29. Januar 2007

Siebenbürgisches Museum - prägender Teil siebenbürgisch-sächsischen Lebens

Die Nachbarschaften sind „ureigenster Ausdruck sächsischer Lebensweise“. Die zutiefst demokratische Einrichtung kannte keine übergeordneten Strukturen, im ethnisch verstandenen nachbarschaftlichen Verband waren alle Mitglieder gleichberechtigt. Von der Geburt bis zum Begräbnis war der Einzelne eingebettet in die Gemeinschaft. Die Nachbarschaften waren nicht nur früher die Kernzelle des ländlichen gesellschaftlichen Lebens in Siebenbürgen, sondern sie bestehen auch nach der Massenauswanderung in den neunziger Jahren in veränderter Form in Siebenbürgen und außerhalb des Karpatenbogens fort. Auch heute prägt ihr Geist das kulturelle und soziale Verhalten der Siebenbürger Sachsen, ihr Selbstverständnis in der ganzen Welt.
Diesem wesentlichen Bestandteil der siebenbürgisch-sächsischen Lebensart widmet das Siebenbürgische Museum einen neuen Raum, der am 13. Januar 2007 in Gundelsheim eröffnet wurde. Im Themenraum werden die Nachbarschaften als Jahrhunderte währende Grundstruktur des Gemeinschaftslebens der Siebenbürger Sachsen im Karpatenraum vorgestellt. Über 100 Originalgegenstände aus drei Jahrhunderten: Nachbarschaftsladen, -krüge und -zeichen, Statuten, Strafgeldbeutel, ein Vexiergefäß, das als „Bruderschaftskrone“ im Aufnahmeritual der Arbegener Bruderschaft verwendet wurde, veranschaulichen das ländliche Leben in Siebenbürgen. Zu einer Nachbarschaft gehörten alle Hausstände einer Straße. Die Verlobungsfeier markierte den Austritt aus der Bruder- bzw. Schwesternschaft und die bevorstehende Aufnahme in die Nachbarschaft.

Das Ritual der Amtsübergabe vom alten zum neuen Nachbarvater geschieht vor geöffneter Lade. Diese Inszenierung ist nebst 100 Originalobjekten und aufschlussreichen Bildtexten im neuen Raum des Siebenbürgischen Museums zu sehen. Foto: Petra Reiner
Das Ritual der Amtsübergabe vom alten zum neuen Nachbarvater geschieht vor geöffneter Lade. Diese Inszenierung ist nebst 100 Originalobjekten und aufschlussreichen Bildtexten im neuen Raum des Siebenbürgischen Museums zu sehen. Foto: Petra Reiner

Das zahlreich erschienene Publikum ließ den neu zu eröffnenden Themenraum im Schloss drangvoll eng erscheinen. In der Eröffnungsrede betonte Dr. Irmgard Sedler, Vorsitzende des Siebenbürgischen Museums, die Rolle dieser Einrichtung an ihrem Standort in Baden-Württemberg als Bildungs- und Kulturinstitution mit Wirkung über die engen Grenzen des Siebenbürgisch-Sächsischen hinaus. Die Schau sei auf ein Besucherpublikum aus allen Teilen Deutschlands und Europas ausgerichtet, ihr Inhalt würde sich hervorragend als Fallstudie mit zeitaktueller Bedeutung gerade im zusammenwachsenden Europa anbieten. „Nachbarschaftshilfe“ sei ein in der Öffentlichkeit vielzitiertes Schlagwort, wenn es um die Bedürfnisse der heutigen Gesellschaft ginge, die den Individualismus zunehmend in Frage stelle. In diesem Sinne könnten die sächsischen Nachbarschaftsordnungen, trotz allem Konformitätszwang für den Einzelnen, wie ihn die traditionelle Gesellschaft forderte, heute als historisches Vorbild dienen. Am Beispiel der „Gevatterpfanne“ und der Wöchnerinnenverköstigung wurde auch die wirtschaftliche Notwendigkeit der Nachbarschaftshilfe in der siebenbürgischen Dorfgesellschaft verdeutlicht.

Die Nachbarschaften und Bruder-/Schwesternschaften – als entsprechende Jugendorganisationen des Dorfes – hätten sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder gewandelt. Im Nationalsozialismus wurden sie verboten, überlebten aber den Kommunismus und seien auch nach der Massenauswanderung aktuell, betonte Sedler: Großnachbarschaftliche Hilfe werde heute in Siebenbürgen immer öfter über örtliche, ethnische und konfessionelle Grenzen hinaus geleistet. Es finde eine „Befruchtung des Kulturellen“ statt, wenn beispielsweise Rumänen in Bogeschdorf die Musikinstrumente der „Adjuvanten“ (Dorfkapelle) mitsamt deren Pflichten bei der Begräbnisfeier ihrer eigenen Gemeindeglieder übernommen hätten.

