29. Juli 2011

„Hobbykünstler“ stellen in Stuttgart aus

Im Wechsel von musikalischem und Redebeitrag vollzog sich am 12. Juli das kulturelle Großereignis, wozu die Vernissage der Kunstausstellung im Stuttgarter Haus der Heimat ab 18.00 Uhr geriet: Es waren so viele Kunstliebhaber gekommen, dass die Kapazität des Großen Saales nicht ausreichte und zusätzlich im Foyer bestuhlt werden musste.
Den Begrüßungsreigen eröffneten die Geigerin Brigitte Schnabel und der Pianist Florian Metz mit „Salut d’amour“ von Edward Elgar. Die entzückende Melodie des „Liebesgrußes“ stammt aus dem Jahr 1888. Elgar hatte sie als kleine Gegengabe für ein Gedicht, mit dem ihn seine zukünftige Frau zuvor überrascht hatte, komponiert. In der Interpretation unserer Musiker erwies sich das Salonstück als wahres Juwel.

Seiner Begrüßung in Worten stellte Alfred Mrass, Vorsitzender der Landesgruppe Baden-Württemberg, ein Zitat von Arnold Schönberg voran: „Kunst ist nicht für den Alltag da, / sondern nur für Festtage.“ Zwischen dieser Präambel und dem Schlusssatz: „Obwohl heute Dienstag ist, ist der heutige Tag für uns alle ein Festtag“, spannte er den Bogen, woran die einzelnen Akte der Begrüßung festgemacht werden konnten. So wurden die Kunst liebenden Landsleute insgesamt, die 21 ausstellenden Künstlerinnen und Künstler einzeln begrüßt sowie prominente Gäste namentlich willkommen geheißen. Darunter der Leiter des Hauses der Heimat, Gerhard Niebling, der namhafte Bildhauer Kurtfritz Handel und der Bundeskulturreferent des Verbandes der Siebenbürger Sachsen, Hans-Werner Schuster.

Der Landeskulturreferent des Bundes der Vertriebenen, Albert Reich, schloss sich mit einem Grußwort des Dachverbandes an.
Vernissage zur Ausstellung „Hobbykünstler“ im ...
Vernissage zur Ausstellung „Hobbykünstler“ im Haus der Heimat in Stuttgart. Foto: Hans-Werner Schuster
Zwei weitere Juwelen der Salonmusik sorgten daraufhin für die nötige Zäsur: „Chanson“ aus dem Jahr 1920, das 1923 von seinem Schöpfer, dem amerikanischen Pianisten und Komponisten Rudolf Friml, in „Chansonette“ umbenannt wurde, sowie die „Sérénade“ des französischen Spätromantikers Gabriel Pierné, die in rhythmischem Plauderton daherkam, sich aber auch federnder, tänzerischer Rhythmen bediente.

Einführung in die Ausstellung

Den schwierigsten Part des Abends – „Wie soll man 21 Künstler in knappen 15 Minuten vorstellen, wie auf 77 Kunstwerke eingehen, die in der Vielfalt von Genres, Materialien und Techniken kaum zu toppen sind?“ – hatte Hans-Werner Schuster übernommen. Nach der Begrüßung der Gäste, Gastgeber, Künstler und Veranstalter fuhr er wie folgt fort: „Euch, als Veranstalter begrüße ich nicht nur, sondern beglückwünsche Euch zu dieser Initiative ... Es war ein langwieriges und sicherlich mühseliges Verfahren von der ersten Entscheidung über den Aufruf zur Bewerbung bis zur heutigen Ausstellungseröffnung. Ich weiß – ich ahne –, wovon ich rede, nachdem wir beim Heimattag 2010 in Dinkelsbühl die Ausstellung ,Mehr als ein Hobby‘ gezeigt haben – mit vier Künstlern. Hier sind es 21! Dafür meinen Glückwunsch und meinen Respekt. Es ist eine reife Leistung und es war wohl ein ,Fulltimejob‘. Was für ein Glück, dass Ihr beide, Alfred und Siggi, seit kurzem Rentner seid. Ich weiß, dass Euch Ingrid Augustin und Kurtfritz Handel sowie andere Helfer kräftig unterstützt haben. Trotzdem: Ihr habt Euch als wahre ‚Kuratoren’ erwiesen, habt als ,Kümmerer‘ den Dienst an der siebenbürgisch-sächsischen Kunst wie an unserer Kultur insgesamt besorgt.“

Nachdem Schuster anhand verschiedener Kriterien die Unterscheidung in Künstler und Hobbykünstler hinterfragt hatte, widmete er sich auch der Frage, „ob es sich bei einigen der ausgestellten Exponate um Kunst/Hobbykunst oder Kunsthandwerk handelt? Seien das die Wappenteller von Karin-Agathe Roth (von ihr gibt es auch Acrylbilder), die bemalten Lebkuchen von Heidrun Hubbes (von ihr gibt es auch Kreide- und Pastellgemälde), die Intarsien von Kurt-Hans Brenner, die getriebenen Kupferplastiken von Martin Hedrich (er ist der Einzige, der nur mit Zweitwohnsitz zur Landesgruppe gehört) oder die Quilts von Ilse Salmen.“

