17. März 2024

Ansprechendes Lesebuch mit Aufzeichnungen einer besonderen Wanderung

„Durchs wilde Herz der Karpaten. Meine Wanderung in den letzten großen Urwäldern Osteuropas“ von Gerald Klamer
Reinhold Messner schreibt über das Programm des Malik-Verlags: „Inspirierende Reiseerzählungen und kluge Reportagen, außergewöhnliche Lebens- und Überlebensgeschichten, packende Berg- und Abenteuerberichte, Tier- und Naturbücher“. Davon ausgehend ist das vorliegende Buch ein typisches Malik-Buch; der Untertitel verspricht allerdings etwas mehr, als dann gehalten wird. Man sollte bereit sein darüber hinwegzusehen, dass mit Begriffen wie „große Urwälder“ oder „natürliche Wälder“ etwas lässig umgegangen wird. Typische Wandererlebnisse in unwegsamem Gelände, oft etwas weiter weg von touristisch gut erschlossenem Gebiet, sind kurzweilig und spannend erzählt. Einige Erlebnisse bei Übernachtung, Verpflegung und Fortbewegung in der Landschaft und den Wäldern kommen in den Schilderungen einzelner Wanderungen öfter vor, wiederholen sich also ermüdend.

Im Epilog lässt der Autor seine Motivation zu den Wanderungen anklingen. Er durchstreifte einen großen Teil des Weltnaturerbes „Alte Buchenwälder und Buchenurwälder der Karpaten und anderer Regionen Europas“ auf selbst gewählten Routen. Unter dieser Bezeichnung führt die UNESCO zahlreiche räumlich getrennte Buchenwaldgebiete in europäischen Ländern. Die Gesamtfläche der eingetragenen Buchenwälder liegt derzeit bei über 90 000 Hektar, wovon ca. ein Drittel in der Ukraine liegen. Seit 2021 umfasst dieses Naturerbe nunmehr 94 Waldgebiete in 18 europäischen Ländern. Folgende Einschätzung der UNESCO beeindruckt und fordert Beachtung: „Das Welterbe Buchenwälder steht auf einer Stufe mit anderen märchenhaften Orten von Weltrang: Naturstätten wie dem Great Barrier Reef, den Galapagos-Inseln oder dem Grand Canyon und Kulturstätten wie dem Tadsch Mahal, Machu Picchu oder Stonehenge.“

Der Autor beklagt, dass selbst in Rumänien, dem Land mit den ausgedehntesten „Urwäldern“, nur noch verschwindend geringe Flächen vorhanden sind. Auch kennt man derzeit die realen Ausmaße nicht, da vollständige Inventuren noch nicht vorliegen. Sind diese Wälder jedoch „Urwälder“? Wissenschaftler aus der Schweiz und der Ukraine, wo die ersten großen, unter UNESCO-Schutz gestellten Waldflächen beschrieben wurden, stellen fest: „Urwälder im engeren Sinne gibt es in Europa mit seiner Jahrhunderte alten Besiedlungsgeschichte und seiner Bevölkerungsdichte keine mehr. Auch gibt es heute keine Wälder mehr, die nicht in irgendeiner Form einem indirekten menschlichen Einfluss wie zum Beispiel Immissionen ausgesetzt sind. Vor allem in den Gebirgszügen Ost- und Südosteuropas gibt es noch einige kleinere Waldgebiete, die von der Holznutzung verschont geblieben sind und deren Vegetation, Baumartenmischung und Aufbau heute keinen offensichtlichen Einfluss durch den Menschen erkennen lassen. Solche Wälder – manchmal werden sie auch sekundäre Urwälder genannt – sind als Urwälder im weiteren Sinne zu betrachten. Zu dieser Kategorie gehören auch die Urwälder der ukrainischen Karpaten ...“. Leider konnte der Autor wegen der Kriegssituation diesen wichtigen Teil des Naturerbes nicht begehen. Im Karpatenbiosphärenreservat finden sich ca. 14 500 ha Buchenurwälder, die zum Teil noch landschaftsprägend sind. Diese Wälder setzen sich jedoch auch nach Osten fort. Die südöstlich von Transkarpatien gelegene Bukowina hat ihren Namen von der Buche (ukrainisch „Buk“) erhalten. „Im Unterschied dazu wird der Begriff Naturwald für nicht mehr bewirtschaftete Wälder verwendet, die zwar natürliche, das heißt dem Standort entsprechende Baumarten und Pflanzengesellschaften aufweisen, in denen jedoch noch Spuren früherer Nutzungen erkennbar sind ...“ Ein nicht unerheblicher Teil der bewanderten Waldgebiete ist wohl eher als Naturwald zu bezeichnen. Dies stellt der Autor gelegentlich auch fest, wenn er abseits von Waldwegen, auf Wildwechseln oder ohne „Weg und Steg“ in steilem, bewegtem Gelände oder in Tobeln und kleinen Schluchten auf- oder absteigt. Seine Ehrfurcht vor den alten, mächtigen Baumriesen in Waldflächen mit beeindruckender Biodiversität ist spürbar, glaubhaft und plastisch beschrieben.

Für in der siebenbürgischen Geschichte Bewanderte fallen einige Fehlinformationen auf. In Rumänien gab es z. B. zu keiner Zeit 800 000 Siebenbürger Sachsen. Auch ist deren Zahl für heute zu hoch angesetzt. In diesem Buch ist das jedoch nur Füllmaterial, wird daher dem Unkundigen gar nicht störend auffallen. Sieht man von der fatalistischen Betrachtungsweise, die Forstwirtschaft allgemein mit „Waldzerstörungsaktionen“ betitelt, ab, hält man ein interessantes, sehr persönliches Wanderbuch mit wunderbaren Einblicken in die Karpatenwelt in Händen.

Dr. Johann Kremer

Gerald Klamer: „Durchs wilde Herz der Karpaten“. Meine Wanderung in den letzten großen Urwäldern Osteuropas. Malik Verlag, München, 2024, 272 Seiten, 16 Seiten Farbbildteil und eine farbige Karte, 18 Euro, ISBN 978-3-89029-579-4.

Schlagwörter: Buch, Karpaten, Wanderung

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