4. November 2005

Reinhardt Schuster: Die Kunst ist nicht beliebig

Der international bekannte, seit 1983 in Bonn und Düsseldorf lebende Künstler Reinhardt Schuster zeigt bis zum 11. November seine Öl- und Acrylbilder sowie zauberhaften Blätter in Schwarz-Weiß erstmals in Bayern. Bei der Vernissage am 14. Oktober im Münchner Haus des Deutschen Ostens führte der Publizist und Kunstkritiker Franz Heinz in das Werk des bedeutenden, in siebenbürgisch-sächsischen Kreisen jedoch unterschätzten Malers und Grafikers ein. Die fundierte Einführung wird im Folgenden in gekürzter Form abgedruckt.
"In meinen Bildern ist nichts beliebig", sagt Reinhardt Schuster, und das setzt voraus, dass der Zufall in der Kunst nicht Methode sein kann, und auch, dass sie stimmt. Gerade in der heutigen Kunstszene kann man durchaus auch anderer Meinung sein, die Spontanäität wird gelobt, die Eingebung des Augenblicks, die sich selbst überlassene und sich verselbstständigende unkontrollierte Bildgenesis. Die Gestaltung kann entbehrlich sein, die Idee hinderlich. Was Kunst ist, bestimmt ohnehin der Markt.

Reinhardt Schuster: Die Trompeten von B. 1990, Öl auf Leinwand, 92 x 154 cm. Eines der bedeutsamsten künstlerischen Werke über den Fall der Berliner Mauer. Eines der bedeutendsten Kunstwerke, das den Fall der Berliner Mauer thematisiert.
Reinhardt Schuster: Die Trompeten von B. 1990, Öl auf Leinwand, 92 x 154 cm. Eines der bedeutsamsten künstlerischen Werke über den Fall der Berliner Mauer. Eines der bedeutendsten Kunstwerke, das den Fall der Berliner Mauer thematisiert.

In dieser Ausstellung ist allerdings kein Bild zu finden, das sich einer solchen künstlerischen Freiheit zuordnen ließe. Gewiss entwickelt sich auch bei Reinhardt Schuster das Werk unter der Hand, und es wächst mitunter über das hinaus oder auch von dem hinweg, was als Idee vorgegeben schien. Seine Zeichnungen, von denen hier einige ausgelegt sind, sind das Ergebnis einer Eigendynamik der Linie, die sich verzweigt, verdichtet, annähert, Spiralen oder Bruchstellen bildet. Es scheint endlos viele Möglichkeiten ihrer Führung zu geben, aber für Reinhardt Schuster ist jeweils nur eine Variante künstlerisch zulässig. Er gestaltet, er bildet nicht nach, er malt nicht was er sieht, sondern was ist. Das verleitet nicht zur Negation von Wirklichkeit - die Form bleibt erhalten, sie wird geradezu herausgehoben, aber sie gerät in eine neue Beziehung in einem neuen Umfeld.

Das Düsseldorfer Triptychon enthält mit Spitzgiebel und Rundbogen erkennbare Altstadt-Elemente, aber es geht im Bild nicht um diese und auch nicht um die Ortsgeschichte. Was Schuster hier 1988 zum Malen veranlasst hat, war eine innere Erregung verbunden mit einer äußeren Not, durchaus mit Düsseldorf verbunden, nicht hingegen an sie gebunden. In München unter gleichen Umständen entstanden, hätte es durchaus auch ein Münchner Triptychon sein können. Das gelb herausleuchtende Mittelstück, nachträglich vielleicht aus farblicher Überlegung ergänzend dazugestellt, könnte diese Vermutung unterstützen. Nicht viel anders dürfte es mit dem etwa gleichzeitig entstandenen Spanischen Triptychon sein, obwohl hier Schriftzeichen und Architekturfonnen etwas deutlicher herausgearbeitet sind.

