17. Juli 2009

Kalter Krieg auf Kurzwellen

Nahezu 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs bleibt der Sender Freies Europa noch immer ein beliebtes Gesprächsthema, das nicht enden will. Nahezu jede bekannte rumänische Zeitung, Wochenzeitung oder Zeitschrift nimmt sich regelmäßig dieses Themas an und versucht zu ergründen, welchen Einfluss der Radiosender aus München auf den Ostblock hatte und inwieweit er zum Zusammenbruch des Kommunismus in diesem Teil Europas, letztendlich auch in Rumänien beigetragen hat.
Radio Freies Europa (Radio Europa Liberă) – war es ein Phänomen, war es ein Mittel zur Information, war es ein ständiger Anlass für Mordanschläge, Drohungen, Beschimpfungen und Beschuldigungen seitens der rumänischen Parteipresse und der Securitate, war es ein Faktor der Angst oder auch die letzte Hoffnung für seine Hörer? Diesen Fragen versucht der junge rumänische Regisseur Alexandru Solomon auf den Grund zu gehen.

In seinem Dokumentarfilm „Der Krieg der (Kurz) Wellen“ (Război pe calea undelor) gibt Solomon die Atmosphäre der Angst und Hoffnungslosigkeit in diesem Land wieder, er lässt einzelne, ehemalige Redakteure des Münchner Senders zu Wort kommen und auch Vertreter der damaligen Staatssicherheit, besser als Securitate bekannt, deren ausgesprochenes und vorgegebenes Ziel es war, den Sender zu neutralisieren, sprich ihn mundtot zu machen. In diesem Zusammenhang erinnert der Film daran, dass drei Direktoren der rumänischen Sendeabteilung auf mysteriöse Weise einem Krebsleiden erlagen, ein weiterer leitender Redakteur ebenfalls einem Krebsleiden zum Opfer fiel, nachdem er in seiner Tiefgarage brutal überfallen und mit einer erheblichen Anzahl von Messerstichen liegen gelassen worden war. Ein Redakteur der Musikabteilung wurde im Münchner Stadtteil Schwabing mit einem Schraubenzieher erstochen und die Leiterin des Pariser Studios von RFE vor ihrer Wohnung krankenhausreif geschlagen.

Kurzer Blick in die Geschichte des Senders

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten sich die Großmächte die damalige Welt untereinander in Einflusszonen aufgeteilt. Erinnert sei an den bekannten Zettel, den Churchill Stalin über den Konferenztisch von Jalta schob und worauf er die Einflusszonen auf dem Balkan skizzierte. Da war u.a. vorgesehen, dass Rumänien zu 90 % unter sowjetischen Einfluss geraten solle. Nur die restlichen 10% waren einem westlichen Einfluss vorbehalten. Bei Bulgarien waren es 75% zu 25%, bei Ungarn 50% zu 50%, ebenso bei Jugoslawien, während bei Griechenland die Einflusssphären umgekehrt 90% zu 10 % waren, d.h. in diesem Fall 90% prowestlicher Einfluss. Was dann in Wirklichkeit geschah, ist hinlänglich bekannt, auch die Tatsache, dass Rumänien, unser einstiges Vaterland, zu hundert Prozent dem sowjetkommunistischen Einfluss preisgegeben wurde.

Die Folgen dieses „Handels der Großmächte“ bekamen auch die Siebenbürger Sachsen voll zu spüren, ein Trauma, von dem sie sich bis heute nicht erholt haben. Deportation in die UdSSR, Enteignung von Grund und Boden, Enteignung der Häuser, Zwangskollektivierung u.v.a..m. brachen diesem Volk das Rückgrat, das bis dahin allen Widrigkeiten der Jahrhunderte getrotzt hatte.

Letztendlich gaben sich die USA nach dem erwähnten „Handel“ mit den Sowjets dann Rechenschaft über die List, mit der Stalin die Alliierten über den Konferenztisch von Jalta gezogen hatte, und initiierten die Doktrin der sogenannten „Rollback-Politik“, also des Zurückdrängens des nach Westen strebenden Kommunismus. Dafür beschlossen sie die Gründung von Radio Free Europe und Radio Liberty. Die beiden Sendeanstalten nahmen ihren Betrieb Anfang der 50er Jahre in München auf und strahlten ihre Programme in den jeweiligen Landesssprachen aus: Radio Free Europe für die osteuropäischen Satelittenstaaten und Radio Liberty in 16 Sprachen der ehemaligen Sowjetunion.