Dipl.-Ing. Arch. Volker Dürr, Bundesvorsitzender der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen, bezeichnete die Nachbarschaften als „Beispiel für generationsübergreifende Unterstützung“, dem angesichts der demographischen Entwicklung in Deutschland eine besondere Bedeutung zukomme. Der Bundesvorsitzende erinnerte an die erfolgreichen Bemühungen um den Erhalt des Siebenbürgischen Museums in Gundelsheim. Die neue Bundesregierung unterstütze voll und ganz die Arbeit des Museums. So werden zurzeit im oberen Stockwerk des Museums 106 Quadratmeter für Wechselausstellungen ausgebaut. Gefördert wird die Maßnahme mit 200 000 Euro durch den Beauftragten für Kultur und Medien der Bundesregierung. Zudem hob der Bundesvorsitzende die Projektförderung durch Nordrhein-Westfalen hervor. In diesem Jahr stelle das Patenland 17 400 Euro für die Ausstellung samt Katalog des Siebenbürgischen und des ASTRA Museums in Düsseldorf, Dinkelsbühl, Hermannstadt und Luxemburg, 8 300 Euro für die Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturtage 2007 / 50 Jahre Patenschaft in NRW sowie 7 000 Euro für die wissenschaftliche Tagung des Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrates in Hermannstadt, an der auch das Museum beteiligt sein werde, zur Verfügung.

„Die Nachbarschaften sind mit ihrem Engagement für den Nächsten ein Beispiel für die gesamte Gesellschaft“, sagte Dr. Bernhard Lasotta, Vorsitzender des Fördervereins des Siebenbürgischen Museums. „Das Siebenbürgisch-Sächsische auf eine weite regionale Ebene bis ins Europäische hinein zu heben“, sei wichtig sowohl für die Integration in die neue als auch die Verbindung zur alten Heimat, fuhr Lasotta fort. Der Förderverein des Museums habe seine Arbeit in den letzten Jahren gut konsolidiert. Dessen Spendenaufkommen ist im letzten Jahr auf 16.000 Euro gestiegen. Der CDU-Landtagsabgeordnete ging auf einige der vielfältigen Aktivitäten des Fördervereins ein, der sich für Ausstattung und Außenwirkung des Museums engagiere. So habe man eine Sammlung siebenbürgisch-sächsischer Wandbehänge mit Sinnsprüchen aus dem 18. bis 20. Jahrhundert erworben, die in den Besitz des Museums übergegangen sei. Zudem unterstützt der Förderverein das Projekt „Kulturpfad“, der zusammen mit der Stadt Gundelsheim im Entstehen begriffen ist. Besonders dankbar sei man für die Fördermittel des baden-württembergischen Innenministeriums, an der Spitze Minister Heribert Rech, die für die Ausstattung der neuen Sonderausstellungsräume auf Schloss Horneck benötigt werden.

Neuwahlen des Fördervereins

Dr. Bernhard Lasotta wurde bei der Mitgliederversammlung, die am Vormittag des 13. Januar ebenfalls auf Schloss Horneck stattfand, als Vorsitzender des Fördervereins des Siebenbürgischen Museums wieder gewählt. Im Amt bestätigt wurden auch Dipl.-Ing. Arch. Volker Dürr als stellvertretender Vorsitzender und Dieter Phleps als Schatzmeister. Neuer Schriftführer ist Marius Tataru, der die Nachfolge von Hannelore Schuster antritt.

Marius Tataru, wissenschaftlicher Koordinator im Museum, berichtete über die Bauarbeiten im oberen Geschoss. Beim Abbau einer Wand sei ein schönes Barockgewölbe aus dem 18. Jahrhundert zutage getreten, das renoviert wird. Eine einsturzgefährdete Decke muss neu gebaut werden. Diese beiden Probleme führen zu ungeplanten Kosten und verzögern die Arbeit. Dennoch beabsichtigt das Museum, die neuen Räumlichkeiten für Wechselausstellungen schon im März 2007 mit einer Ausstellung von Friedrich von Bömches zu eröffnen.

Für die verdienstvolle Arbeit, die Dr. Irmgard Sedler ehrenamtlich für das Museum leistet, dankte Karin Servatius-Speck, stellvertretende Bundesvorsitzende der Landsmannschaft und stellvertretende Vorsitzende des Museumsvereins, mit einem Blumenstrauß. Sie überbrachte auch die Glückwünsche des Museumsvereins zum 60. Geburtstag von Marius Tataru.