Das zu wissen, muss für den Betrachter des Bildes unerheblich bleiben, es mag hingegen den Zugang zur Kunst Reinhardt Schuster erleichtern, zu ihrer Eigenwilligkeit, Disziplin und Ästhetik. Als Grundtendenz seiner Bilder bezeichnet er den "erkennbaren Inhalt", die Botschaft hingegen ist in der Kunst, wie wir wissen, auch wenn sie vermittelbar ist, nicht unmittelbar. Das könnte vor vorschnellen Zuweisungen warnen. Auch dort, wo der gesellschaftliche Bezug ins Auge springt, zieht es Schuster vor, eher allgemein zu bleiben. "Die Trompeten von B." symbolisieren den Fall der Berliner Mauer, schon das Entstehungsjahr 1990 des Bildes weist darauf hin. "Die Trompeten von B." klagen nicht vordergründig an, verurteilen nicht, sie stellen ohne Pathos und mit verhaltenem Triumph eine sich gesetzmäßig vollziehende Gerechtigkeit dar.

"Schwarzes Kartenspiel mit rotem Zepter", ein 1989 entstandenes Bild, ist für den Kenner der rumänischen Verhältnisse dieses Schicksaljahres besonders leicht lesbar. Was den Kenner privilegiert, kann aber, anders gesehen, auch eingrenzen. Der konkrete Bezug verstellt möglicherweise den Blick auf das allgemein Gültige, verengt die Sicht auf den einen Diktator, obwohl dieser doch nur als Beispiel für jede wie immer geartete majestätische Überheblichkeit dient. Auf gar keinen Fall sollte die konkrete Zuweisung der Botschaft das Bild als solches überdecken, das auch für sich und nicht nur als politisches Manifest wirken will. Reinhardt Schuster ist nicht ein Moralist, der die Welt verbessern will, es wäre denn, es gelänge über den besseren Geschmack. Es ist ein innerer Realitätsbezug, der in die Thematik seiner Bilder einfließt, der unabweisbar ist, aber nicht vorsätzlich geschieht. Der Künstler hatte nicht vor, die Shoa bildhaft zu gestalten, dennoch ist ein Bild mit diesem Titel in der Ausstellung zu sehen. Die schwarzen Balken der Initialen H und A sind uns nicht fremd, und das eingeschlossene schrill-gelbe Dreieck mag an den Judenstern erinnern, der als abwertendes Abzeichen von den gesellschaftlich Ausgestoßenen zu tragen war. Das Thema wuchs während der Arbeit heran, es ergab sich aus dem düsteren Grundton des Bildes und dem bereits genannten inneren Realitätsbezug zu einem Ereignis, das nicht zu verdrängen ist. Schusters "Shoa" moralisiert nicht, aber es entlässt uns nicht aus der Verantwortung für die Unwiederholbarkeit des Geschehenen. Ein Bild, das nicht vorsätzlich, aber noch weniger zufällig entstanden ist.

Reinhardt Schuster im Gespräch mit der Kunsthistorikerin Brigitte Stephani während der Eröffnung seiner Münchner Ausstellung. Foto: Konrad Klein
Reinhardt Schuster im Gespräch mit der Kunsthistorikerin Brigitte Stephani während der Eröffnung seiner Münchner Ausstellung. Foto: Konrad Klein

Zu den Erfahrungen, die Reinhardt Schuster gleich mehrfach in seinem Leben zu machen genötigt war, gehören das Erdulden von Gewalt und die oft nicht weit davon entfernte Not der Bescheidenheit. Gegen die Gewalt setzt er, indem er sie lächerlich macht, das bewährte Mittel des Schwächeren ein, wogegen er die Bescheidenheit mit einem Schuss Heiterkeit auszustatten sucht. Für beides finden sich in seinem Werk hinreichend Hinweise, gelegentlich auch einander gegenüber gestellt, wie in seiner Monumentalarbeit in der Aachener Straße in Düsseldorf, von der in der Münchner Ausstellung einige Details gezeigt werden. Es handelt sich um die Tordurchfahrt eines Luftschutzbunkers aus dem Zweiten Weltkrieg, die schlauchähnlich in einen dahinter sich öffnenden Schulhof führt Die beiden Seitenwände, jeweils 15 Meter lang und 3,25 Meter hoch, sowie die sie verbindende flache Decke sollte, auf Wunsch eines Ratsherrn, künstlerisch ein wenig aufgehellt werden. Reinhardt Schuster, an den dieser Wunsch herangetragen wurde, sagte dazu später: "Es kam mir vor, als hätte ich mich bereits die längste Zeit auf eine solche Aufgabe zubewegt." Er bekam sie. Da sie finanziell nicht ausgestattet war, blieb die künstlerische Konkurrenz zurückhaltend bis abwesend. Und so ist unser siebenbürgisch-sächsischer Meister nun schon seit gut fünf Jahren dabei, für die Stadt Düsseldorf eine kostenfreie Sehenswürdigkeit zu erarbeiten. Die Stadt, heißt es, hat ihre Sorgen, während der Künstler wieder einmal Gelegenheit hat, seine bereits bekannt heitere Bescheidenheit zu üben.

