31. Mai 2011

„Wir werden den konstruktiv-kritischen Dialog fortsetzen“

Die aus der politischen Wende 1989 in Rumänien erwachsene Restitutionsproblematik steht bis heute, zwei Jahrzehnte später, auf der Tagesordnung. Das kontinuierliche Engagement des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland auf diesem Feld bestätigt ein Grundsatzbeschluss des Bundesvorstandes vom 13. November 2010 in Wiesbaden, wonach sich der Verband „aktiv in Absprache mit den Verbänden der Föderation der Siebenbürger Sachsen sowie der Heimatkirche für gerechtere Rahmenbedingungen“ einsetzt. Die Wahrnehmung von individuellen Rechten obliegt den Betroffenen. In jüngster Zeit wurde vereinzelt Unmut geäußert über „Schönwetter- und Liebkindaktionen“ des Verbandes. Welchen Wert haben Spitzengespräche wie jenes am 2. März 2010 in Bukarest mit dem damaligen Innenminister Rumäniens, Vasile Blaga, sowie mit der Präsidentin der Nationalen Behörde für die Rückgabe von enteignetem Vermögen, Staatsekretärin Dr. Crinuța Nicoleta Dumitran? – Für die Verbandsstrategie, sachliche Konfrontation mit Fakten und konstruktiven Dialog zu kombinieren, wirbt der Bundesvorsitzende Dr. Bernd Fabritius in dem nachfolgenden Gespräch, das Christian Schoger führte.
Herr Fabritius, es herrscht viel Verbitterung unter Landsleuten, die trotz jahrelanger Bemühungen weder die Rückgabe ihres ursprünglichen Eigentums noch eine angemessene Entschädigung erreicht haben. Können Sie den Ärger verstehen?

Selbstverständlich! Es betrifft meine Familie genauso.


So hat Ihre Familie die Rückerstattung einer Immobilie beantragt. Mit welchem Ergebnis?

Meine Eltern haben die Erstattung des 1984 enteigneten Hauses, in dem auch ich aufgewachsen bin, beantragt. Die Gerichte haben aber bis zur letzten Instanz den Mieter, der mein Elternhaus für „einen Apfel und ein Ei“ vom rumänischen Staat verkauft bekommen hat, als „schutzwürdig“ eingestuft und den Antrag abgelehnt. Wir haben es leider verpasst, den Mieter damals noch vor dem Verkauf durch eine „Notificare“ nachweisbar bösgläubig zu machen. Die entsprechenden Informationen des Verbandes in der Siebenbürgischen Zeitung (siehe „Rechtmäßigkeit ist anzuzweifeln“ in Folge 11 vom 15. Juli 1996, Seite 3; und: „Vorbeugemaßnahmen immer noch möglich“ in Folge 15 vom 30. September 1996, Seite 3; die Redaktion) hatten wir leider nicht gelesen. Uns wurde bisher nur eine „Entschädigung“ angekündigt, aber seit Jahren nicht gezahlt. Ärgerlich ist, dass man gegen solche zeitlichen Verzögerungen nach Meinung unserer Berater in Rumänien kein Rechtsmittel hat.


Worin sehen Sie gegenwärtig die Hauptdefizite in der Restitutionsgesetzgebung und in der Anwendungspraxis?

Rumänien hat zwar auf den ersten Blick eine Restitutionsgesetzgebung geschaffen, die im Vergleich mit anderen Staaten des ehemals kommunistischen Ostblocks zahlreiche positive Regelungen enthält. Die Tücke steckt leider oft im Detail, das erst bei näherer Betrachtung offenbar wird. Lassen Sie mich die aus meiner Sicht drei größten Ungerechtigkeiten beim Namen nennen: Die Antragsfristen müssen erneut geöffnet werden, damit auch inzwischen im Ausland wohnende Betroffene nach entsprechender Information und unabhängig von deren aktueller Staatsangehörigkeit ihre verlorenen Rechte geltend machen können. Es wurden viel zu kurze Antragsfristen eingeräumt, was besonders die aus Rumänien ausgewanderten Berechtigten grob behindert hat. Weder war in der eingeräumten Zeit die entsprechende Information zu bekommen, noch konnten – aus dem Ausland heraus – die zur Antragstellung nötigen Papiere besorgt werden.


Sie sprachen von den drei größten Ungerechtigkeiten. Was beanstanden Sie abgesehen von den Antragsfristen noch?

