10. Juni 2009

Bodo Löttgen: "Positives Einwirken und Mut zur Veränderung"

Der nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete Bodo Löttgen würdigte beim Heimattag in Dinkelsbühl die Siebenbürger Sachsen als verbindungsschaffende und -stiftende Gemeinschaft, die den Dialog suche und fördere. Der CDU-Politiker lobte den Willen zur Integration in die bundesdeutsche Gesellschaft: „Sie haben erkannt, dass sich erfolgreiche Verbandsarbeit durch Kommunikation in die Gesellschaft hinein kennzeichnet. Der Verband der Siebenbürger Sachsen charakterisiert sich heute nicht durch Abschottung, sondern durch Öffnung, nicht durch Resignation und Wehklagen, sondern durch positives Einwirken und Mut zur Veränderung.“ Löttgens Rede, gehalten bei der Eröffnung des Heimattages am Pfingstsamstag 2009, wird im Folgenden im Wortlaut veröffentlicht.
En harzlich gëan dooch, läw Såksännen uch Såksen!

Ich freue mich sehr und es macht mich stolz, Ihnen heute als Vertreter der größten regierungstragenden Fraktion im Düsseldorfer Landtag die herzlichen Grüße aller 89 Mitglieder der CDU zu überbringen. Ich nehme das 60-jährige Bestehen der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen gerne zum Anlass, Ihnen namens meiner Fraktion Dank und Anerkennung auszusprechen. Dank und Anerkennung – wofür fragen Sie sich?

Nun: Die Lebensleistung zweier Generationen, in ausreichender und zutreffender Weise hier und jetzt zu würdigen, schien mir aussichtslos und zum Scheitern verurteilt. Gestatten Sie dennoch, einen Versuch mit Hilfe eines Zitats des deutschen Staatsmannes und Gelehrten Wilhelm von Humboldt zu wagen, der sagte: „Im Grunde sind es immer die Verbindungen mit Menschen, die dem Leben seinen Wert geben.“



Die Siebenbürger Sachsen haben unser aller Leben bereichert, haben ihm einen Wert gegeben, indem sie Verbindungen geschaffen haben:
  • Verbindungen innerhalb von Regional- und Staatsgrenzen und weit darüber hinaus,
  • Verbindungen in der Kirche, in Vereinen, im Sport, in der Musik, in der Kultur,
  • Verbindungen in der Politik, in Rathäusern und Parlamenten oder im Wirtschaftsleben,
  • Verbindungen die in Ehen, Verwandtschaften, Bekanntschaften, Arbeitsverhältnissen und tiefen Freundschaften gemündet sind.
Der Landtagsabgeordnete Bodo Löttgen während ...
Der Landtagsabgeordnete Bodo Löttgen während seiner Festansprache im Schrannen-Festsaal. Foto: Lukas Geddert
Dieser sinnstiftenden Verbundenheit und dem damit einhergehenden, beiderseits gewinnbringenden Dialog über 6 Jahrzehnte gilt meine, gilt meine Anerkennung und unserer besonderer Dank!

Von hier aus, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist es nur noch ein kleiner Schritt hin zum diesjährigen Leitspruch des Heimattages „Gemeinsinn leben, im Dialog handeln“. Wie in jedem Jahr, so gebührt auch dem diesjährigen Leitspruch ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, da er als konzeptionelle Idee und in inhaltlicher Ausführung über allen Veranstaltungen der nächsten beiden Tage stehen wird. Er stellt damit auf immer die dauerhafte Verbindung mit dem Jubiläumsheimattag 2009 dar.

Dabei ist es ist Ihnen erneut gelungen, über das Heimattags-Motto einen Impuls zu geben und mit knappen Worten Notwendigkeiten als Handlungsempfehlungen zu formulieren. Es freut mich, dass Sie offen für Gemeinsinn und aktive Kommunikation plädieren!

Das steht in wohltuendem Kontrast zu den allgegenwärtigen negativen Finanz- und Wirtschafts-Schlagzeilen der letzten Monate.

„Deutschland muss wieder lernen, dass nicht Macht, sondern Geist die Ehre Deutschlands ausmacht.“ Stellt man diesen Satz aus dem Gründungsaufruf der CDU vom 26. Juni 1945 in einen Kontext mit dem weltweiten und nationalen Geschehen in der Finanzwirtschaft der letzten Jahre, zeigt er deutlich, dass wir uns von dem vor 60 Jahren formulierten Gedanken doch schon um Einiges entfernt hatten.

Nicht Gemeinsinn, sondern überhöhter Individualismus, nicht aktiver Dialog, sondern einseitig suggerierte Gewinnmaximierung wurden zu einem sakrosankten Universalgrundsatz erhoben.

