28. Oktober 2023

Geschichte des Rechts im Donau-Karpaten-Raum: Tagung des Landeskundevereins des AKSL an der Universität Passau

Vom 21. bis 24. September 2023 tagten an der Universität Passau erstmals drei wissenschaftliche Einrichtungen gemeinsam, die sich der Erforschung der Geschichte des Donau-Karpaten-Raumes verschrieben haben. Zusammen mit dem Bundesinstitut für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa an der Universität Oldenburg (BKGE) veranstalteten der Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde e.V. Heidelberg (AKSL) und die Kommission für Geschichte und Kultur der Deutschen in Südosteuropa e.V., Tübingen (KGKDS) ihre Jahrestagungen in der Dreiflüssestadt. Gastgeber dieser 55. Jahrestagung des Landeskundevereins, an der 55 Personen teilnahmen, waren der Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte Osteuropas und seiner Kulturen der Universität Passau sowie die Zweigstelle Passau der Südosteuropa-Gesellschaft e.V. (SOG).
Vor dem Beginn der internationalen Konferenz führte die KGKDS am 21. September ihr traditionelles Seminar für den wissenschaftlichen Nachwuchs durch, welches sich das Tagungsthema „Geschichte des Rechts im Donau-Karpaten-Raum im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit“ zu eigen gemacht hatte. Unter der Leitung von Dr. Julia Derzsi (Hermannstadt/Sibiu), Dr. Dr. Gerald Volkmer (Oldenburg) und Dr. Ulrich A. Wien (Landau) interpretierte ein Kreis interessierter Studenten und Doktoranden Quellen zur Geschichte der Gerichtsbarkeit sowie des Straf- und Kirchenrechts. Darüber hinaus stellten drei Promovierende ihre Dissertationsthemen zur Diskussion: Elena-Loredana Gogoaşe aus Hermannstadt („Codex Altemberger – zwischen rechtlicher Transplantation und kulturellem Ausdruck“), András Biczó aus Debrezin („Benedikt Carpzov der Jüngere in der Gerichtspraxis von Debrezin. Analysis der Verweise auf den bedeutenden Rechtsgelehrten in den Akten der im 18. Jahrhundert vom Debreziner Stadtmagistrat angestrengten Strafprozesse“) und Andrei Moga aus Klausenburg („Die juristische Problematik in der siebenbürgisch-sächsischen Mediävistik um 1900. Themen, Vertreter, Werke“).

Eröffnet wurde die Tagung am Donnerstagnachmittag (21. September) durch die Grußworte der drei Veranstalter, vertreten durch Prof. Dr. Matthias Weber (Direktor des BKGE), Dr. habil. Mathias Beer (Vorsitzender der KGKDS) und Dr. Harald Roth (Vorsitzender des AKSL), sowie des Gastgebers Prof. Dr. Thomas Wünsch (Universität Passau und SOG Passau).

Dr. Dr. Gerald Volkmer (BKGE) führte in die ...
Dr. Dr. Gerald Volkmer (BKGE) führte in die Tagung ein. Foto: Matthias Weber
Der Organisator und Leiter der Tagung, Gerald Volkmer (stellvertretender Direktor des BKGE, Mitglied des geschäftsführenden Vorstands des AKSL und Kommissionsmitglied), skizzierte in seiner Einführung den Rahmen der Konferenz. Er betonte, dass der chronologische Schwerpunkt auf dem Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit liege, um die in diesem Bereich in den vergangenen Jahrzehnten in Mittel- und Südosteuropa in großer Zahl entstandenen neuen Forschungsergebnisse zu präsentieren. Geografisch werde das Gebiet des historischen Königreichs Ungarn und seiner Nebenländer (Siebenbürgen, Kroatien, Slawonien, Banat) im Vordergrund stehen, nicht zuletzt die Interferenzen mit den benachbarten Großmächten (vor allem Osmanisches Reich, Heiliges Römisches Reich bzw. Habsburgermonarchie). Am Ende seiner Einführung lud Volkmer die Anwesenden herzlich zur Mitarbeit im Fachbereich Rechts- und Wirtschaftsgeschichte des AKSL ein, der bestrebt sei, an die rechtshistorischen Forschungen des Vereins für siebenbürgische Landeskunde (1840-1947) anzuknüpfen. Prof. Dr. Dr.h.c. mult. Gábor Hamza (Ungarische Akademie der Wissenschaften, Budapest) konzentrierte sich in seinem Eröffnungsvortrag („Einführung in die Rechtsgeschichte der Länder der ungarischen Krone“) auf die Wirkmächtigkeit der Stephanskrone in den Rechtsordnungen des Donau-Karpaten-Raumes. Den Tag beschloss die Zusammenfassung der Ergebnisse des Seminars für den wissenschaftlichen Nachwuchs, die von Michael D. Krauss (Universität Wien) vorgetragen wurde.

