15. Februar 2006

Nachruf auf Johannes Rau: Staatsmann von großer integrativer Kraft

„Versöhnen statt Spalten“: Dieser Wahlspruch kennzeichnete das politische Lebenswerk von Alt-Bundespräsident Johannes Rau. Der prominente SPD-Politiker verstarb am 27. Januar 2006 im Alter von 75 Jahren in seinem Berliner Haus im Kreise seiner Familie. Die Eingliederung und das Kulturleben der Siebenbürger Sachsen hat Johannes Rau über zwei Jahrzehnte als nordrhein-westfälischer Ministerpräsident und danach als Bundespräsident vielseitig und nachhaltig gefördert.
Der Predigersohn Johannes Rau wurde am 16. Januar 1931 in Wuppertal geboren. Er engagierte sich in der evangelischen Kirche, absolvierte eine Lehre als Verlagsbuchhändler und wurde schon mit 21 Jahren politisch aktiv. 1952 trat er in die Gesamtdeutsche Volkspartei (GVP) des von ihm verehrten Gustav Heinemann ein und folgte ihm 1957, als sich die GVP auflöste, in die SPD. Über vier Jahrzehnte hat er hohe und höchste Ämter bekleidet und war eine prägende Größe der Sozialdemokraten und Deutschlands insgesamt. Er wirkte als Oberbürgermeister in Wuppertal, gehörte dem nordrhein-westfälischen Landtag von 1958 bis 1999 an, war Wissenschaftsminister und wurde 1978 zum Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens gewählt. Dank seiner Popularität erreichten die Sozialdemokraten die absolute Mehrheit bei den drei folgenden Landtagswahlen.

Der damalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident Johannes Rau während seiner Festrede beim Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl, Pfingsten 1997. Foto: Josef Balazs
Der damalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident Johannes Rau während seiner Festrede beim Heimattag der Siebenbürger Sachsen in Dinkelsbühl, Pfingsten 1997. Foto: Josef Balazs
20 Jahre lang war Rau Ministerpräsident dieses bevölkerungsreichsten Bundeslandes, das bereits 1957 die Patenschaft über die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen übernommen hatte. Zum Fortbestand dieser Patenschaft hat sich Johannes Rau stets eindeutig bekannt. Als Festredner beim Heimattag der Siebenbürger Sachsen 1997 in Dinkelsbühl erinnerte er an die Unterzeichnung der Patenschaftsurkunde und erklärte: „Wer selber Pate ist, der weiß, manche Paten versuchen sich nach der Konfirmation zurückzuziehen. Wir haben das nicht getan. Nordrhein-Westfalen ist seit vierzig Jahren Pate der Siebenbürger Sachsen, und ich sage Ihnen als jemand, der die Hälfte dieser Zeit Ministerpräsident war: Wir möchten gerne Ihre Paten bleiben und Ihre Partner sein.“ Als Oberbürgermeister von Wuppertal hatte er oft die dort lebenden Siebenbürger Sachsen besucht, ihre Tänze erlebt und ihre Lieder gehört. Es habe ihm immer wieder Freude gemacht, „zu erleben, wie Menschen, die ihre Heimat lieben und die ohne Hass leben, die Erinnerung an diese Heimat weitertragen.“

Als Johannes Rau im Mai 1999 achter Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland wurde, erfüllte sich für ihn ein politischer Lebenstraum. Er wurde – 30 Jahre nach seinem verehrten politischen Ziehvater und Mentor Gustav Heinemann und als zweiter Sozialdemokrat – von der Bundesversammlung in Berlin zum Staatsoberhaupt gewählt. In einer seiner letzten Amtshandlungen besuchte er am 1. April 2004 die Siebenbürger-Sachsen-Siedlung Drabenderhöhe. In seiner Ansprache blickte der Bundespräsident auch auf seine langjährigen Beziehungen zu Siebenbürger Sachsen zurück, die er persönlich gekannt hatte, wie den siebenbürgischen Lehrer seines Kindes, Richard Georg, denen er begegnet war bei Veranstaltungen der Kreisgruppe Wuppertal, beim Besuch des Heimattages in Dinkelsbühl 1997 bis hin zu seinem Siebenbürgen-Besuch im Jahr 2002. Und Rau resümierte: „Wir brauchen Wege zueinander. Es gibt gemeinsame Räume, in fünf Jahrzehnten erprobt und bewährt.“ Integration sei gewiss nicht immer einfach. Jedoch gelte es nun, miteinander zu leben und sich gegenseitig zu bereichern. Eine Kette führe von Fremdheit über die Neugier zur Freundschaft. Diese Kette zu stärken, sei gleichermaßen Aufgabe der Zivilgesellschaft wie des Staates.

2004 löste Horst Köhler ihn im Amt des Bundespräsidenten ab. Nur eineinhalb Jahre als Altpräsident blieben Johannes Rau an der Seite seiner Kinder und seiner Frau Christina, einer Enkelin Heinemanns, die er 1982 geheiratet hatte, noch vergönnt. Ein eindrucksvoller Lebenskreis hat sich geschlossen.

Rau hat sich als ein steter Mahner verstanden, etwa was das Zusammenleben der Menschen in Deutschland anbelangt. Menschen, die ihn kannten, rühmen ihn als Ausnahmepersönlichkeit. „Versöhnen statt Spalten“ war für ihn keine Floskel, sondern Konzept und Lebenshaltung. Mit seiner moralische Autorität hat er sich für Toleranz und Weltoffenheit, für das friedliche Zusammenleben von Menschen verschiedener Herkunft eingesetzt. Für Humanismus, Solidarität und Nächstenliebe hat er stets geworben, indem er sie aufrichtig und authentisch vorgelebt hat.

Als eine herausragende politische Leistung ist sein Engagement für Israel zu betrachten. Als erstes deutsches Staatsoberhaupt sprach Rau am 6. Februar 2000 vor der Knesset in Jerusalem - auf Deutsch. Ein Drittel der Abgeordneten blieben während der Rede ihren Plätzen fern und kehrten dann nach und nach in den Saal zurück angesichts der leisen Töne des Staatsgastes, der mit Demut sagte. „Ich bitte um Vergebung für das, was Deutsche getan haben, für mich und meine Generation, um unserer Kinder und Kindeskinder willen“, sagte Rau.

Johannes Rau hat stets Partei ergriffen, aber nicht im engen parteipolitischen Sinne. Er bezog Stellung zu Menschenrechtsfragen in China, äußerte Zweifel über den EU-Beitritt der Türkei, sprach sich gegen ein generelles Kopftuch-Verbot an deutschen Schulen aus und widersprach auch dem damaligen Kanzler Gerhard Schröder in Sachen Gentechnik. In seiner letzten Berliner Rede im Mai 2004, einer Rede der Bestärkung und des Mutmachens, warb der Präsident um „Vertrauen in Deutschland“. Seine Mahnung an die wirtschaftlichen und politischen Eliten, sich so zu verhalten, dass solches Vertrauen wieder wachsen kann, konnte deutlicher nicht sein.

„Das Ideal meiner Politik ist es, das Leben der Menschen im Laufe der Jahre ein Stückchen menschlicher zu machen“, hatte Rau im Dezember 1985 gesagt. Diesen Gedanken hat er gelebt und dabei das Ansehen Deutschlands in vielerlei Hinsicht vermehrt. Die Siebenbürger Sachsen werden ihn als herausragenden Freund und Förderer in ehrender Erinnerung bewahren.

Schlagwörter: Nachruf, Politik

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