17. April 2024

Migration in Siebenbürgen/Tagung der Genealogen der Siebenbürger Sachsen in Bad Kissingen

Vom 8. bis 10. März fand das 30. Seminar der Genealogen der Siebenbürger Sachsen in der Tagungsstätte Heiligenhof in Bad Kissingen statt. Organisiert wurde die Veranstaltung vom Verein für Genealogie der Siebenbürger Sachsen e.V. (VGSS). Das Seminar wurde durch das Kulturwerk der Siebenbürger Sachsen e. V. und das Bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales gefördert. Während dieser Jubiläumstagung lag der Fokus auf der Ein- und Auswanderung in Siebenbürgen. Schwerpunkte waren die Transmigration der Landler, die Einwanderungswellen der Durlacher, Hanauer und Württemberger sowie die Arbeitsmigration und Auswanderung der Siebenbürger Sachsen nach Amerika.
Die Genealogieseminar-Teilnehmer vor dem ...
Die Genealogieseminar-Teilnehmer vor dem Heiligenhof in Bad Kissingen. Foto: Martin Buck
Es reisten nahezu 60 Genealogen an, alle in freudiger Erwartung auf ein Wiedersehen oder Kennenlernen, auf einen Erfahrungsaustausch und nicht zuletzt auf die angekündigten interessanten Vorträge zur Seminarthematik. Die Tagung eröffnete Jutta Tontsch am Freitag, im Anschluss an das Abendessen, in altbewährter Form: Sie begrüßte die Seminarteilnehmer und leitete zu einer kurzen Vorstellungsrunde ein. Danach führte Dr. Dietmar Gärtner in die Seminarthematik ein, gewährte den Teilnehmern einen Einblick in den Stand der Arbeiten und gab noch einige hilfreiche Erläuterungen zur IT-Infrastruktur des Projektes beziehungsweise zur Nutzung der genealogischen Datenbanken, ausgehend von der Projektwebseite https://vgss.de, sowie einen kurzen Ausblick auf anstehende Neuerungen. Nach einem spontanen Kurzvortrag zu sogenannter Nimescher Keramik, die mutmaßlich auf Töpfer aus dem Elsass zurückgeht, entließ Gärtner die Teilnehmer schließlich in einen offenen und geselligen Austausch.

Der Samstag sollte ein sehr intensiver Projekttag werden. Den Auftakt dazu gestaltete Christa Wandschneider mit ihrem Vortrag über die „Landler, ihre Geschichte und Genealogie“. Sie referierte über die Geschichte ihrer Vorfahren und erklärte den Begriff „Landler“ als Sammelname für die siebenbürgischen Nachkommen der unter Kaiser Karl VI. und Kaiserin Maria Theresia aus den Erbländern der Habsburger an den Rand der Donaumonarchie deportierten Protestanten. Die Geschichte der Transmigranten, so der beschönigende Name für die unter Zwängen aus der Heimat vertriebenen Evangelischen, war eine tragische Begebenheit, die viel Leid und Kummer über die Betroffenen brachte. Wandschneider ging auf die wechselvolle Geschichte und die Ursachen der Zwangsumsiedlung der Transmigranten nach Siebenbürgen ein. Ein kurzer Rückblick in die Geschichte Österreichs, vor allem der des Salzburger Landes, zeigte, wie sich der Protestantismus entwickelte und ausbreitete. In der sogenannten Karolingischen Transmigration (unter Kaiser Karl VI., 1734-1737), der Theresianischen Transmigration (unter Kaiserin Maria Theresia, 1752-1758) sowie einer späteren (1773-1776) mussten ungefähr 4.000 Protestanten ihre Heimat im Salzkammergut, Oberösterreich, Kärnten und der Steiermark verlassen. Die Ankunft in Siebenbürgen erfolgte auf dem Wasser- und Landweg. Nach einer rigorosen Glaubensprüfung in Heltau, wo sie 74 Glaubensfragen beantworten mussten, wurden die Transmigranten erst in Neppendorf und Großau, später in Großpold angesiedelt. Von den in den Jahren 1752-1758 Deportierten verstarben etwa ein Drittel bereits auf den Transportwegen oder kurz danach, ein Drittel wurde angesiedelt und die Restlichen kamen als Tagelöhner in ca. 35 Ortschaften unter. Die Eingliederung der Transmigranten war schwierig, es entwickelten sich nur drei Landlergemeinden, die ihren Dialekt heute noch sprechen. Anhand eines genealogischen Stammbaumes der Familie Glatz zeigte Christa Wandschneider die Ansiedelung dieser sehr großen und verzweigten Verwandtschaft auf. In Gundelsheim sind im Siebenbürgen-Institut Kopien der Transmigrationsmatrikeln archiviert.