Die Verfahren müssen straff und für die Betroffenen übersichtlich umgesetzt werden. Behörden auf örtlicher Ebene müssen durch klare Anwendungsbestimmungen auf den richtigen Weg gebracht werden. Immobilien wurden vom rumänischen Staat sehr schnell an die inzwischen darin wohnenden Mieter verkauft, obwohl sowohl der Staat als Verkäufer als auch die Mieter als Erwerber genau wussten, dass es sich um rechtswidrig enteignetes Vermögen handelt. In der Rechtssprache nennt man so etwas „Bösgläubigkeit“. Zwar schützt das Gesetz nur den gutgläubigen Erwerb, die Gerichte in Rumänien urteilen hier jedoch sehr restriktiv und überlassen den Betroffenen überzogene Beweisanforderungen an die Bösgläubigkeit der Käufer.


Wie wirkt sich dies auf die Gerichtsurteile aus?

In den meisten Fällen wird zu Gunsten der neuen „Unrechtseigentümer“ entschieden. So wurde und wird die Restitution, die rechtlich zwar vorgesehen war, de facto in vielen Fällen verhindert. Betroffene werden in solchen Fällen bisher mit Entschädigungsversprechen abgespeist, Entschädigungszahlungen sind bisher Einzelfälle.


In Ihre Kritik schließen Sie auch die örtlichen Behörden ein.

In der Tat. Selbst das vom Gesetzgeber vorgesehene Verfahren wird von den örtlichen Behörden oft missachtet und „im Kleinen“ behindert. Die Liste der individuellen Behinderungen, mit denen dann die einzelnen Antragsteller zu kämpfen hatten, reicht von der schlichten Verweigerung der Entgegennahme der Anträge bei vermeintlichen „Verstößen“ – so z. B. in der Stadt Agnetheln, wenn die Antragsteller die rumänische Staatsangehörigkeit nicht mehr hatten, was völlig unerheblich ist für die Antragstellung - bis hin zu korrupten Machenschaften einzelner Bürgermeister, die sogar ergangene Gerichtsentscheidungen einfach nicht umsetzen.


Wird Rumänien seine nationale Gesetzgebung im Rahmen bestehender europäischer Rechtsnormen noch anpassen müssen?

Aus meiner Sicht ist insbesondere nach dem Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union eine Diskriminierung ehemaliger Staatsbürger, die nun Bürger eines anderen EU-Landes sind, bei der Frage der Wiedergutmachung für Unrecht der kommunistischen Diktatur nicht haltbar. Auch das Verständnis für eine angemessene Hilfe zur Durchsetzung bestehender Rechte im Rahmen staatlicher Verwaltung ist noch verbesserungsfähig.


Dabei geht es vorrangig um …?

Um angemessene Antragsfristen, die Aufklärungspflicht der Verwaltung, um Amtsermittlung, Prozesskostenhilfe bei Mittellosigkeit und anderes mehr.


Kritische Stimmen werfen dem Verband der Siebenbürger Sachsen ein zu wenig kämpferisches Auftreten gegenüber der Regierung in Bukarest vor. Die bisherigen Gespräche mit rumänischen Spitzenpolitikern hätten keine grundlegende Verbesserung bewirkt. Wie fällt Ihre Zwischenbilanz aus?

Nüchtern, das heißt weder negativ noch übertrieben optimistisch. Die Restitution ist ein Thema, das gesetzlich zu regeln ist. Die Anwendung der Gesetze obliegt der Administration und deren Prüfung den Gerichten. Bei jedem dieser Felder ist Einsatz im Rahmen der Handlungsmöglichkeiten erforderlich. Gesetze werden aber nicht von einem Politiker gemacht, dafür benötigt ein Parlament Mehrheiten. Wir versuchen daher, durch möglichst breite Verhandlungsführung hier eine Verbesserung herbeizuführen. An einigen Stellen konnten Erfolge erzielt werden, andere Stellen „mauern“ noch.


Was zum Beispiel würden Sie als Erfolg verbuchen?

Die Intervention beim rumänischen Innenminister im letzten Jahr war ein sehr positiver Schritt, auch in der Wirkung. Auf unsere Gespräche im März 2010 in Bukarest geht zurück, dass nun vermehrt die Restitution in Natura aus Grundstücksflächen der Staatsreserven (ADS) angegangen wird. Bei dem Gespräch wurde dieser Gedanke geboren. Innenminister Blaga hatte spontan den zuständigen Staatssekretär hinzugezogen und erste Maßnahmen eingeleitet, über deren Umsetzung wir wenige Wochen danach mit Fakten informiert wurden (siehe Folge 5 der Siebenbürgischen Zeitung vom 31 März 2010, Seite 1; die Redaktion). Leider ist dieser Innenminister einige Zeit später aus Gründen der rumänischen Innenpolitik zurückgetreten, was für unsere Bemühungen ein Rückschlag war. Wir versuchen seither, den Faden an allen möglichen Stellen wieder aufzunehmen. Ich habe Verständnis dafür, wenn das einigen Betroffenen zu langsam geht. Auch ich hätte gerne schnellere Entwicklungen. Gesetzgebung und staatliche Verwaltung in Demokratien funktionieren aber nach bestimmten Regeln, die wir nicht ändern können.


