ihr wurzelnden Weltsicht.
Hermann Konnerth: Akt mit gelbem Hut, 1927.
Hermann Konnerth: Akt mit gelbem Hut, 1927.


Die Ausstellung in Kornwestheim verdeutlicht das in vielfältigen Abwandlungen. Auf Schritt und Tritt begegnen dem Besucher Anklänge und Nachklänge der großen europäischen Kunstströmungen des 20. Jahrhunderts in spezifisch gelassener, ordnender Abwandlung. Besonders stark ausgestrahlt hat der Expressionismus auf die siebenbürgischen Künstler, etwa auf Hans Eder. Zu sehen ist das auch an seinen beiden Männerporträts, die in Kornwestheim gezeigt werden: am ausdrucksvollen "Bildnis Rudolf Aronson" (1909) und dem kaum stilleren "Porträt Dr. Weiß" (1923). Wenige Schritte weiter scheint es dem Besucher, als ob etwa Sándor Ziffer seine Landschaft "Das Atelier des Malers Réti in Frauenbach" von 1911 gar nicht in Nagybánya, sondern im Gedankenaustausch mit Gabriele Münter und Wassily Kandinsky in Murnau gemalt habe. Unweit davon nimmt die Neue Sachlichkeit in der "Apfelernte" (1930) des Jószef Klein freundliche Rundungen an und in Hermann Konnerths "Heuhaufen in den Karpaten" von 1923 ist der Fauvismus, der um 1905 der impressionistischen Illusionskunst seine dekorative Flächigkeit entgegengesetzt hatte, bereits auf dem Weg in die Avantgarde, die sich im Konstruktivismus eines Hans Mattis-Teutsch oder in der abstrakten "Landschaft" von 1932 eines Henris Nouveau exemplarisch wiederfindet.

Doch nicht allein die kunsthistorischen Entdeckungen sind es, die den Besucher faszinieren. Es ist schlicht die Schönheit des Kunstvollzugs, der immer wieder den Kenner wie den Liebhaber von malerischer Weltspiegelung und Weltdeutung in sehr vielen der ausgestellten Bildern anspricht. Da sind die "Wäscherinnen am Bach" der Trude Schullerus von 1968 zu sehen, die in ihrer farblichen Ausgewogenheit ländliche Ruhe ausstrahlen, da gibt es das flächige "Selbstbildnis" des Hermann Konnerth von 1911, das in seiner unterkühlten Aufdringlichkeit dramatische Abgründe erahnen lässt, und da darf man Hans Eders "Stillleben Mit Blick auf Kronstadt" von 1927 bestaunen, das in Abstufungen von Rot, Orange und Grün Sonnenreflexe spielen lässt, als ob es gar nicht eine "nature morte", sondern lebendig wäre vor lauter lichtdurchflutetem Sommeratem. Und man stößt auf Fritz Kimms einzigartiges "Portät der Maja Depner" von 1922, die Darstellung eines Mädchens, in dessen Haltung und Blick das nachdenkliche Abschiednehmen von der Kindheit in eins geht mit der suchenden Erwartung dessen, was das Leben bringen mag: eines der anrührendsten Bilder der Ausstellung.

Sie, diese Zusammenschau, zeigt es: Siebenbürgen ist keine malerische Provinz im abfälligen Sinne des Wortes, oder war es zumindest im letzten Jahrhundert nicht. Siebenbürgen war Teil der europäischen Kunst- und Geisteswelt. Dafür haben nicht zuletzt weltoffene Maler aus den Reihen der dort beheimateten Ethnien gesorgt, Deutsche und Ungarn, Juden und Rumänen, deren Werke nun im Kornwestheimer Kleihues-Bau für mehrere Monate vereinigt sind. Ihre unterschiedlichen Schönheiten dürfen neu entdeckt werden.

Schönheiten abgeliefert hat übrigens auch der Pianist Leonhard Westermayr während der Vernissage am Abend des 17. Juni. Er bot Klavierwerke von Albéniz, Chopin, Beethoven, Carl Filtsch, Liszt und Schumann dar und wurde ob seines mitreißenden Spiels von den zahlreich anwesenden Vernissagegästen mit begeistertem Beifall gefeiert. Der musikalische Auftakt verlieh der Ausstellungseröffnung den künstlerischen Glanz, der sich in erfreulich gesichertem Maße auch in den vor Ort versammelten Gemälden findet.

Hannes Schuster


Die Ausstellung "Ausbruch aus der Tradition - Malerei der siebenbürgischen Moderne" ist im Museum im Kleihues-Bau in Kornwestheim, Stuttgarter Straße 93, bis Anfang Oktober, jeweils freitags bis sonntags zwischen 11.00 und 18.00 Uhr, zu besichtigen. Gruppen können Führungen auch an weiteren Wochentagen über die Telefonanschlüsse (0 71 54) 202-496 (Museumsleitung) und (0 71 54) 202-498 (Sekretariat) vereinbaren. Ein umfangreicher Katalog ist für September 2006 geplant.

Schlagwörter: Ausstellung, Malerei

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