Die gestalterischen Mittel, die Reinhardt Schuster verwendet, sind weder überraschend noch neu. Sämtliche Bildelemente sind uns aus anderen Darstellungen bekannt, er erfindet sie nicht neu, denn alles, was mitzuteilen und zu zeigen ist, bedarf nicht eines neuen Alphabets. Der Künstler kommt mit wenigem Zubehör aus. Tore, Schriftzeichen, züngelnde Bänder, Stufen, sperrige Konstruktionen oder vegetative Formen bestimmen die Bildfläche. Es ist, ließe sich sagen, immer dasselbe, und doch ist es immer anders. Wie ein Baum immer anders ist oder wie jeweils anders der Sonnenuntergang empfunden und nachgestaltet wird. Erklärend fügt Schuster da ein rotes Zepter, dort bunte Trompeten ein - es sind dann aber gerade die Schriftzeichen, die das Nachlesen nicht ermöglichen und damit verdeutlichen, dass alles vorrangig Form ist. Form ohne Tiefe. Die Fläche bestimmt das Bild, und die Fläche bietet sich der Farbe an, die ebenfalls figurative oder abstrakte Form wird, rhythmisch ausgleicht oder bedrohlich zersplittert. So bunt, so bewegt, mitunter sogar explosiv die Bilder auch sein mögen, sie kippen nicht. Sie bleiben ruhig und beherrscht. Schuster sagt dazu: Sie bleiben erträglich. Und damit verbindet sich der höchste Anspruch an sich selbst. Schuster will an seinen Farben gemessen werden, die sorgfältig aufeinander abgestimmt und gegeneinander abgegrenzt sind, nicht verwässern und sich nicht gegenseitig durchdringen und aufweichen. Sie definieren und werten letzthin die Form und bestimmen das Kunstwerk.

Es wird mitunter versucht, die Herkunft von Reinhardt Schusters besonderer Beziehung zu den Farben und für seine ausgeprägt individuelle Auffassung über die Farbe als Gestaltungsprinzip zu entschlüsseln, wobei auf den Kronstädter Hans Mattis-Teutsch zurückgegriffen wird, auf die europäische Avantgarde schlechthin und nicht zuletzt auf die Kunst der Rumänen und ihren unakademischen Umgang mit der Farbe. Man kann gern und nicht ohne Gewinn die Spurensuche mitverfolgen. In der Ausstellung aber dürfen wir das sichtbare Ergebnis einfach gelten und auf uns wirken lassen. Es gibt auch so etwas wie die Kunst des Schauens oder die Stunde des Betrachters, in der wir das, was Geschichte ist und was die Wissenschaft weiß - oder zu wissen vorgibt - unbeachtet lassen. Das Wort hat der Maler, und das Bild war schon immer vorrangig zum Schauen da.

Sehen ist ohne Alternative, und die Ausstellung im Münchner Haus des Deutschen Ostens ist eine Einladung dazu. Nehmen wir uns Zeit für die Bilder von Reinhardt Schuster. Vielleicht finden wir eines, das uns besonders anspricht, und mit dem wir uns ganz persönlich arrangieren. Es kann eine assoziative innere Bewegung sein, die uns anhalten lässt, oder das besondere Blau in einem gewölbten Feld, das uns froh macht. Nirgends stürzt, was heute in der Kunst gängig ist, die Brutalität des Bildes auf den Betrachter zu, nirgends biedert sich der Künstler an. "Wenn etwas zu schön ist, wird es mir verdächtig", bekannte er schon vor vielen Jahren in einem Gespräch mit dem heute in München beheimateten Journalisten und Kunstfreund Heinrich Lauer. Die Jahre gingen hin, der Grundsatz hat sich eher verfestigt. Ich gehöre zu denen, die das mögen.

Franz Heinz

Schlagwörter: Künstler, Ausstellung, Reinhardt Schuster, Brenndorf

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