Über die Einwanderungswellen der Durlacher, Hanauer und Württemberger im 18. und 19. Jahrhundert nach Mühlbach referierte Christina Duca. Wirtschaftliche Not und Armut, Naturkatastrophen sowie Überbevölkerung entfachten in diesen Regionen mehrere Auswanderungswellen (1680-1811) aus Südwestdeutschland in das aufstrebende Königreich Preußen, in die britische Kolonie an der Ostküste Nordamerikas und nach Südosteuropa, wo die Habsburger nach dem Sieg über die Türken (Wien, 1683) die Kolonisation in den Donauraum, ins Banat, nach Siebenbürgen, Galizien und die Bukowina erfolgreich vorantrieben. Die Auswanderungen aus der Markgrafschaft Baden-Durlach waren hauptsächlich organisierte Massenauswanderungen, veranlasst durch Werbeaktionen mit kaiserlicher Unterstützung im Heiligen Römischen Reich. Einen Höhepunkt der Auswanderungswellen erreichte die Einwanderung von Protestanten aus Baden-Durlach um 1748/49 nach Sieben­bürgen, angeregt durch Briefe lutherischer Siebenbürger. Dem Auswanderungsfieber wurde 1750 von den badischen Behörden schließlich Einhalt geboten. Während dieser Einwanderungswelle wanderten insgesamt 177 Familien mit 583 Personen nach Mühlbach aus, von denen einige u.a. nach Mediasch weiterzogen. Eine weitere große Einwanderungswelle aus dem Durlacher Oberland und dem Hanauer Land in der Gegend beidseitig des Rheins bei Kehl erfolgte in den Jahren 1770/71, ausgelöst durch die Hochwasserkatastrophe am Oberlauf des Rheins. 665 Personen wanderten diesmal nach Mühlbach, Petersdorf und Deutschpien aus. Die Auswanderer kamen auf dem Landweg bis Ulm und setzten ab hier mit den „Ulmer Schachteln“ ihren Weg auf der Donau über Wien bis Pest fort, um ihren letzten Weg in die neue Heimat schließlich mit Postwagen auf dem Landweg zu bestreiten. In Mühlbach fanden die Einwanderer günstige Ansiedlungsbedingungen vor. Die von den türkischen Angriffen, den aufständischen Kuruzen und der Pest gebeutelte Stadt wies den Neuankömmlingen ein eigenes Stadtviertel zu und gewährte ihnen zusätzliche Privilegien. Sie entwickelten sich zu einem wichtigen Wirtschafts- und Kulturfaktor in Mühlbach und prägten die Stadt bis ins 20. Jahrhundert hinein. Die zunehmenden Magyarisierungstendenzen in Siebenbürgen im 19. Jahrhundert führten zu einer weiteren Anwerbung deutscher Einwanderer durch Stephan Ludwig Roth (1796-1849). Aus dem Königreich Württemberg wanderten um 1846, in einer letzten Einwanderungswelle, 307 Familien mit 1460 Personen in Siebenbürgen ein.