Solomon beleuchtet in seinem Film den Einfluss von RFE-Sendungen auf die rumänische Zuhörerschaft und es gelingt ihm, die Atmosphäre der Angst, des Misstrauens und des Zweifelns auf eindrucksvolle Weise wiederzugeben. Einen breiten Raum widmet er den Plänen der Securitate, die vorsahen, wie schon eingangs erwähnt, den Sender und vor allem seine Redakteure mundtot zu machen. „Cold Waves“ ist eine rumänisch-deutsch-luxemburgische Koproduktion (HI Film, GEPPERT PRODUCTIONS, Paul Thiltges Distributions), die bei mehreren internationalen Filmfestivals gezeigt und mit dem Gopo Award 2008, dem Preis der rumänischen Filmindustrie, als bester Dokumentarfilm ausgezeichnet wurde.

Neben Drohungen, Morden und anderen Einschüchterungen gab es einen Bombenanschlag auf das Sendegebäude am Englischen Garten in München, unweit vom Chinesischen Turm gelegen. Alexandru Solomon lässt in seinem Film auch Personen zu Wort kommen, die auch heute offen zugeben, den Auftrag gehabt zu haben, leitende Redakteure der Rumänischen Sendeabteilung physisch zu liquidieren. Einer von ihnen bedauert sogar, dass nur drei Direktoren und zwei Redakteure zu Tode gekommen seien. „Ich hätte mir gewünscht, es wären mehr gewesen“, sagte ein hoher Securitate-General und ehemaliger Chef der rumänischen Auslandsspionage (DIE) in einem Interview mit dem rumänischen Fernsehsender OTV.

Nicht zuletzt kommt der ehemalige Topterrorist „Carlos“ (Ilich Ramirez Sanchez) zu Wort, der in Frankreich wegen verschiedener Morde und Mordanschläge zu lebenslanger Haft verurteilt wurde und seine Strafe in einem Hochsicherheitsgefängnis verbüßt. „Carlos“ soll im Auftrag der Securitate jenen Bombenanschlag auf das Sendegebäude in München verübt haben, der erheblichen Sachschaden anrichtete, doch sein eigentliches Ziel, die Zerstörung der Sendeanlagen, verfehlte. Für diesen Dienst soll ihm Ceaușescu eine Million US-Dollar gezahlt haben.

In seiner wechselvollen Geschichte hat Radio Free Europe nicht nur Ruhmestaten verzeichnen dürfen. So wurde beispielsweise den Redakteuren der ungarischen Sendeabteilung der Vorwurf gemacht, nicht mäßigend auf die ungarischen Aufständischen während der Revolution vom Oktober/November 1956 eingewirkt, sondern im Gegenteil ihnen vergebliche Hoffnungen auf zu erwartende Hilfe aus dem Westen gemacht zu haben.

Trotz dieser bedauerlichen Panne hat der Sender seine primäre Aufgabe, die Durchbrechung des Partei- und Staatsmonopols über die Medien in den jeweiligen Ländern, erfüllt. Das zeigt der Film deutlich auf, und das beweist auch die Zahl der großen Zuhörerschaft. Selbst westliche Medien, die früher kritisch über Radio Free Europe hergezogen, gestehen spät und kleinlaut ein, dass der „Kalte Krieg“ zum Teil am Englischen Garten in München gewonnen wurde.

Hans-Joachim Acker

Die DVD „Cold Waves“ (Război pe calea undelor) enthält drei 52-minütige Episoden sowie 40 Minuten noch unveröffentlichtes Bonusmaterial und eine Fotogalerie. Untertitel in acht Sprachen: Englisch, Deutsch, Französisch, Spanisch, Ungarisch, Tschechisch, Polnisch oder Rumänisch. Preis: 19,90 Euro, zuzüglich 2 Euro Versand, bei Bestellung unter der Adresse: GEPPERT PRODUCTIONS, Gleditschstraße 80, 10823 Berlin, E-Mail: coldwavesdvd [ät] yahoo.de. Bei Bestellungen auf der Homepage von Paul Thiltges Distributions, www.ptd.lu, kostet der Versand 5 Euro.

Schlagwörter: Rezension, DVD, Radio, Kommunismus, Vergangenheitsbewältigung

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