Programm der Kulturhauptstadt 2007 wird mitgestaltet

In das Programm der Kulturhauptstadt 2007 bringt sich das Siebenbürgische Museum gleich mit drei Ausstellungen ein:

Im Juni/Juli wird im Landeskirchlichen Museum im „Friedrich-Teutsch“-Haus, zusammen mit dem Museum im Kleihues-Bau Kornwestheim, die Ausstellung „Kirchenraum im Wandel. Schreinermalerei im sakralen Bereich“ gezeigt.

Vom 1. August bis 15. Oktober ist im „Schatzkästlein“ (Casa Artelor) am Kleinen Ring die Ausstellung „Wohnräume im Wandel. Siebenbürgische Möbelmalerei aus fünf Jahrhunderten“ zu sehen. Es handelt sich um ein Gemeinschaftsprojekt des Siebenbürgischen Museums, des Museums im Kleihues-Bau Kornwestheim, des ASTRA-Nationalmuseums in Hermannstadt und des Historischen Museums der Stadt Schäßburg.

Für November 2007 plant das Brukenthalmuseum eine Ausstellung zum Thema „Klassische Moderne“ mit Beteiligung des Siebenbürgischen Museums Gundelsheim und des Museums im Kleihues-Bau in Kornwestheim.

Neujahrsempfang des Kulturrates

Zum anschließenden Neujahrsempfang konnte Dr. Christoph Machat, Vorsitzender des Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrates, zahlreiche Gäste im Festsaal auf Schloss Horneck begrüßen. 2007 habe nicht so ungünstig wie das Vorjahr begonnen: Siebenbürgische Bibliothek und Siebenbürgen-Instituts erhofften sich eine Konsolidierung ihrer finanziellen Lage. In das Programm des Kulturhauptstadtjahrs 2007 in Hermannstadt werden sich die siebenbürgischen Einrichtungen in Gundelsheim einbringen. Neben den erwähnten Ausstellungen des Siebenbürgischen Museums ist im September 2007 eine Tagung des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde geplant. Allerdings hätte Hermannstadt die Chancen als Kulturhauptstadt besser nutzen und in sein Programm auch Südsiebenbürgen mit einbeziehen sollen, so wie am Programm der Kulturhauptstadt Luxemburg auch benachbarte Regionen in Deutschland und Frankreich beteiligt seien, bedauerte Machat.

Neujahrsempfang des Kulturrates in Gundelsheim, v.l.n.r.: Dr. Christoph Machat, Dr. Irmgard Sedler, Karin Servatius-Speck, Dipl.-Ing. Arch. Volker Dürr. Foto: Petra Reiner
Neujahrsempfang des Kulturrates in Gundelsheim, v.l.n.r.: Dr. Christoph Machat, Dr. Irmgard Sedler, Karin Servatius-Speck, Dipl.-Ing. Arch. Volker Dürr. Foto: Petra Reiner

Ein gutes neues Jahr wünschte der Bundesvorsitzende Volker Dürr seitens der siebenbürgischen Landsmannschaft in Deutschland und der weltweiten Föderation der Siebenbürger Sachsen. Für Mai 2007 lud Dürr zur 50-jährigen Patenschaftsfeier nach Düsseldorf und den anschließenden Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturtagen ein. Ein Grußwort seitens des Museums sprach Dr. Irmgard Sedler.

Einen Vortrag zum Thema „Damasus Dürr – Sozialdisziplinierung in der Predigt“ hielt Dr. Ulrich Wien, Vorsitzender des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde und dessen wiedergegründeter Rumänien-Abteilung. Damasus Dürr, etwa 1535 in Brenndorf geboren, wirkte von 1569 bis zu seinem Tode im Jahr 1585 als Pfarrer in Kleinpold im Unterwald. Wien verdeutlichte anhand zahlreicher Beispiele, wie der sprachgewandte Geistliche der Kleinpolder Gemeinde „mit Humor und Strenge die kirchlichen, lutherisch geprägten Normen ins Gedächtnis rief sowie für sittliche und am ständischen Denken ausgerichtete Ordnung eintrat“. Der Vortrag war eine passende Ergänzung zum Thema Nachbarschaften, die die Siebenbürger Sachsen ihrerseits als moralische Instanz stark beeinflusst haben.

Der Neujahrsempfang wurde vom Pianisten Peter Szaunig mit Werken von Carl Filtsch und Brahms sowie einer eigenen Improvisation siebenbürgisch-sächsischer Volkslieder musikalisch umrahmt.

Siegbert Bruss


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 2 vom 31. Januar 2007, Leitartikel)

Schlagwörter: Siebenbürgisches Museum, Brauchtum, Identität, Nachbarschaften, Gundelsheim, Schloss Horneck

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