20. Dezember 2007

„Endstation Kanada“: vom Finden einer neuen Heimat

Im Buch „Endstation Kanada“ hält Steve Schatz seine Erinnerungen aus der Zeit der Flucht fest, die ihn und seine Familie nach dem Zweiten Weltkrieg aus der alten Heimat Siebenbürgen in die heutige Heimat Kitchener, Ontario, in Kanada geführt hat. „Aus mehreren sentimentalen Gründen schreibe ich dieses kleine Büchlein“, erklärt Steve Schatz in seinem Vorwort. Es soll zum einen der Vergangenheit gedenken, der Geschichte der Siebenbürger Sachsen sowie der eigenen Geschichte, zum anderen eine kleine Erklärung dafür sein, warum viele Sieben­bürger heute auf der ganzen Welt verstreut leben.
Nach einem kurzen historischen Überblick über die Besiedelung Siebenbürgens mit deutschen Kolonisten aus Luxemburg, dem Rhein­land, dem Gebiet der Mosel und aus Holland, beginnt Schatz mit seinen persönlichen Erin­nerungen. Der Sohn eines Bauern aus Weilau, der am 30. Januar 1934 geboren wurde, musste bereits mit zehn Jahren seine siebenbürgische Heimat verlassen.

Am 12. September 1944 reihte sich Schatz zusammen mit seiner Familie in den Treck der Menschen, der Vieh- und Pferdewägen ein, die sich aus seinem Heimatort Weilau auf die Flucht nach Österreich begaben. Sechs Wochen dauerte die beschwerliche Reise, die besonders von Hunger und Nässe sowie der Angst vor den Tieffliegern und den Bomben­abwürfen geprägt war. Am 23. Oktober kamen die Flüchtlinge in Wiesenfeld/Gölsen, Nieder­öster­reich, an, wo sie verschiedenen Bauern­familien zugeteilt wurden. Sie arbeiteten auf den Höfen der Familien, verdienten sich ihre Speisen und ihren Schlafplatz.
„Transylvania Hofbräu Blaskapelle“ aus Kitchener ...
„Transylvania Hofbräu Blaskapelle“ aus Kitchener unter der Leitung von Steve Schatz beim Heimattag der Siebenbürger Sachsen 2003 in Aylmer, Kanada. Foto: Alfred Löwrick
Im April 1945 begann die zweite Flucht vor der immer näher rückenden Kriegsfront. Die neue Station, die die Familie Schatz nach einem gefährlichen Marsch erreichte, war die Gemein­de Pöndorf in Oberösterreich. Hier wurden die Flüchtlinge in Lager untergebracht, zunächst in Erdhütten mit Dächern aus Brettern, später in ein Barackenlager am Attersee. „Da fingen wir wieder an zu leben“, schreibt Steve Schatz. Mit Hilfe der Amerikaner wurde die Lebensmit­tel­versorgung immer besser, die Flüchtlinge bauten eine Schule, stellten eine Kapelle zu­sam­men, feierten Feste, lachten und tanzten, „so wie es einst daheim war“. Insgesamt zehn Jahre lebte die Familie in Österreich.

Am 11. Mai 1955 reiste Steve Schatz mit seinen Eltern einem neuen Leben entgegen, in Ontario, Kanada. Die Schwestern Kathi und Susi waren bereits einige Jahre zuvor nach Kanada ausgewandert, und so entschloss sich die restliche Familie, ihnen zu folgen. Die Anfangszeit in dem neuen Land war hart und voller Entbehrungen: „Zu dieser Zeit durften die Einwanderer nicht krank sein, damals gab es keine staatliche Versicherung, die den Spitalbesuch bezahlte. Nach einer Geburt mussten die jungen Mütter gleich wieder in die Arbeit zurück, sonst wurden sie entlassen“, schreibt Schatz. Auch für ihn selbst war es schwer, ein neues Leben in dem weiten, wenig besiedelten Land zu beginnen. Da er kein Englisch sprach, fand er auch keine Arbeit in seinem Beruf als Schlosser und musste sich mit Saisontätigkeiten über Wasser halten. Ein starkes Heimweh nach Österreich, nach seinen Freunden aus den Jugendjahren war sein stetiger Begleiter. Doch die Zeiten änderten sich, Steve Schatz lernte die Sprache, bekam immer bessere Arbeitsplätze und baute sich schließlich mit einem eigenen Betrieb eine sichere Existenz auf. „Ich habe mich eingelebt in den verflossenen Jahren und mich an die Weite, Freiheit und den Wohlstand in diesem Land gewöhnt. Ich habe auch hier einen großen Freundeskreis gefunden. Eine Familie mit fünf Kindern und sieben Enkelkindern hat uns Gott gegeben. (...) Heute bin ich hier sehr zufrieden; möchte nirgends mehr hingehen; Kanada ist meine Heimat.“

Die Erinnerungen an das eigene, bewegte Leben, sind mit allgemeinen Informationen zur Geschichte und Kultur der Deutschen in Kanada gespickt, mit der Beschreibung der fünf deutschen Vereine in Kitchener, dem heutigen Hei­mat­ort von Schatz, sowie mit gelungenen Farb­fo­to­grafien, die die Lebensstationen des Sieben­bür­gers aufzeigen. In einem kleinen Büchlein hat Steve Schatz ein Schicksal festgehalten, wie es sicherlich viele Siebenbürger teilen. Sein kleines Schatzkästchen bewahrt nicht nur wertvolle persönliche und familiäre Erinnerungen vor dem Vergessen, sondern schildert auch beispielhaft das Leben unserer Landsleute in Übersee. Für seinen Einsatz für die siebenbürgische Gemeinschaft, vor allem als Gründer und Dirigent der „Transylvania Hofbräu Blaskap­elle“ in Kitchener wurde Steve Schatz vielfach gewürdigt, u.a. 2002 mit dem Goldenen Ehren­wappen der siebenbürgischen Landsmann­schaft in Deutschland.

Sorana Scholtes

Schlagwörter: Kanada, Rezension, Erinnerungen

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Neueste Kommentare

  • 20.12.2007, 09:23 Uhr von rio: Danke, jetzt klappt's auch bei mir, die Farben sind etwas grell, aber ist schon O.K. [weiter]
  • 20.12.2007, 01:35 Uhr von gk: Andere Browser haben die Grafik zwar anstandslos angezeigt - aber anscheinend war die Grafik nicht ... [weiter]
  • 20.12.2007, 01:24 Uhr von rio: Die Grafik "http://www.siebenbuerger.de/bild/zeitung/2007/ms_kanada_hofbraeu2003-4c.jpg" kann nicht ... [weiter]

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