Am 22. September wurden im Rahmen der ersten Sektion Ordnungen und Quellen des Rechts vorgestellt. Prof. Dr. Béla Szabó (Universität Debrecen) führte in die Entwicklung der Rechtswissenschaft im Ungarn der Frühen Neuzeit ein, die vor allem zu einer Verwissenschaftlichung der Rechtspraxis geführt habe. Es folgte Prof. Dr. Sándor Papp (Universität Szeged) mit einem Überblick über den in den osmanischen Provinzen Ungarns herrschenden Rechtspluralismus, der durch die Koexistenz und Konkurrenz islamischer und christlicher Gerichtsinstanzen, vor allem des osmanischen Kadis und ungarischen Dorfrichters, geprägt gewesen sei. Univ.-Doz. Dr. Adinel C. Dincă (Babeș-Bolyai Universität Klausenburg) lenkte die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Rechtskenntnisse und Rechtsquellen der Siebenbürger Sachsen vom 14. bis ins 16. Jahrhundert. Dabei konnte er auf seine profunde Kenntnis der Quellen zurückgreifen, die manche vermeintliche Gewissheit widerlegte, und zum Beispiel nachweisen, dass der bekannte Codex Altemberger in der Rechtspraxis der Siebenbürger Sachsen kaum eine Rolle gespielt und lediglich zeremonielle Funktionen in Hermannstadt erfüllt habe. Typisch für die Siebenbürger Sachsen dieser Zeit sei die Aneignung des an den europäischen Universitäten gelehrten Rechts und dessen Anpassung an die Erfordernisse Siebenbürgens gewesen. Dr. Diethard Knopp (Nürnberg) stellte das juristische Werk des Johannes Honterus und die Kronstädter Juristenschule des 16. Jahrhunderts vor, die vor allem gegründet wurde, um die mit der Rezeption des Römischen Rechts einsetzende Rechtsunsicherheit zu überwinden. Das Ergebnis dieses Rezeptionsprozesses sei die Einführung des Eigen-Landrechts der Siebenbürger Sachsen im Jahr 1583 gewesen, die ein Weiterführen der Juristenschule obsolet gemacht habe. An diese Erkenntnisse knüpfte Univ.-Doz. Dr. Edit Szegedi (Babeș-Bolyai Universität Klausenburg) in ihrem Vortrag „Rechtskulturen der Siebenbürger Sachsen im 17. und 18. Jahrhundert“ an, indem sie die Frage nach den Besonderheiten sächsischer Rechtskultur in Siebenbürgen aufwarf. Eine Antwort sollte die von ihr untersuchte Auseinandersetzung zwischen dem Kronstädter Stadtrat und dem siebenbürgischen Landtag im späten 17. Jahrhundert über den Bau einer reformierten Kirche im Kronstädter Stadtteil Blumenau geben. Demnach stellte ein herausragendes Merkmal dieser in erster Linie durch ihren Rechtsstatus definierten Gruppe die Abwehr rechtlicher Übergriffe durch die anderen siebenbürgischen Stände bzw. Staatsorgane dar.