Motto legt den Finger an den Puls der Zeit

Und gerade jetzt, nachdem viele, durch schmerzhafte Einschnitte der eigenen Lebensplanung betroffen, sich wieder auf Werte und Tugenden der Vergangenheit zurückbesinnen, wird der Ruf nach Fürsorge, nach Reparatur der Schäden durch die Gemeinschaft, nach Gemeinsinn und Wiederaufnahme vergessener Dialoge laut.

Sie Sehen, meine Damen und Herren, Ihr diesjähriges Motto des Heimattages legt den Finger an den Puls unserer Zeit.

Aber nicht nur aus diesem Grund gefällt mir das Motto gut, sondern auch, weil es sich auf verschiedenen Ebenen deuten und anwenden lässt.

„Gemeinsinn leben, im Dialog handeln„ - dieser Gedanke entfaltet seine Wirkung auf drei Ebenen:
  • Zum Ersten: Er hat eine Bedeutung innerhalb des Verbandes.

    Das Motto ist eine Aufforderung an alle Siebenbürger Sachsen, den unbezahlbaren Wert des Zusammenhalts und der gegenseitigen Hilfe weiterhin hoch zu halten. Ihr gelebter Gemeinsinn, meine Damen und Herren, war der Garant dafür, dass Sie sowohl das dunkle Mittelalter als auch die vielleicht noch dunkleren Jahrzehnte der Ceaușescu-Diktatur als Volk überlebt haben.

    Sie geben sich selbst mit diesem Motto klare Spielregeln und stellen Wertmaßstäbe heraus, die über die Jahrhunderte als richtig und stabil identifiziert wurden. So geben Sie nicht nur der jetzt aktiven Generation, sondern auch ihren Kindern und Enkelkindern ausreichend Orientierung für ein bewusstes Leben in einer lebendigen Gemeinschaft.

  • Zum Zweiten: Der Gedanke wirkt nach außen hin.

    Sie haben erkannt, dass sich erfolgreiche Verbandsarbeit durch Kommunikation in die Gesellschaft hinein kennzeichnet. Der Verband der Siebenbürger Sachsen charakterisiert sich heute nicht durch Abschottung, sondern durch Öffnung, nicht durch Resignation und Wehklagen, sondern durch positives Einwirken und Mut zur Veränderung.

    Darum: Holen Sie sich weiterhin Mitstreiter und Interessierte ins Boot, die bereit sind, sich für Ihre Anliegen einzusetzen. Gerade dieses Bemühen ist doch, im besten Sinne des Wortes, Handeln im Dialog! Ich begrüße es sehr, dass Sie als Verband immer wieder klar Position beziehen, wenn es um aktuelle Themen in der Gesellschaft, wenn es um Belange der Vertriebenen und Aussiedler geht; ich denke da - um nur zwei Beispiele zu nennen - an Ihr federführendes Engagement gegen die Fremdrentenkürzung oder an die nachdrückliche Forderung, die Kulturförderung für Aussiedler auf konstant hohem Niveau zu erhalten.

    Hinzu kommt, dass Ihre Bundesvorsitzenden - wie jetzt Bernd Fabritius - immer die Fähigkeit besitzen und besaßen, sich öffentlich Gehör zu verschaffen. Ihr zielgerichteter Einsatz für die Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen findet allseits Anerkennung und der Verband wird mit - durchaus angenehmem - Nachdruck nach außen hin vertreten.

    Sie erlauben mir an dieser Stelle einen kleinen Exkurs - ein Lob für ihre Internetpräsenz. Die gleichermaßen professionelle und umfassende Darstellung verdient sowohl im Hinblick auf Aktualität, als auch was die Informationsdichte angeht, meine ausdrückliche Anerkennung!

  • Und zum Dritten: Das diesjährige Motto ist ein guter Leitsatz für die Zukunft eines jeden Einzelnen.

    Im Zentrum des Leitgedankens steht die soziale Interaktion der Menschen. Die Geschichte der Siebenbürger Sachsen, gerade auch die letzten 60 Jahre in Deutschland, macht dies überdeutlich: Der Einzelne steht dann zurück, wenn es übergeordnete Ziele der Gemeinschaft erforderlich machen.
Nicht Altruismus um seiner selbst Willen hat den Grundstein für all das Erreichte gelegt, sondern uneigennütziges Anpacken zum Wohle aller.

Ich bin mir sicher, dass der erste Vorsitzende der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen, Fritz-Heinz Reimesch, sich das damals, 1949, genauso vorgestellt und gewünscht hat.

