9. Juni 2009

Engagierte Podiumsdiskussion zum Thema "Rentengerechtigkeit!?"

Der Kleine Schrannensaal war am Pfingstmontag erwartungsgemäß bis auf den letzten Platz gefüllt. Das in diesem Jahr gewählte Thema der traditionell zum Ausklang des Heimattages veranstalteten Podiumsdiskussion mobilisiert die Menschen: „Rentengerechtigkeit!?“. Die Kürzungen im Bereich des Fremdrentengesetzes (FRG) in den letzten Jahren und die Praxis der Rententräger seit dem Beitritt unseres Herkunftslandes Rumänien zur Europäischen Union am 1. Januar 2007 lassen verstärkt die Frage aufkommen, ob bezüglich der heute in Deutschland lebenden deutschen Aussiedler aus Rumänien noch von einer Rentengerechtigkeit gesprochen werden kann. Besonders die restriktive Umsetzung der Widerherstellungsvorschriften des FRG und der praktizierte Fiktivabzug führen bei Betroffenen zu Verunsicherung und Ärger. Dieser Problematik widmete sich in Dinkelsbühl ein hochkarätig besetztes Podium mit Spitzenfunktionären aus Deutschland und Rumänien.
Unter den Ehrengästen begrüßte der als Moderator fungierende Bundesvorsitzende des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, RA Dr. Bernd Fabritius, namentlich Bischof D Dr. Christoph Klein. An der Podiumsdiskussion nahmen teil: Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Christoph Bergner, Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten; Thomas Bausch, Verwaltungsdirektor der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern; Maria Luiza Socol Florescu, Generaldirektorin der nationalen Rentenbehörde Rumäniens; Friedrich Gunesch, Hauptanwalt der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien.
Gemeinsam mit Dr. Christoph Bergner (Bildmitte) ...
Gemeinsam mit Dr. Christoph Bergner (Bildmitte) nahmen an der Podiumsdiskussion in Dinkelsbühl teil (von links): Maria Luiza Socol Florescu, Dr. Bernd Fabritius, Thomas Bausch und Friedrich Gunesch. Foto: Christian Schoger
Der Moderator Dr. Bernd Fabritius führte in das - zugleich als Forderung und Infragestellung gekennzeichnete - Diskussionsthema „Rentengerechtigkeit!?“ ein. Unser deutsches Rentensystem baue auf einem Generationenvertrag auf, nach dem die arbeitende und beitragszahlende Generation für die Renten der älteren Generation aufkommt. Im Zuge der sozialstaatlichen Entwicklung ist das Risiko des Verlustes des Lebensunterhalts nicht mehr dem Einzelnen aufgebürdet worden. Die staatlich verwaltete Rentenversicherung praktiziert zudem auch Solidarität im Krankheitsfall und im Todesfall (Hinterbliebene). Dieser bewährte Generationenvertrag habe sich, so stellte Fabritius kritisch fest, „für uns Siebenbürger Sachsen wie auch andere Deutsche aus Rumänien zu unseren Lasten in den letzten Jahren verschoben, da unsere älteren Generationen aus dieser Solidargemeinschaft ausgeschlossen worden ist“. Beispielhaft verwies der Fremdrentenrechtsexperte auf die 5/6-Kürzung, die 30-Prozent-Kürzung, die 40-Prozent-Kürzung sowie den vom Rententräger praktizierten Fiktivabzug.

Der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung, Dr. Christoph Bergner (Dr. Fabritius: „einer der verständnisvollsten Verfechter und Kämpfer unserer Anliegen“), zitierte aus der Koalitionsvereinbarung der Bundesregierung unter Angela Merkel: „Wir bekennen uns auch weiterhin zu der Verantwortung sowohl für diejenigen Menschen, die als Deutsche in Ost- und Südosteuropa sowie in der Sowjetunion unter den Folgen des Zweiten Weltkrieges gelitten haben und in ihrer jetzigen Heimat bleiben wollen, als auch für jene, die nach Deutschland aussiedeln.“ Der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung bekräftigte den Grundsatz, dass diejenigen, die ihre Arbeitsleistung außerhalb des deutschen Staatsgebietes vollbracht haben, in die Solidargemeinschaft des Generationenvertrages aufgenommen werden (Applaus des Saalpublikums). Der angesichts knapper Rentenkassen vorherrschende Spar- und Konsolidierungsdruck habe sich auch auf die Gesetzgebung niedergeschlagenen in Form von Beschränkungen und Komplizierungen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur 40-Prozent-Kürzung sei in einer Weise umgesetzt worden, „die ich nicht als befriedigend betrachten kann“. Die notwendige Debatte über die Umsetzung dieses Artikels sei im parlamentarischen Rahmen sehr beschränkt gewesen, Betroffene hätte man unzureichend beteiligt.

