28. April 2019

Lautes und leises Siebenbürgen: Fünfte Dorfschreiberin von Katzendorf blickt zurück

Manchmal wird eine literarische Veranstaltung zu einem rundum duften Ereignis, das noch lange im Gedächtnis der Dabeigewesenen verankert bleibt. Fallbeispiel: Anlässlich der diesjährigen Leipziger Buchmesse präsentierte Dagmar Dusil ihre neueste Veröffentlichung „Auf leisen Sohlen. Annäherungen an Katzendorf“.
Die aus Hermannstadt stammende und jetzt in Bamberg lebende Autorin war die fünfte Dorfschreiberin dieses Ortes – der sich vielleicht irgendwo, aber auf jeden Fall in der Nähe von Kronstadt befindet. Öffentlich outete sich die Aufschreibende im März als „Storchenfrau“, als rastlose Wanderin, die noch immer mental und kulturell mit dem Leben, den Sitten und Gebräuchen in diesem Teil Südosteuropas verbunden ist, aber auch als eine wohlwollend Suchende, die die Reize und historische Größe ihres jetzigen Wohnsitzes durchaus schätzt. Als Dauerpendlerin zwischen den Welten war, ist und bleibt sie unstrittig eine Hin- und Hergerissene. Über ihre recht bewegte Zeit während des Dorfschreiberjahres ist im neuen Buch vieles zu erfahren. Sie habe Begegnungen gesucht und oftmals auch gefunden. Der Leser lernt viele Menschen, unterschiedlichste Mentalitäten, Schönheiten der Natur, manche Tücken des Alltags und vor allem tiefgründige Draufsichten kennen. Vorzüglich gelingt es der Verfasserin, eigene Erlebnisse fernab pulsierender Metropolen anschaulich zu reflektieren.
Wenige Seiten genügen, und der Leser befindet sich mittendrin in einer Region, die nur einige Flugstunden von Zentraleuropa entfernt ist –wo die Uhren aber trotz fortschreitender Digitalisierung noch immer völlig anders ticken. Auffällig ist, dass die aufmerksam Beobachtende und sorgfältig Notierende auf recht unterschiedliche Frauen traf. Eine wohnt in Schönberg und ist in diesem Ort im Kreis Hermannstadt die gute Seele. Zwar wirkt die Siedlung aufgrund von EU-Geldern recht aufgehübscht. Aber etwas fehlt trotzdem: Der alte Glanz kam schlichtweg abhanden. Hedwig Herbert kümmert sich rührend um die dortige Kirchenburg, aber schmerzlich vermisst werden die einst Vertrauen stiftenden Begleittöne. Dagmar Dusil, die sanft Getriebene, landet am Hauptziel ihrer Reise. In der Stille, wo es keine Kanalisation gibt. Wo nicht nur unterschiedlichste Lebenswege brachial aufeinandertreffen. Jeden Sommer erscheint beispielsweise eine durchaus tatkräftige Mitbewohnerin, die weit mehr als nur die Schlüsselgewalt über die evangelische Kirche besitzt. In den 1970er Jahren wanderte sie nach Deutschland aus. Sie vertritt recht offensiv spezielle Wertvorstellungen und hat ganz eigene Ansichten über die jetzige Mehrheitsbevölkerung im Ort. Gemeint sind natürlich die Roma. In Katzendorf können sie nichts mit dieser Bezeichnung anfangen und nennen sich selbst Zigeuner. Wie sich Dagmar Dusil dieser Volksgruppe mithilfe der Bekanntschaft zu dem Mädchen Maria nähert, wirkt nachhaltig. Und wie sie ganz sachlich und zugleich voller emotionaler Wärme deren Mentalität beschreibt, mutiert zum dynamischen Treibsand für das vorliegende Werk. Immer wieder kehrt die Aufschreibende gedanklich zu diesem inhaltlichen Wurzelwerk zurück, das Thema lässt sie nie los. Ohne Berührungsängste schafft es die Dorfschreiberin, zu einer Vertrauten der Bewohner in der „Ziganie“ zu werden. Eine, die mit viel Herzblut noch Licht in einem schon auf den ersten Blick völlig verwahrlosten und hoffnungslosen Umfeld erkennt. Das ist druckreif gewordene plus brillant vollzogene emotionale Tiefenarbeit!
Dagmar Dusil mit Frieder Schuller, Stifter des ...
Dagmar Dusil mit Frieder Schuller, Stifter des Katzendorfer Dorfschreiberpreises. Foto: Roland Barwinsky
Das vorliegende Werk fällt durch weitere Details auf. Pittoresk wird beispielsweise berichtet, wie sich eine Dorfbibliothek nach einer vor Urzeiten erfolgten Schließung zum zweiten Mal öffnet. Die damalige Bibliothekarin schloss aus Altersgründen zu und danach passierte einfach nichts mehr. Das gedruckte Wort wanderte quasi in die Dunkelkammer des Vergessens. Was eine Belgierin in diese vermeintliche Einöde führte, wurde ebenfalls festgehalten. Hochzeiten und das Alltagleben finden reichlich Beachtung, genauso detaillierte Beschreibungen des Zusammenlebens auf dem Pfarrhof mit Mensch und Tier. Die Sammlerin Rebi wiederum strahlt Charme aus. Immer neue Fluchtpunkte und Sehnsuchtsorte werden ausgegraben – auch außerhalb dieser Gemeinde. So fuhr Dagmar Dusil eines Tages los, um mehr über einen Szekler zu erfahren, der – lange bevor es Eisenbahnen oder gar Flugzeuge gab – zu Fuß nach Asien aufbrach. Es war das Besondere, was sie in Vergangenheit und Gegenwart traf. Manch Überraschendes wird der Lesende bei den Exkursionen entdecken. Zugleich erwarten den Liebhaber fantasiebeladener Texte allerhand reizvolle Rückblicke auf spannungsgeladene historische Begebenheiten. Alles zusammen ergibt ein in sich schlüssiges Gesamtbild. Die seit einigen Wochen druckfertigen Momente mutieren zu einem literarischen Schatz. Fazit: Siebenbürgen ist weit mehr als nur ein geografisches Gebiet in Südosteuropa. Es ist die Faszination der dort schlummernden kulturellen Sprengsätze, die diesen Landstrich so unverwechselbar macht.

Roland Barwinsky


Dagmar Dusil: „Auf leisen Sohlen. Annäherungen an Katzendorf“. POP-Verlag, Ludwigsburg, 2019, 286 Seiten, 18,50 Euro, ISBN 978-3-86356-262-5.

Schlagwörter: Katzendorf, Dorfschreiberin, Dagmar Dusil, Buchvorstellung, Frieder Schuller, Siebenbürgen, Literatur

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