7. März 2010

Ein düsteres Kapitel: Schwangerschaften in der Deportation

Christina Werler, geborene Markel, ist im August 1945 in Russland (damals Krasnodonsk – Woroschilowgrad) im Arbeitslager geboren worden. Seit 1972 lebt sie mit ihrer Familie in Birken­feld (bei Pforzheim). An die Siebenbürgische Zeitung trug sie nun die Bitte heran, nachzuforschen, ob es noch jemanden in Deutschland gäbe, der in diesem Jahr (1945) in Russland geboren wurde, bzw. ob auch andere Mütter schwanger nach Russland gekommen seien. Im Folgenden schildert Frau Werler kurz den Sachverhalt, zu dem sich anschließend die Zeitzeugin und Buchautorin Rose Schmidt äußert.
„Meine Mutter Elisabeth Markel wurde am 14. Januar 1945 aus Bukarest mit vielen anderen Deutschen nach Russland zur Zwangsarbeit deportiert. Zu der Zeit ließ sie noch zwei Töchter im Alter von viereinhalb und drei Jahren zurück. Da sie zu der Zeit mit mir schwanger war, bin ich dort geboren und diesem Umstand hatte sie es zu ‚verdanken‘, dass sie im November 1945 in ihre Heimat zurückkehren durfte. (Sie hatte Typhus und ich die Krätze.) Eigentlich waren sich die Lagerverwalter sicher, dass sie diese Fahrt mit mir nicht überleben würde. Aber es kam anders und so werde ich jetzt 65 Jahre alt und meine Mutter verstarb vor zehn Jahren im Alter von 87 Jahren, und wie so oft sind viele Fragen offen geblieben.“
Friedrich von Bömches: „Deportation“, Kohle, ...
Friedrich von Bömches: „Deportation“, Kohle, 2000, 100 x 70 cm.

Einzelfälle bekannt

Es ist schon eigentümlich, dass nach 65 Jahren ein Mensch Parallelen seines Lebens sucht. Frau Christina Werler wird im August 1945 in einem Arbeitslager in Russland geboren, kommt zwei Monate alt, voller Krätze, mit der typhuskranken Mutter im November 1945 heim. Nun sucht sie ähnliche Geburts- und „Lebensglücksfälle“.

Nach 65 Jahren ist es schwer, eine befriedigende, wahre Antwort zu geben. Zu der Zeit war ungewollte Schwangerschaft einer (meist ledigen) Frau tabu. Durch Berichte sind mir drei Fälle bekannt, wo Frauen im Anfangsstadium ihrer Schwangerschaft ausgehoben wurden. Es ist nicht bekannt, ob die Frauen ihren Zustand nicht beweisen wollten oder konnten, um von der Aushebung befreit zu werden. Aus Bukarest ausgehoben, gebar K. Fernolend in Russland ein Achtmonatskind, das einen Tag vor der Abfahrt des ersten Krankentransportes starb. Die Mutter des Kindes wurde von der Liste der Heimfahrer gestrichen. Das Kind der K. Schenker starb nach der Geburt am zweiten Tag in einem Lager. Im Lager Petrowka wurde in den ersten Monaten von „Ungenannt“ ein weiteres Kind in der Baracke geboren, das nach zwei Tagen starb (Letzteres aus: Rose Schmidt, „Das große Leid. Deportationsberichte 1945-1949“, Seite 184. Das Buch ist erhältlich bei: Medienwelt Schlichenmaier, Stuttgarter Straße 72, 71554 Weissach im Tal, Internet: www.medien welt-schlichenmaier.de). Weitere Fälle kann es noch gegeben haben.

Dass Christina Markel in Russland als Baby überlebte, verdankte sie vor allem ärztlicher Lagerbetreuung und mildtätigen Händen der Russinnen. Sie waren es, die der Schwangeren eine warme Suppe, ein Stückchen, Brot, ein Glas Milch reichten. Kinder wurden in der Deportation vor allem in den Jahren 1948 bis 1949 unerlaubterweise geboren. Auszug aus „Das große Leid“ – „Schwanger in Petrowka“: „Im Sommer 1948 wurde ich schwanger. Doch ich arbeitete weiter im Schacht. Es merkte niemand, dass ich schwanger war. Wir hatten mit Hans beschlossen, ein Kind zu bekommen. So wie wir waren noch fünf Paare. Als dann immer mehr Frauen schwanger wurden, rief die Lagerleitung alle Frauen in den Klub. Alle Schwangeren wurden aufgefordert, sich zur Abtreibung beim Stabsarzt zu melden. Den Frauen drohte man, dass ihre Männer nach Sibirien abgeschoben und von dort nie mehr freigelassen würden ...“ – Da hob ein großes Morden an. Die begrabenen Erinnerungen schweigen bis heute.

Rose Schmidt

Schlagwörter: Deportation, Zeitzeugenberichte

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