9. Dezember 2015

Mit dem Motorrad in Siebenbürgen: Geschichte einer Freundschaft

Ein Sachse in Siebenbürgen? Klar! Aber ein Westfale? Und was bringt beide zusammen? Im Jahr 2014 ging für mich die Schule zu Ende – nach 42 Jahren als Lehrer. Da ich seit 1989 ein verstärktes Interesse an den ehemaligen Ostblockstaaten empfand, besonders an Landschaften, die von Deutschen besiedelt und geprägt wurden, lag es nicht völlig fern zu sagen: „Ich nehme mir Zeit, ich fahre nach Siebenbürgen. Mit dem Motorrad. Wer weiß, wie lange ich das noch kann.“
Über Tschechien, die Slowakei und Ungarn fuhr ich nach Rumänien, kam u. a. nach Klausenburg, Karlsburg und Hermannstadt. Überall dort traf ich auf deutsche Spuren, ja wurde mehrfach auf der Straße in meiner Sprache angesprochen und z.B. nach meinen Zielen befragt. So lernte ich in Karlsburg Ende August 2014 in einem Café Johann Lorch kennen, der mein bepacktes Motorrad am Straßenrand mit dem fachkundigen Blick eines Bikers betrachtete und sich dann mir zuwandte. Das Angebot, mir bei der Quartiersuche zu helfen, entwickelte sich so, dass ich die Nacht bei ihm verbrachte. Bis die Augen nach Mitternacht zufielen, war nicht genug Zeit, von seinem Leben und seinen Erfahrungen als deutschstämmiger Einwohner Rumäniens zwischen 1949 und 1989 zu hören. Als Westdeutscher habe ich trotz dieser Kürze vieles gehört, wovon ich zuvor wenig oder nichts gewusst hatte. Als ich mich am nächsten Morgen von Johann verabschiedete, hatte ich einen Freund gewonnen, ohne zu ahnen, wie sehr ich ihn noch brauchen sollte.
Johann und Ulrich (rechts) vor dem Start, im ...
Johann und Ulrich (rechts) vor dem Start, im Krankenhaus, unten: Karlsburg und Schäßburg (rechts).
Vier Tage später befand ich mich auf der Transalpina, auf dem Weg nach Temeswar, übersah in einer Spitzkehre einen Stein auf der Straße, und bei dem Versuch, die Maschine noch abzufangen, landete ich im Graben. Mit Hilfe zweier Motorrad-Ladys aus England, die zufällig dieselbe Strecke befuhren, gelangte ich mit heftig schmerzendem linkem Unterschenkel zunächst nach Mühlbach und dann nach Karlsburg ins Krankenhaus. Diagnose: Wadenbeinbruch und zwei großflächige offene Wunden an der Beininnenseite. Der Ärger und die Traurigkeit über mein Missgeschick waren beinahe noch größer als der Schock, in einem Krankenhausbett in Karlsburg zu liegen und mich nur mit Händen und Füßen verständigen zu können. Da kam am zweiten Tag – ich konnte mein Glück kaum fassen – Johann, der halb zufällig hereinschneite, weil er gehört hatte, dass im Krankenhaus ein deutscher Motorradfahrer liege: „Mal schauen, ob Hilfe gebraucht wird.“ So half mein frisch gewonnener Sachsen-Freund, die Formalitäten zu erledigen für meinen Rücktransport nach Deutschland. Können Sie sich vorstellen, wie heilfroh ich war, fern von zu Hause einen solchen Freund zu haben, der das alles für mich tat, ohne irgendwie Aufhebens davon zu machen?

Meine Genesung dauerte ziemlich lange, beinahe ein halbes Jahr, bis auch die letzte Wunde geschlossen war und ich ohne Gehhilfe wieder laufen konnte – und Motorrad fahren.

Im April 2015 nahm Johann meine Einladung an und besuchte mich – aus München kommend – in Westfalen, genauer gesagt im Münsterland. Dabei entstand der Plan, im Frühsommer gemeinsam mit den Motorrädern nach Siebenbürgen zu fahren, diesmal weiter südlich, durch Österreich und Ungarn ins Banat nach Temeswar, und von dort weiter nach Karlsburg. Wir gaben ordentlich Gas, und am fünften Tag waren wir am Ziel. In den folgenden zwei Wochen durfte ich viele Freunde Johanns kennenlernen, Tibi und Dorel, Freunde schon seit 50 Jahren, und Nelu und Calin, der Johann im Jahr zuvor von dem verletzten deutschen Motorradfahrer im Krankenhaus erzählt hatte. Für unser leibliches Wohl sorgte vielfach Tante Nusi, tatkräftig und freundlich unterstützt von Milli und Mihai, Johanns Cousin. Ich erinnere mich wärmstens an all seine Freunde und Verwandten, die mich mit größter Selbstverständlichkeit und Herzlichkeit zu sich einluden, bewirteten und mit denen sich dank Johanns Sprachkenntnissen (Rumänisch, Ungarisch) gute Gespräche ergaben, die mir sonst kaum mögliche Einblicke gewährten. Und bei gemeinsamen Motorradfahrten u.a. nach Schäßburg und Mühlbach gingen wir beiden „Sachsen-Westfalen-Freunde“ auf Entdeckungsreisen, immer auf den Spuren, die die deutschen Siedler in Siebenbürgen so zahlreich und eindrucksvoll hinterlassen haben.

Auch wenn wir beide als inzwischen 66- und 64-Jährige nicht noch einmal mit Motorrädern eine so weite Reise zusammen machen sollten, schätze ich Johann als einen besonders sympathischen Vertreter der Siebenbürger Sachsen in Rumänien und als einen hilfsbereiten und offenen Menschen, von dem ich – als im Westen unter vollkommen anderen gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen aufgewachsener Westfale – viel gelernt habe. Danke an meinen Freund und an seine Heimat Siebenbürgen!

Ulrich Völker

Schlagwörter: Motorrad, Reisebericht, Siebenbürgen

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