Welche Gründe sprechen dafür, die aktuelle Verbandspolitik, statt auf Konfrontation auf Dialog zu setzen, fortzuführen?

Der Verband setzt auf sachliche Konfrontation mit Fakten und auf konstruktiven Dialog zur Situationsverbesserung. Es ist ein Zusammenspiel. Wenn Sie aber mit „Konfrontation“ eher Drohung oder Streit meinen, so sprechen Sie Mittel an, mit welchen in solchen Zusammenhängen nichts bewegt werden kann. Womit sollten wir denn schon drohen? Wir Siebenbürger Sachsen hatten das Glück, nach den Erfahrungen im Repressionsstaat Ceaușescus nun auch ein Leben nach demokratischen Spielregeln kennen zu lernen und zu erfahren, dass man nur damit etwas erreichen kann und auch erreicht. Das gilt zunehmend auch in Rumänien.


Aus den Reihen des Restitutionsvereines „RESRO“ wurde nicht nur der Verband, sondern auch Sie persönlich lautstark angegriffen. Wie bewerten Sie die nun erfolgte Distanzierung des Vereinsvorstandes von solchen Positionen (siehe RESRO-Erklärung)?


Nun, der Vorstand von RESRO und die allermeisten Mitglieder dort verfolgen das gleiche Interesse wie unser Verband, nämlich die Schaffung gerechterer Rahmenbedingungen für die Restitution. Zudem sind die Mitglieder von RESRO alle persönlich betroffen und verfolgen – zu Recht – ein individuelles Interesse, an dessen Verwirklichung jeder nach den Gegebenheiten und der Sachlage seines Einzelfalles arbeitet. Ich konnte bei der letzten Mitgliederversammlung von RESRO persönlich anwesend sein und die Position des Verbandes sowie dessen Bemühungen erläutern. Diese wurde von der überwältigenden Mehrheit geteilt. Sowohl der Vorstand von RESRO als auch die Mehrheit der Mitglieder erkennen die anstehenden Ziele und auch die Wege, die dazu führen können. Billige Stammtischpolterei, populistische Häme und Verleumdung einzelner Entscheidungsträger in Rumänien und in Deutschland gehören nach übereinstimmender Auffassung nicht dazu, sondern schaden dem gemeinsamen Anliegen. Konkrete Kritik von Punkten, die anders gemacht werden sollten, wird in solchen Fällen in aller Regel nicht aufgezeigt, es erschöpft sich in Schlechtmacherei. Solche Einzelfälle würde ich daher nicht überbewerten.


Um überzogenen Erwartungen entgegenzutreten: Welche realistischen Möglichkeiten besitzt unser Verband überhaupt, auf möglichst zügige Verbesserungen der Rahmenbedingungen aktiv hinzuwirken?

Unser Verband kann sich nur für die Verbesserung der Rahmenbedingungen einsetzen und leider keine individuelle Hilfe in einzelnen Prozessen leisten. Auch lassen sich keine Sammelklagen auf den Weg bringen, weil die einzelnen Sachverhalte und die Beweislagen zu unterschiedlich sind. Wir können nur durch Verhandlungen mit den Entscheidungsträgern in Rumänien diese für unsere Anliegen gewinnen und Weichenstellungen zur Lösung fordern. Wir werden dafür alle bisher schon eingeschlagenen Wege beharrlich fortsetzen.


Ist eine neue Initiative geplant?

Der nächste Schritt sind die Gespräche mit dem rumänischen Außenminister Teodor Baconschi beim Heimattag in Dinkelsbühl. Auch hat der Verband bereits vor Monaten die Fortsetzung der Gespräche mit dem Innenministerium nach dem Wechsel des für diesen Bereich zuständigen Ministers beantragt, aber noch keinen Gesprächstermin in Bukarest angeboten bekommen. Wir werden das Thema also beharrlich, mit Nachdruck in einem konstruktiv-kritischen Dialog mit den Entscheidungsträgern in Rumänien weiter verfolgen und hier auch die deutsche Politik unterstützend einbeziehen. Unsere Mitglieder und die Öffentlichkeit werden wir über Erfolge und auch über Rückschritte laufend informieren.


Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch.

Schlagwörter: Restitution, Verbandstag 2011, Rechtsfragen, Wiedergutmachung

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