Den Vorträgen über Einwanderungen nach Siebenbürgen schloss sich Jutta Tontsch mit ihrem Vortrag über die „Arbeitsmigration und Auswanderung von Siebenbürger Sachsen nach Amerika“ an. Sie erläuterte die Gründe (hauptsächlich ökonomische), aus denen etliche Siebenbürger Sachsen im 19. und 20. Jahrhundert nach Amerika auswanderten, schilderte den beschwerlichen Weg, den diese von ihrer Heimat bis zu ihrem Zielort auf sich nahmen, und gab Einblicke in das Leben der Auswanderer während der ersten Jahrzehnte nach ihrer Ankunft in der neuen Heimat. Dazu bediente sich Tontsch einer sehr umfangreichen Bildersammlung, welche Zeugnis von der Auswanderung der Siebenbürger Sachsen nach Amerika ablegte, aber auch über ihren Zusammenhalt in der neuen Heimat, sozialisiert in eigenen Organisationsstrukturen von Vereinen und Kreisen (Zweigen), wie zum Beispiel Krankenunterstützvereine, Männervereine, Frauenvereine oder verschiedene Musik- und Gesangsgruppen. Insgesamt wanderten zwischen 1880 bis 1955 ca. 30.000 Siebenbürger Sachsen nach Amerika aus, was über 10% ihres Volksstammes entsprach.

Für die Seminarteilnehmer waren schließlich die Informationen, die Dietmar Gärtner in zwei weiteren Vorträgen lieferte, sehr bedeutsam für ihre Arbeit. Zum einen zeigte Gärtner auf, wie Auswanderungsgeschichten in dem erfassten Datenbestand der Genealogie-Datenbank recherchiert beziehungsweise herausgefiltert werden können. Zudem existiert, dank einer äußerst fleißigen Genealogin aus Kanada, Monika Ferrier, ein Dokument mit Amerika-Auswanderern, die sie unzähligen Passagierlisten entnommen, übersetzt und mit höchster Gründlichkeit erfasst hat. Dieses Dokument und die daraus erzeugte projektinterne Datenbank, die sich ebenfalls als Quelle für die Erfassung von Auswanderern gut eignet, stellte Gärtner in seinem zweiten Vortrag den Projektmitarbeitern vor.

Wie erfolgreich das Projekt Genealogie der Siebenbürger Sachsen inzwischen voranschreitet, legte am Abend Waltraut Gross in ihrer statistischen Auswertung dar. Inzwischen können in der öffentlichen Genealogie-Datenbank des VGSS (https://vgss.de/genealogie-datenbank/) 467.897 Personen und 166.659 Familien in 41 Ortsgenealogien von registrierten Nutzerinnen und Nutzern eingesehen werden. Im Hintergrund wird jedoch fleißig und gewissenhaft weitergearbeitet. 95 ehrenamtliche Mitarbeiter bearbeiten aktuell 130 Orte, es wurden bereits 1.241.351 Personen und 435.192 Familien erfasst.

Das Seminar schloss am Sonntag mit zwei weiteren für die genealogische Arbeit inspirierenden Vorträgen, die jedoch von der Seminarthematik abwichen. Agathe Wolff stellte die „Protokolle des Landeskonsistoriums der Evangelischen Landeskirche in Rumänien A.B. im Zeitraum 1919-1944“ vor. Dabei handelt es sich um vier Bände, in denen sämtliche Protokolle aus dieser Zeit veröffentlicht wurden. Mit ihrem Vortrag lieferte Wolff einen kleinen Wegweiser durch die Protokolle und gab einen Einblick über die Informationen, die insbesondere für die genealogische Arbeit aus den Protokollen gewonnen werden können.

Und für die Seele der Genealogen sorgte schließlich Rudolf Girst mit einem Fotovortrag „Siebenbürgen – von Broos bis Draas, von Kronstadt bis Bistritz – Kirchenburgen und Kirchen der Siebenbürger Sachsen“. In einem langjährigen Projekt fotografierte er auf insgesamt neun Rundreisen 238 siebenbürgische Ortschaften mit ihren Kirchen und Kirchenburgen und veröffentlichte diese Bilder in verschiedenen Fotoalben auf seiner Webseite unter https://rgirst.de/sbbg-kirchen.htm. Es sind Zeugnisse für das Leben und Wirken der Siebenbürger Sachsen in dem Landstrich, wo leider nur noch wenige von ihnen anzutreffen sind.

Agathe Wolff


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Schlagwörter: Genealogie, Tagung, Bericht

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