Wille zur Integration in die bundesdeutsche Gesellschaft

Ich möchte noch einmal das Stichwort Integration aufgreifen.

Nicht, weil es sich zur Eröffnung eines Heimattages "so gehört", auch nicht, weil ich der Meinung bin, dass bestimmte Schlagworte in keiner Rede fehlen dürfen. Sondern weil ich noch zwei Aspekte ansprechen möchte, die mir in Bezug auf die Siebenbürger Sachsen sehr wichtig sind. Was die Siebenbürger Sachsen besonders heute, aber auch in der Vergangenheit auszeichnet, ist ihr Wille zur Integration in unsere bundesdeutsche Gesellschaft.

Aus dem Willen hat sich eine beispielgebende Realität entwickelt, die tagtäglich den vollkommen unspektakulären Beweis liefert, dass sie es auch geschafft haben!

Der vielverwendete Begriff Integration leitet sich vom lateinischen integratio ab und bedeutet ursprünglich unberührt oder unversehrt. Aber er bedeutet im Deutschen auch "Herstellung eines Ganzen". Integration beschreibt einen lange andauernden Prozess des Zusammenfügens und Zusammenwachsens zwischen Zugewanderten und Mehrheitsbevölkerung. Im Gegensatz zur Assimilation, also der völligen Anpassung, verlangt Integration nicht die Aufgabe der eigenen kulturellen Identität!

Ich erlebe es immer wieder, dass Siebenbürger Sachsen ihre "alte Heimat" in Rumänien in einem Atemzuge mit der "neuen Heimat" in Deutschland nennen.

In dieser Dualität sehe ich keinen Widerspruch, sondern eine Chance für die Verwirklichung des Europäischen Gedankens. Es ist die Erwartungshaltung entstanden, die Siebenbürger Sachsen könnten in einem zusammenwachsenden Europa als Brückenbauer fungieren. Nehmen Sie diese Herausforderung an! Ihre Erfahrungen der zurückliegenden 60 Jahre, Ihre Kenntnis der rumänischen Kultur und Mentalität, die lebendigen Verbindungen zu Verwandten und Bekannten in Siebenbürgen, zum Demokratischen Forum in Rumänien befähigen Sie geradezu, diese Rolle zu übernehmen und auszufüllen. Geographisch waren sie in Rumänien zu Hause. In ihrer Kultur, in ihrer Denkweise, in ihrer Mentalität, vor allem aber im Herzen waren und sind sie Deutsche.

Was Deutschland und die Deutschen anbetrifft, ist Nachholbedarf zu konstatieren. Das Wissen über Rumänien, über die Deutschen, die früher, aber auch heute noch dort wohnen und gewohnt haben, ist eher gering.

Was wir neben den Kontakten auf der politischen Ebene brauchen, sind verbindende Elemente wie Partner- und Freundschaften zwischen Bürgern, zwischen Gemeinden, Städten und Kreisen, zwischen Regionen, Schulen, Universitäten und Vereinen.

Die Herkunft nicht aus falsch verstandener Scham leugnen

Der zweite Aspekt, um den es mir in Zusammenhang mit dem Stichwort Integration geht, dreht sich um einen Gedanken, der etwas schwieriger in Worte zu fassen ist: Tragen Sie als Verband dafür Sorge, dass nicht durch falsch verstandene Integration der Charakter des stolzen und geschichtsträchtigen Volkes der Siebenbürger Sachsen bis zur Unendlichkeit verwischt.

Lassen Sie mich diesen Gedanken kurz erläutern: Wenn in wissenschaftlichen Abhandlungen der Name Johannes Honterus fällt, dann immer mit dem Attribut "der siebenbürgische Reformator", "der siebenbürgische Humanist". Wenn in theologischen Schriften der in Hermannstadt beheimatete und heute hier zu Gast weilende Bischof Dr. Klein zitiert wird, dann oft als der "siebenbürgische Sachsenbischof". Worauf will ich hinaus?

Integration, meine Damen und Herren, darf nicht so weit gehen, dass die Herkunft vergessen oder aus falsch verstandener Scham heraus geleugnet wird! Wir brauchen auch weiterhin herausragende Persönlichkeiten aus den Reihen der Siebenbürger Sachsen, denen wir wie selbstverständlich das Attribut "siebenbürgisch" zuordnen.