Bergner würdigte das Engagement des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland, ohne dessen Begleitung und Unterstützung der Betroffenen deren rentenrechtliche Situation nicht angemessen bewältigt werden könnte. In der Debatte über Fremdrenten dürfe allerdings die Verpflichtung gegenüber der deutschen Minderheit im Herkunftsland nicht vergessen werden. Die Träger der Altenheime leisteten hervorragende Arbeit; sie könnten eine „Leuchtturmfunktion für Entwicklung des Pflegewesens in Rumänien“ haben. Die Bundesregierung fördert die deutsche Minderheit in Rumänien in diesem Jahr mit rund 1,6 Millionen Euro. Zwei Drittel des Budgets käme der Absicherung und Finanzierung von Altenheimen zugute, wobei dem Aussiedlerbeauftragten das Alten- und Pflegeheim „Dr. Carl Wolff“ in Hermannstadt „ein ganz wichtiges Anliegen“ sei.

Wie Dr. Bernd Fabritius kurz berichtete, hat drei Tage vor der Dinkelsbühler Diskussionsveranstaltung, am 29. Mai, ein Rentengespräch in Würzburg stattgefunden, bei dem die für uns zuständige Rentenversicherung in Würzburg ebenso vertreten war wie die nationale Rentenbehörde Rumäniens durch deren Präsidentin Domnica Doina Pârcălabu und Generaldirektorin Maria Luiza Socol Florescu, die an der Podiumsdiskussion in Dinkelsbühl teilnahm (Herta Daniel, die Vorsitzende des Landesverbandes Bayern, dolmetschte für sie).

Generaldirektorin Maria Luiza Socol Florescu räumte ein, dass im Zuge des EU-Beitritts ihres Landes „große organisatorische Probleme und eine Flut von Anträgen vor allem aus Deutschland, auf uns zugekommen sind, ohne dass wir dafür eine ausreichende Verwaltungskapazität haben“. Seit 2008 leiste die nationale Rentenbehörde Rumäniens Rentenzahlungen ins Ausland. Erhebliche Probleme bereite weiterhin die Vorlage von Arbeitsnachweisen, respektive im Falle fehlender bzw. verloren gegangener Nachweise. Ihre Behörde stehe allen Betroffenen für ihre Fragen zur Verfügung, versicherte die Generaldirektorin und gab die folgenden Kontaktmöglichkeiten für die Mitglieder unseres Verbandes an: Dienststelle zur Wiederherstellung von Berufslaufbahnen (Direktion für Information und Erfassung von Dienstzeiten und Beiträgen), Strada George Vraca nr. 9, sector 1, București, Telefon: (00 40) 2 13 15 00 83 (Zentrale), oder (00 40) 2 13 14 88 77 (Direktwahl). Beim Saalpublikum warb Generaldirektorin Socol Florescu um Verständnis für die bestehenden Schwierigkeiten, die die nationale Rentenbehörde Rumäniens in Zusammenarbeit mit den örtlichen Pensionskassen und im Dialog mit den deutschen Rententrägern zu bewältigen suche.

Als Direktor der Deutschen Rentenversicherung Nordbayern in Würzburg leitet Thomas Bausch die für mit Rumänien verknüpfte Rentenangelegenheiten zuständige Verbindungsstelle. Wie der Bundesvorsitzende Dr. Fabritius, betont auch Verwaltungsdirektor Bausch seinerseits die konstruktive Zusammenarbeit der letzten Monate, insbesondere auch mit der rumänischen Seite. Bausch sprach von „Anlaufschwierigkeiten in Rumänien“, die aus seiner Sicht vollkommen nachvollziehbar seien, zumal seine Verbindungsstelle in Würzburg seit Juni 2006 rund 11 000 Rentenverfahren in Rumänien eingeleitet habe. Derzeit habe man knapp mehr als 1 000 Rentenbescheide aus Rumänien erhalten. Das Rentengespräch in Würzburg habe „gute Lösungsansätze“ erbracht im Hinblick auf Zahlungsaufnahmen, Gebühren sowie ein zügigeres Verfahren. Bausch unterstrich die Bedeutung direkter Kontakte, um Probleme im Interesse aller Beteiligten zu lösen.