Er beantwortete sie exemplarisch anhand der vier Quilts (von engl. quilt = steppen, Steppdecke), Zierdecken oder Wandteppiche, die meist als dreilagiges Patchwork gearbeitet sind. „Man kann nun fragen: ,Flickwerk‘ (nichts anderes bedeutet Patchwork) oder Kunstwerk? Man fragt es gerade wegen der schnoddrigen englischen Sprache. Denn hätte ich sie als ,Textil-Collage‘ bezeichnet, hätte das allein schon die Quilts zu Kunstwerken geadelt. Für deren Qualität und visuelle Ausdrucksstärke dürfte auch sprechen, dass ,Mandala‘ das Faltblatt der Ausstellung ziert. Im Gegenzug kann man einwenden, dass doch gerade das Ornamentale dieses Quilts typisch für Kunsthandwerk ist. Egal welcher Grundhaltung Sie, Freunde Siebenbürgens und Freunde der Kunst, zuneigen, wenden Sie Ihre Aufmerksamkeit dem Quilt ,Herbstblätter‘ von Ilse Salmen zu. Je länger Sie es auf sich wirken lassen, desto mehr wird sich Ihnen die ausgewogene Komposition erschließen, wird Ihnen bewusst, wie souverän – und darin den abstrakten Acrylbildern von Gertrud Schneider ähnlich – Form und Inhalt allein aus Farbe und Fläche erwachsen. Ähnlich beeindruckend die Virtuosität, in der sie mit Fläche und Form im Quilt ,Mansardenfenster‘ Perspektive und Dreidimensionalität erzielt. Auch in diesem wie in weiteren Fällen kann ich nur sagen: ,Mehr als ein Hobby!‘ Und überdies noch so sächsisch. Sächsisch? Nun ja, wir finden gerade in diesen Quilts etwas, das bis auf wenige Ausnahmen (z.B. Gertrud Schneiders und Heidi Ella Kapitels Gemälde oder Dorothea Kartmanns Skulpturen) die hier ausgestellten Werke verbindet: Der eigentliche Schaffensprozess kennzeichnet sich nicht durch fieberhafte Besessenheit oder einen explosiven Ausbruch von Kreativität. So wie Ilse Salmen ihr „Stofflager“ über die Jahre ausbaut, bis sich die für ein Werk passenden Stoffbahnen finden bzw. sie das Passende zusammensucht, jedes Einzelne in Form und dann allmählich zusammenbringt, so sieht man vielen weiteren Werken den bedächtigen aber stetigen Entstehungsprozess an, der den ganzen Künstler, Körper wie Geist, fordert.“
Blick in die Ausstellung siebenbürgischer ...
Blick in die Ausstellung siebenbürgischer Hobbykünstler in Stuttgart. Foto: Hans-Werner Schuster
Alle ausgestellten Werke – erst recht solche Highlights wie die kubistischen Gemälde von Arnold Sienerth und Günter Wolff, die abstrakten Farborgien von Gertrud Schneider oder die Werke von Dorothea Kartmann – hätten im Urteil Schusters nicht nur die Salonmusik, sondern auch einen Salon als angemessenen Ausstellungsraum verdient. Mit dem Lob auf die Erwachsenenbildung im kommunistischen Rumänien und auf das kreative Schaffen sowie mit dem Hinweis, dass Kunst wie auch Schönheit immer auch im Auge des Betrachters entstehen, überließ er das Publikum den Kunstwerken im etwas beengten Ausstellungsraum in der zweiten Etage.

Von der Heiterkeit der Kunst

Das Schmankerl hatten sich Brigitte an der Violine und Florian am Flügel für den Schluss aufbewahrt: Mit Johannes Brahms „Ungarischem Tanz Nr. 6“ in der virtuosen Bearbeitung von Joseph Joachim für Violine und Klavier konnten sie ihr virtuoses Musizieren voll ausleben.

Für seine Danksagung hatte Siegfried Habicher, stellvertretender Landesvorsitzender und Kulturreferent, den Schillerschen Antagonismus „Ernst ist das Leben, heiter ist die Kunst“ zum Ausgangspunkt erkoren: „Indem wir von dieser antithetischen Behauptung ausgehen, haben wir uns einmal mehr für die Heiterkeit entschieden, als wir Anfang des Jahres einen Aufruf an siebenbürgische Hobbykünstler mit Hilfe der Medien verbreiteten. Die Resonanz war beeindruckend: außer den 21(!) hier ausgestellten Künstlern bewarben sich nämlich noch so manche, die entweder zu spät dran waren oder nicht aus dem Ländle stammten. Eine Künstlerin zog ihre Bewerbung zurück, weil die Ausstellungsfläche, die wir anbieten konnten, ihr zu klein war.“

Habicher dankte den Künstlern, allen in der Vorbereitung und bei der Vernissage Mitwirkenden, dem gastgebenden Haus der Heimat, das im Anschluss an die Ausstellung einige Werke in ihrem Schaufenster bis zum 21. August präsentiert, dem Bildhauer Kurtfritz Handel, der nicht nur mit Rat und Tat beistand, sondern am 15. Juli auch eine Führung durch die Ausstellung anbot, und – last but not least – den zahlreichen Kunstliebhabern im Saal.

Siegfried Habicher

Schlagwörter: Ausstellung, Stuttgart, Künstler

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