12. Mai 2024

Viktor Kästner: „Wäjjelied“

Mutterliebe schenkt Urvertrauen durch die frühkindliche Erfahrung von Geborgenheit. Muttersprache schenkt kulturelle Identität durch das frühe Hören volkseigener Märchen und Geschichten – wie Viktor Kästner (1826-1857) in seinem „Wäjjelied“ in mütterlich kindgemäß verniedlichendem Ton beschreibt.

Bernddieter Schobel

Viktor Kästner

Wäjjelied

Da se za de Nuckelcher,
guuldij härzet Schatzken!
Net verpramp deng Wuckelcher
mät dem klene Gatschken!

Bäst te bies und knaufst te mer,
mess ich mät der beeren;
bäst te fromm, erziël’n ich der
än de Wängter Meren:

Vun dem Månchen Dommelånk,
dåt, meer wor et klinzij,
hadd e Bärtchen iëllelånk,
Uģe wä är zwinzij.

Wä ed angd’r e Birrebliëd
iest sich had verstoochen
und dem Ißen än det Ihr
änne wor gekroochen.

Uch de Mer vum starken Honz,
diër de Bim kangd bijen,
doch e hadd uch siwwe Johr
Mottermälch gesijen.

Un em Dåģ åß hie ellin
siwwe Virel Krumpen,
doräm kangd e Millestin
än der Håånd zegrumpen.

Wonn te härz uch inij bäst,
näckend mich wirst quwiëlen,
keend ich nooch en gånzen Dräst*
Meren der erziëlen.
Wänn te irscht nooch gresser wiëßt,
wäll ich der Geschichten
vun de Sachsen ihrefiëst
ous åålder Zekt berichten.

Wä se sich äm Tirkestregd
ritterlich gebrangen,
bäs der Zäkel sängt der Zekt
mäd es ugefangen.

Wä äm gåånze Låånd dersängt
iwwerål Geprånkel*
und gorr munch i Mängsch no’m Wängd
klangle* lett de Månkel.

Doch ta kåst dett net verstohn,
guuldij härzet Schatzken,
huest deng Uģen zagedon,
schleefst schie wä e Ratzken.

Worterklärungen

Dräst – „eine Menge, ein Haufen“ (Siebenbürgisch-Sächsisches Wörterbuch, Zweiter Band: Erste Lieferung, Strassburg 1911)
Geprånkel – Wortstreit, Gezänk. „Subst. zu pronkeln“ (Siebenbürgisch-Sächsisches Wörterbuch. Dritter Band G, Bukarest, Berlin 1971)
klangle – baumeln, im Sinne von sprichwörtlich: sein Mäntelchen nach dem Wind hängen

Schlagwörter: Sachsesch Wält, Mundart, Gedicht

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