Friedrich Gunesch, Hauptanwalt der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien, erklärte, dass die an die rumänische Gesetzgebung angegliederte kirchliche Ruhegehalts- und Pensionskasse vor dem Problem stehe, die EU-Gesetzgebung umzusetzen. „Wir stellen uns ein auf Anträge von ehemaligen kirchlichen Mitarbeitern der Gemeinden, Bezirke oder des Landeskonsistoriums, die in Rente gegangen sind und heute im EU-Ausland leben. Das wird ein gewaltiger Einschnitt sein für unsere kleine Rentenkasse.“ Gegenwärtig gebe es rund 70 Rentenempfänger in Rumänien. Die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien beschäftige derzeit 250 hauptamtliche Mitarbeiter. Auf die Frage des Moderators hin, wie lange die Ruhegehaltskasse der Ev. Landeskirche Rentenzahlungen an alle ehemaligen Mitarbeiter in Deutschland leisten könnte, stellte Gunesch die folgende Überschlagsrechnung an: Bei einem derzeitigen Kassenstand von einer Million Euro würde es, ausgehend von etwa 200 potentiellen Rentenempfängern in Deutschland, bei einer durchschnittlichen Rentenleistung von 100 Euro ca. fünf Jahre dauern bis zur Pleite der Ruhegehaltskasse der Kirche.

Die Diskussion mit dem Publikum eröffnend, umriss Dr. Fabritius die Hauptprobleme, die uns als Rentengemeinschaft betreffen. Die 40-Prozent-Kürzung sei, da längst entschieden, „Schnee von gestern“. Sorge bereite jedoch die Regelung, dass nur derjenige in die Übergangsvorschrift einbezogen werden soll, der sich gegen den Bescheid gewehrt hat. Eine einheitliche Regelung durch den Gesetzgeber wäre weitaus praktikabler gewesen. Stattdessen ergebe sich „ein Berg an rechtlichen Problemen“. Die Betroffenen seien keine Rechtsanwälte und folglich von dem Rechtssystem, der Rechtssprache und den sehr umfangreichen Bescheiden „total überfordert“. Der Bundesvorsitzende formulierte die an die Rententräger gerichtete Bitte, beim Fiktivabzug „möglichst großzügig und mit ausreichendem Verständnis für die Problemlage und die rechtliche Unkenntnis der Betroffenen zu entscheiden“. Zudem sollten Fremdrentenempfänger nicht vom Problem der zwischenstaatlichen Rechtsanwendung belastet werden. Politik und Rentenbehörden seien aufgerufen, Wege zu finden, um Betroffene vom Zugangsrisiko einer Rente in Rumänien freizuhalten.

Allgemeinen Konsens fand die von Bausch vertretene Auffassung, wonach in anderen Ländern erworbene Rentenansprüche in Anspruch zu nehmen seien, was zu einer Entlastung der deutschen Rentenkasse beitrage. Dissens bestand hinsichtlich der Praxis des Fiktivabzugs. Während Generaldirektor Bausch erklärte, den Fiktivabzug weiterhin durchzuführen, so lange keine Entscheidung des Bundessozialgerichts vorläge, verwies Dr. Fabritius auf an die 200 ihm bekannte Gerichtsurteile, wonach der Fiktivabzug nicht zulässig sei. Es gebe inzwischen auch ein rechtskräftiges Urteil. Sobald die deutschen Rentenbehörden „uns als Betroffenen das Zugangsrisiko abnehmen, werden die Siebenbürger Sachsen mithelfen, dass das Verfahren in einen geordneten Gang kommt“, versicherte Fabritius. Aufgrund des gemeinsamen Lösungsinteresses sehe er die Deutsche Rentenversicherung Nordbayern „an unserer Seite“. Bausch bekundete sein Verständnis für den Rechtsstandpunkt des Verbands der Siebenbürger Sachsen in Deutschland.

Im Fortgang der Diskussion wurden noch diverse Detailprobleme seitens des Publikums angesprochen. U. a. wurden die bei Rentenzahlungen aus Rumänien in Abzug gebrachten Überweisungsgebühren kritisiert. Wie Bausch erklärte, sollen diese Gebühren ab November 2009 wegfallen infolge der Standardisierung als EU-Überweisung, so dass die Kosten dann gleich hoch seien würden wie bei Inlandsüberweisungen. Darüber hinaus seien weitere Vereinfachungen auf den Weg gebracht. So soll ein Datenabgleich eingeführt werden, wodurch das Verfahren der Lebensbescheinigung obsolet würde.

In seiner Schlussbemerkung appellierte der Aussiedlerbeauftragte der Bundesregierung, Dr. Christoph Bergner, an alle Beteiligten, die Probleme gemeinsam zu bewältigen. Der Moderator schloss die knapp dreistündige Diskussion. Sein Dank für die engagiert und konstruktiv geführte Diskussion galt Podium wie Publikum gleichermaßen.

Christian Schoger

Schlagwörter: Rente, Heimattag 2009, Rechtsfragen, Podiumsdiskussion, Fremdrente

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