Das steht nicht im Widerspruch zum Integrationsgedanken; im Gegenteil: statt gesichtsloser Assimilation bekommt die Integrationsleistung charakteristische und mit Geschichtsbewusstsein und mitgebrachten Tugenden ausgestattete, wahrnehmbare Konturen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, im Januar 1947 schrieb Wolfgang Borchert das Drama „Draußen vor der Tür„. Ein Mann namens Beckmann kommt mit nur einer Kniescheibe, humpelnd und frierend aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause zurück. Er ist, so Borchert, „einer von denen, die nach Hause kommen und die dann doch nicht nach Hause kommen, weil für sie kein Zuhause mehr da ist. Und ihr Zuhause ist dann draußen vor der Tür.“

Hier schließt sich der Kreis zu dem, was ich eben angeführt habe: Sie, meine Damen und Herren, waren für uns nie draußen vor der Tür. Die Bundesrepublik Deutschland und mein Heimatland Nordrhein-Westfalen haben in schweren Zeiten die Türe immer offengehalten; wohl wissend, dass eine unmenschliche Diktatur vielen von Ihnen den Weg verbaut hat.

Deutsche im Geist und Herzen

Sie waren immer Deutsche, sowohl im Geiste als auch im Herzen. Die Schrift- und Schulsprache auf dem Gebiete Siebenbürgens war Hochdeutsch. Die Kirchensprache war seit der Reformation ebenfalls Deutsch - auch wenn noch lange danach der eine oder andere Pfarrer auf Sächsisch gepredigt hat.

Die Geschichte der Siebenbürger Sachsen ist ein Teil der gesamteuropäischen Geschichte und damit auch Bestandteil der deutschen Geschichte. Mit der Überwindung der Teilung Europas und erst recht mit dem Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union sind die Chancen, Ihre eigene Geschichte als Mosaikstein an die richtige Stelle des Gesamtbildes einzufügen, enorm gestiegen.

Ich sprach davon, dass Rumänien zur EU-Familie gehört. Betrachten wir es realistisch: Damit sind die Chancen gestiegen, die Bewahrung und Pflege der in Siebenbürgen zurückgelassenen Kulturgüter sicherzustellen, aber ich habe bewusst von der EU-Familie gesprochen.

Es sollte innerhalb einer Familie selbstverständlich sein, Verantwortung für die erbrachten Leistungen des jeweils anderen zu übernehmen und dafür Sorge zu tragen, dass sie nicht verlorengehen. Wer diesem Gedanken nicht nähertreten kann, dem empfehle ich dringendst den Besuch der Ausstellung „Stillleben nach dem Exodus“, die wir heute Morgen zusammen eröffnet haben.

Unter diesem Aspekt betrachtet freut es mich, dass die Landeskulturtage der Siebenbürger Sachsen in Nordrhein-Westfalen im September dieses Jahres im rumänischen Generalkonsulat in Bonn stattfinden werden. Oder dass die Ausstellung „Rumänien, eine europäische Kulturlandschaft – Hermannstadt, europäische Kulturhauptstadt 2007“, die am vergangenen Mittwoch in Düsseldorf eröffnet wurde, großen Anklang gefunden hat. Dies sind exemplarische Signale an die Menschen und an die Verantwortlichen in Rumänien, dass die Siebenbürger Sachsen bereit sind, Ressentiments der Vergangenheit zu überwinden und sich an der Darstellung und Gestaltung Ihrer eigenen Geschichte beteiligen wollen, ohne das Vergangene zu vergessen. Ich denke, diese Signale werden auf fruchtbaren Boden fallen.



Zum Schluss möchte ich noch einen Satz, den Schlusssatz, aus dem bereits erwähnten Gründungsaufruf der Christlich Demokratischen Union Deutschlands zitieren. Dort heißt es: „Wir rufen alle, die sich zu uns und unserem Aufbauwillen bekennen. Voll Gottvertrauen wollen wir unseren Kindern und Enkeln eine glückliche Zukunft erschließen.“

Mir scheint, die Siebenbürger Sachsen haben diesen Ruf vor 60 Jahren gehört und sind ihm gefolgt. Aufbauwillen, Gottvertrauen und eine glückliche Zukunft - diese Begriffe möchte ich heute auch mit den Siebenbürgern Sachsen verknüpfen.

Knüpfen Sie auch weiterhin starke Verbindungen mit vielen Menschen nach innen und außen, um so unserem Zusammenleben ständig einen neuen Wert zu geben.

Ich wünsche Ihnen, dass der Jubiläumsheimattag 2009 mit seinem Leitspruch „Gemeinsinn leben, im Dialog handeln„ als langlebige Wegmarke für den Verband der Siebenbürger Sachsen in die Geschichte eingehen wird. Herzlichen Dank!

Link:

Bodo Löttgens Ansprache in Dinkelsbühl als Videofilm

Schlagwörter: Heimattag 2009, Nordrhein-Westfalen

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