18. Februar 2019

Aus kommunistischen Giftschränken: Sammelband über Überwachungsakten kommunistischer Geheimdienste

Der Titel des vorliegenden Buches ist gut gewählt: „Aus den Giftschränken des Kommunismus. Methodische Fragen zum Umgang mit Überwachungsakten in Zentral- und Südosteuropa“. Was die kommunistischen, geheimen Sicherheitsorgane an Archivunterlagen hinterlassen haben, sind tatsächlich wahre Giftschränke. Ihre Aktenbestände geben nämlich Einsicht in die geheime, allumfassende Überwachung, Verfolgung, Verhaftung und Einkerkerung der als gefährlich eingestuften Bürger in den fünf Jahrzehnten kommunistischer Herrschaft, über die getrof­fenen diktatorischen Maßnahmen gegen regimefeindliche Handlungen und Personen sowie über willkürliche Eingriffe. Suspekte Personen wurden den Gerichten ausgeliefert und mit hohen Kerkerstrafen belangt. Die Einsicht in diese giftige Hinterlassenschaft wurde erst 1989/91 nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft in den Ostblockstaaten möglich. Es dauerte allerdings einige Jahre, bis die Giftschränke geöffnet wurden. Was Forscher dabei entdeckten, bildet den Gegenstand der abgedruckten Referate des vorliegenden Bandes, die im Jahr 2015 auf einer internationalen Tagung des Instituts für deutsche Literatur und Geschichte Südosteuropas (IKGS) an der Humboldt-Universität Berlin geboten wurden.
Der Band umfasst insgesamt 21 Beiträge, die in vier Kapitel gegliedert sind: „Länderbericht“, „Akten auf dem Prüfstand – Das Beispiel der Securitate“, „Lesarten“; die „Mitteilungen“ bieten Auskunft und Analysen über die Archive der DDR, Rumäniens, der Slowakei, Tschechiens und Ungarns. Sie weisen zwar landespolitische Besonderheiten auf, nicht zuletzt aber bieten sie viele Gemeinsamkeiten auf allen Gebieten des kommunistischen, geheimen Sicherheitsapparats. Wir werden daher in unserer Besprechung nicht getrennt auf den Inhalt der Beiträge eingehen, sondern Gemeinsamkeiten hervorheben und vor allem auf die Aktenbestände der Securitate und der Stasi hinweisen.

Bei den Akten handelt es sich hauptsächlich um Berichte der offiziellen und inoffiziellen Mitarbeiter der Sicherheitsorgane, dann um konfisziertes Schriftgut und um Protokolle von politischen Prozessen. Das Personal der Staatssicherheit war in allen Ländern so bemessen, dass das gesamte Umfeld überwacht und bespitzelt wurde. Die Stasi der DDR beschäftigte zum Beispiel rund 90000 hauptamtliche und 170000 inoffizielle Mitarbeiter (IM) und überwachte operativ etwa 1000 Kulturschaffende. Die bloße Existenz der politischen Geheimpolizei und die damit verbundene Überwachung flößten in allen kommunistischen Ländern allgemeine Angst ein, förderten eine verstärkte Zurückhaltung und bei Schriftstellern eine Selbstzensur, die ihre Werke der marxistischen Lehre anpassten.
Die schriftlichen Hinterlassenschaften aller Sicherheitsorgane sind wichtige historische Quellen. Die Berichte müssen aber kritisch betrachtet werden, denn sie sind oft nicht objektiv, sondern verfälscht und so verfasst oder ausgewählt, um eine strafbare Belastung zu belegen. Reichten die Angaben in den konfiszierten Papieren für eine Bestrafung nicht aus, wurden sie „ergänzt“. Solche Eingriffe erfuhren deutsche und ungarische Texte in Rumänien. Sie wurden zu „giftigen“ Anklageschriften manipuliert. Es sind vor allem die Werke, aber auch die beschlagnahmte Korrespondenz siebenbürgisch-sächsischer Schriftsteller.

Wir wollen fortfahrend auf die Referate von Stefan Sienerth, Cornel Pintilescu, Gabriel Andreesu, Corina Petrescu und Laura Laza hinweisen, die uns Einblick in die Giftschränke der Securitate geben, dabei an konkreten Fakten vor allem jene festhalten, die Sachsen betreffen und in Akten genannt werden. Es werden zahlreiche Personen erfasst, die seinerzeit von der Securitate verhaftet und in Prozessen zu hohen Kerkerstrafen verurteilt wurden. Es werden nicht die faktischen Vorgänge untersucht, sondern die Hinterlassenschaft der Giftschränke gelüftet. Die stehen in Zusammenhang mit dem „Schwarze-Kirche-Prozess“, dem „Schriftstellerprozess“ und anderen Gruppen- sowie Einzelprozessen. Wir nennen nur die bekanntesten Namen, die Erwähnung finden: Konrad Möckel, Hans Bergel, Harald Krasser, Georg Scherg, Eginald Schlattner, Harald Siegmund, Marianne Siegmund, Fritz Cloos, Paul Schuster, Andreas Birkner, Wolf von Aichelburg, Hermine Pilder-Klein, Georg Hoprich, Erwin Neustätter, Carl Göllner. Bisher kaum bekannt sind Enthüllungen über sächsische Mitarbeiter der Securitate. Ich sehe davon ab, Namen zu nennen, da ihre Erwähnung eine unliebsame Diskussion auslösen könnte. Es ist zu beachten, dass sich kaum jemand freiwillig zum Spitzel gemeldet hat. Die Mitarbeiter wurden erpresst oder sie versuchten, gewisse Vorteile zu erlangen. Das Buch enthüllt auch andere interessante Daten. Ich kann es daher zur Lektüre empfehlen, da es eine reiche Facette der kommunistischen Gesellschaft Rumäniens präsentiert.

Michael Kroner


Florian Kührer-Wielach und Michaela Nowotnick (Hrsg.): „Aus den Giftschränken des Kommunismus. Methodische Fragen zum Umgang mit Überwachungsakten in Zentral- und Südosteuropa“, Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München (IKGS), Band 136, Verlag Friedrich Pustet, Regensburg, 2018, 472 Seiten, 39,95 Euro, ISBN 978-3-7917-2817-9.

Lesen Sie dazu auch den Artikel Eine Konferenz in Berlin beschäftigte sich mit dem Erbe der kommunistischen „Giftschränke“.

Schlagwörter: Rezension, Buchvorstellung, Sammelband, Geheimdienst, Kommunismus, Tagung, Geschichte, Berlin, IKGS, Wissenschaft

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