Am Nachmittag folgte die Sektion „Straf- und Privatrecht“, die von Dr. habil. Katalin Gönczi (Universität Frankfurt am Main) mit ihrem Referat „Die Verbreitung der deutschen Stadtrechte in Ungarn und Siebenbürgen“ eröffnet wurde. Darin zeichnete sie den Transfer deutscher Stadtrechte durch aus Süddeutschland stammende Patriziergeschlechter nach Ungarn nach und machte für den Untergang der Stadtkultur in Zentralungarn den Vorstoß der Osmanen in die Pannonische Tiefebene und die darauffolgende Flucht des Stadtbürgertums verantwortlich. Nach 1541 sei der Rechtstransfer nach Ungarn und Siebenbürgen vor allem über deutsche Universitäten erfolgt. Dr. Julia Derzsi (Rumänische Akademie, Hermannstadt) präsentierte in ihrem Vortrag „Die Gerichtsbarkeit der sächsischen Städte in Siebenbürgen“ vor allem den Instanzenweg in den einzelnen sächsischen Stühlen und Distrikten. Dr. habil. Mária Papsonová (Kaschau) lenkte den Blick des Auditoriums auf Oberungarn und behandelte in ihrem Referat „Die Rechtsquellen der Zips“ vor allem Fragen der Privilegierung deutscher Siedler in der Zips seit dem 12. Jahrhundert sowie deren sprachliche Überlieferung. Dr. Blanka Szeghyová (Slowakische Akademie der Wissenschaften, Pressburg) konzentrierte sich in ihrem Vortrag „The Criminal Justice in the Upper Hungarian Towns in the Late Medieval and Early Modern Period“ auf die strafrechtlichen Befugnisse und Praktiken der oberungarischen Städte, von denen viele das Recht hatten, die Todesstrafe zu verhängen.
„Der Stadtfuchs“ (Matthias Koopmann) zieht die ...
„Der Stadtfuchs“ (Matthias Koopmann) zieht die Zuhörer bei der Führung durch die Passauer Altstadt in seinen Bann. Foto: Gerald Volkmer
Der dritte Konferenztag (23. September) startete mit den Vorträgen der Sektion „Öffentliches Recht“. Da Dr. Szabolcs Varga (Budapest) seine Teilnahme kurzfristig absagen musste, wird sein Beitrag „Das rechtliche Verhältnis Kroatiens und Slawoniens zum Königreich Ungarn“ lediglich im Tagungsband nachzulesen sein. Dr. Sabine Jesner (Universität Graz) sprach über die rechtliche Dimension der Habsburgischen Militärgrenze und ging dabei vor allem auf den Wandel der Privilegierung der dort lebenden Rumänen und Serben sowie das auf diesem Gebiet geltende Privat- und Strafrecht ein. Dr. Ioan Drăgan (Klausenburg) befasste sich mit der rechtlichen Stellung der Knesen und des (ungarischen) Adels rumänischer Herkunft in den Ländern der ungarischen Krone, vor allem im Hatzeger Land (Südwestsiebenbürgen), dem Banat und in der Maramuresch. Einen Überblick über die staatsrechtlichen Strukturen in Siebenbürgen und dessen rechtliches Verhältnis zur ungarischen Krone verschaffte den Zuhörern Prof. Dr. Emőd Veress (Sapientia Universität Klausenburg), der die Beziehungen zwischen Fürst und Ständen in den Mittelpunkt seiner Ausführungen stellte. Dr. Dr. Gerald Volkmer (BKGE Oldenburg) erläuterte die rechtliche Stellung Ungarns und Siebenbürgens innerhalb der Habsburgermonarchie und des Osmanischen Reiches. Dabei strukturierte er den behandelten Zeitraum nach Phasen, in denen das habsburgische Königreich Ungarn, das osmanische Zentralungarn und das Fürstentum Siebenbürgen zu jeweils einem der beiden oder rechtlich sogar zu beiden Imperien gleichzeitig gehörten, indem abwechselnd die Perspektive des christlichen und des islamischen Rechts eingenommen wurde.

