10. Dezember 2006

Südosteuropas Geschichte in Fünfkirchen (Pecs) erforscht

Das Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilian-Universität München und der Lehrstuhl für Geschichte der Universität Fünfkirchen (Pecs) veranstalteten im November 2006 die Tagung: „Die Staatspolitik gegenüber Minderheiten in Südosteuropa im Spätstalinismus“. Zum Auftakt sprachen IKGS-Direktor Dr. Stefan Sienerth und Professor Ferenc Fischer, Lehrstuhlleiter in Pecs, zum Rahmenthema sowie über die Pläne zur verstärkten Kooperation der beiden Institutionen.
Einleitend referierte PD Dr. Mariana Hausleitner (München) über die Jugoslawienkrise 1948-1955 und benannte als wichtigste Merkmale des Spätstalinismus: die Machtkämpfe, Repression und Konflikte über die Schwerpunkte in der Wirtschaftsförderung. Nach der Darstellung des Anlasses, der Hintergründe und Folgen der Krise in Jugoslawien wurden auch die Auswirkungen auf die Nachbarländer angesprochen. In diesem Kontext steht die Deportation 1951 aus dem Banat von 40 320 Deutsche, Serben und Rumänen in den Bărăgan. Dr. Michael Portmann (Wien) analysierte „Die jugoslawisch-kommunistische Bevölkerungspolitik zwischen Tradition und Revolution“ und insbesondere die Nationalitätenpolitik in der Vojvodina zwischen 1944 und 1953. Die internationalistischen Ideen ließen sich nur sehr bedingt bzw. in Bezug auf die deutsche Minderheit praktisch gar nicht umsetzen. Dr. Zoran Janjetović (Belgrad) untersuchte die Lage der ungarischen Minderheit in Jugoslawien zwischen 1944 und 1956. In den Kriegsjahren sympathisierten viele Magyaren mit der ungarischen Besatzungsmacht und nur wenige schlossen sich den Partisanen an. Im Herbst 1944 waren die Ungarn der Rache der Partisanen ausgesetzt: Mehrere Tausend wurden ermordet oder in Lager interniert. Nach 1945 entstanden Kulturvereine, später auch eigene Schulen. Obwohl sich die ungarische Minderheit während des Konfliktes zwischen Jugoslawien und dem Ostblock ruhig verhielt, wurde sie von staatlicher Seite mit Misstrauen verfolgt. Dr. Hildrun Glass (München) berichtete über „Die jüdischen Organisationen in Rumänien im Visier des kommunistischen Regimes: Die Politik der RKP gegenüber den Juden 1948-1954“. Unmittelbar nach dem Krieg diente das Jüdische Demokratische Komitee zur Gleichschaltung der Gemeinden. Nach 1947 wurden die zionistischen Organisationen zerschlagen und 1950 erfolgte eine Verhaftungswelle. Im Anschluss wurde ein Prozess gegen zionistische Führer vorbereitet. Gleichzeitig konnten die Juden nach Israel auswandern und 1950-1951 verließen ca. 90 000 Rumänien, 1952 wurde die Auswanderung gestoppt.

Dr. Julia Brandt (München) sprach über die Gesellschafts- und Minderheitenpolitik in Ungarn nach 1946. Sie beschrieb seiner Intention nach das kommunistische Projekt als gewaltsam induzierter Prozess der Errichtung einer neuen Gesellschaftsordnung, seinem Funktionieren nach war es ein von oben induzierter Prozess der nachholenden Modernisierung. In der Enteignung und Vertreibung eines großen Teils der Ungarndeutschen verbanden sich Ziele der Bestrafung von Faschisten und Kriegsverbrechern, bzw. die Schaffung sozialer Gerechtigkeit für die Landlosen. Nach 1949 wurden die Rechtsbeschränkungen aufgehoben. Nun war die reibungslose Einbeziehung der Minderheiten als Arbeitskräfte wünschenswert und von ihren gleichgeschalteten Organisationen ging keine Gefahr mehr aus. Zsolt Vitári (Pecs) sprach über „Schranken der gesellschaftlichen Organisierung der Ungarndeutschen in der Rákosi-Ära“. Vor 1949 galten sie als ehemalige Unterstützer des faschistischen Volksbundes. Ca. 64 000 wurden zum Arbeitsdienst in die UdSSR verschickt, ca. 160 000 „umgesiedelt“. Seit 1951 entstanden die ersten deutschen Schulen, es fehlten aber oft ausgebildete Lehrer. Die Lage der Deutschen begann sich erst nach Rákosis Entlassung 1956 wesentlich zu verbessern. Dr. Ferenc Eiler (Budapest) referierte über „Ethnizität, öffentliches Leben, lokale Macht am Beispiel des ungarländisch-deutschen Dorfes Harta 1945-1956“. Dort waren 250 Familien 1947 in die Sowjetisch Besetzte Zone vertrieben und dafür Ungarn aus der Slowakei und Jugoslawien angesiedelt worden. Danach verschwand die deutsche Sprache aus dem öffentlichen Leben der Gemeinde. Bei den nach 1945 Geborenen spielte die Herkunft eine immer geringere Rolle. Nóra Rutsch (Pecs) analysierte die „Vertreibung von Ungarndeutschen und ihre Integration in der Sowjetisch Besetzten Zone“. Aus Ungarn wurden 50 000 Deutsche zwischen 1947 Juni 1948 in die SBZ vertrieben. Sie mussten zumeist neue Berufe erlernen, weil sie in der Landwirtschaft keine Beschäftigung gefunden haben. Die Sonderleistungen für die Vertriebenen endeten 1952, danach galt ihre Eingliederung als abgeschlossen. Ab 1953 belegte die DDR die Vertriebenenproblematik bis zu den 70er Jahren mit strengem Tabu. Durch die Verbindung der allgemeinen Analysen mit den Mikrostudien brachte die Tagung für die Beteiligten und Zuhörer viele neue Erkenntnisse. Die Ergebnisse werden 2007 im Münchner IKGS-Verlag publiziert.

M.H.


Schlagwörter: Tagung, IKGS, Südosteuropa

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