Die letzte Sektion der Tagung widmete sich dem Kirchenrecht. Am Samstagnachmittag behandelte Dr. habil. András Forgó (Universität Fünfkirchen) die rechtliche Stellung der römisch-katholischen Kirche in den Ländern der ungarischen Krone und damit in erster Linie das Verhältnis zwischen Klerus und Monarch bzw. Adel. Anknüpfend an die Ausführungen von Prof. Papp untersuchte Prof. Dr. Zoltán Csepregi (Lutherische Universität Budapest) die rechtliche Stellung der christlichen Kirchen in den osmanischen Provinzen Ungarns. Dabei kam die im 16. Jahrhundert festzustellende Bevorzugung der protestantischen Kirchen durch die Osmanen zur Sprache, die allerdings im 17. Jahrhundert – aufgrund der starken Stellung der Calvinisten in den ungarischen Städten – von zahlreichen Konflikten mit der osmanischen Verwaltung abgelöst wurde. Prof. Dr. Dr. h.c. Karl W. Schwarz (Wien) stellte drei reformatorische Kirchenordnungen im katholischen Habsburgerreich vor, die nach zähen Aushandlungsprozessen zwischen Ständen und Monarch im 16. Jahrhundert in Joachimsthal (Böhmen), Krain (heutiges Slowenien) und Innerösterreich (Steiermark und Kärnten) eingeführt wurden. Abgeschlossen wurde die Sektion durch den Vortrag von Dr. Ulrich A. Wien (Rheinland-Pfälzische Technische Universität Kaiserslautern-Landau Landau) zum Thema „Die lutherische Kirche Siebenbürgens im Spiegel ihrer Kirchenordnungen und Visitationsberichte sowie des Eigen-Landrechts“, der einen Bogen zu den vorangegangenen Referaten schlug, die sich mit den weltlichen Rechtsordnungen auseinandergesetzt hatten.

Beendet wurde der fachliche Teil der Tagung durch einen von Thomas Wünsch gesprochenen Kommentar sowie eine Abschlussdiskussion, die von Katalin Gönczi, Gerald Volkmer und Ulrich A. Wien bestritten wurde. Dabei wurde die Bedeutung der Regionen in Ostmittel- und Südosteuropa, die dort herrschende Rechtsvielfalt mit ihren Rechtskulturen, die rechtlichen Besonderheiten des Donau-Karpaten-Raumes sowie deren mediale Rezeption debattiert. Zu diesen Besonderheiten gehören auch die Stellung der im südöstlichen Mitteleuropa lebenden Deutschen sowie deren rechtliche Verflechtungen mit ihren Nachbarn. In der Bilanz wurde die internationale Zusammensetzung der Vortragenden und deren interdisziplinäre Vielfalt hervorgehoben. Die Ergebnisse dieses Forums, das die Dreiflüssestadt Passau – Deutschlands Tor zum Donau-Karpaten-Raum – dem diskussionsfreudigen Auditorium bot, werden in einem Tagungsband veröffentlicht.

Nach der Mitgliederversammlung der Kommission klang der Tag im „Heilig Geist Stiftskeller“ gemütlich aus. Abgerundet wurde die Tagung am Sonntag, dem 24. September, mit der Mitgliederversammlung des AKSL und einer überaus unterhaltsamen Führung des „Stadtfuchses“ durch die Passauer Altstadt, die den Beziehungen Passaus zu Ungarn gewidmet war.

In der AKSL-Mitgliederversammlung gedachte man nach Begrüßung durch den Vorsitzenden Dr. Harald Roth zunächst der verstorbenen Mitglieder. Nachrufe wurden auf Edith Haberich, Hanni Markel und Hellmar Christian Wester gehalten. Es folgten die Berichte des Vorsitzenden, der Geschäftsführerin Dr. Ingrid Schiel und des Redakteurs der Zeitschrift für Siebenbürgische Landeskunde und stellvertretenden AKSL-Vorsitzenden Dr. Stefan Măzgăreanu. Nach dem Kassenbericht der Geschäftsführerin und dem Bericht der Kassenprüfer, der dem Vorstand ein ordnungsgemäßes Handeln bescheinigte, wurde nach allgemeiner Aussprache der Vorstand entlastet. Die nächste AKSL-Jahrestagung findet im August 2024 in Hermannstadt statt.

Michael D. Krauss (Wien)

Schlagwörter: AKSL, Landeskunde, Tagung, Passau, Gerald Volkmer

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