2. November 2018

Blickwechsel: Spannende und themenreiche Frauentagung in Bad Kissingen

Zur Tagung „Blickwechsel: Frauen und Zivilgesellschaft in Ost und West“, die vom 12. bis 14. Oktober 2018 in der Bildungs- und Begegnungsstätte „Der Heiligenhof“ in Bad Kissingen stattfand, hatte das Bundesfrauenreferat des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland geladen. Frauen unterschiedlichen Lebensalters, mit biographischen Wurzeln überwiegend in Siebenbürgen, setzten sich mit den Lebensverhältnissen und Geschichten ihrer Zeitgenossinnen und Vorgängerinnen auseinander.
Ziel des Seminars war es, die spezifischen Belange und Interessen von Frauen und Frauengruppen aus dem Milieu der Aussiedler und Heimatvertriebenen aus Rumänien in der politischen, kulturellen und bürgerschaftlichen Arbeit zu artikulieren. Anhand eines Dokumentarfilms, mehrerer Vorträge und der anschließenden Gruppenarbeit näherten sich die Teilnehmerinnen diesem Thema.

Nach der Begrüßung durch den Gastgeber der Tagung, Gustav Binder, Studienleiter des „Heiligenhofs“, der in die Seminartechnik einführte, sowie einer Vorstellungsrunde der Teilnehmerinnen und Teilnehmer präsentierte die in Kronstadt geborene Laura Căpățână-Juller ihren Dokumentarfilm „Aici … adică acolo“/“Hier … also dort“ vor. Der Film, der auch international für Aufsehen sorgte, handelt von der Arbeitsmigration der Rumänen, die nach 1990 ihr Land verließen, um ihre Träume und Zukunftspläne vor allem in Westeuropa zu verwirklichen. Oft wurden Familien dadurch getrennt und Kinder blieben bei Großeltern oder Verwandten zurück. Der Film macht betroffen und bietet Stoff zum Nachdenken über die gesellschaftlichen Auswirkungen der verlassenen Kinder.
Gruppenbild mit den Teilnehmerinnen der ...
Gruppenbild mit den Teilnehmerinnen der Frauentagung in Bad Kissingen. Foto: Angelika Meltzer
Die Theologin Birgit Hamrich, seit 2003 Pfarrerin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, befasst sich mit ökumenischen Partnerschaften innerhalb Europas, in den USA und koordiniert die Aktion „Hoffnung für Osteuropa“. In ihrem Vortrag „Die gläserne Decke. Frauenrollen in Kirchen. Ein Vergleich zwischen Kulturen und Konfessionen“ machte sie einen kurzen Streifzug durch die Bibel, bevor sie auf die aktuelle Rolle der Frauen einging. Allein die Jubiläen des Jahres 2018 zeigen, wie sich die „Frauenrollen“ im Laufe der Zeit entwickelt haben: 100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland; 110 Jahre Zugang für Frauen an Universitäten, 125 Jahre Zulassung von Mädchen an Gymnasien. Frauen bestimmen heute das Bild in allen Bereichen unserer Gesellschaft und Politik mit, sind aber auch überproportional im Niedriglohnsektor vertreten und von Altersarmut betroffen. Der überwiegende Teil der Gottesdienstbesucher sei weiblich; soziales und ehrenamtliches Engagement gehe überwiegend von Frauen aus. Doch je höher man in der Hierarchie aufsteigt, desto weniger Frauen treffe man an. „Solange es Frauen gibt, die sich immer noch rechtfertigen müssen für das, was sie tun und manchmal auch lassen, Frauen, die um Anerkennung kämpfen, die sich erklären müssen, solange ist die Welt noch nicht in Ordnung. Die der Kirche auch nicht“, so Hamrich.

Monika Hay leitet seit 2016 als junge Frau die älteste deutschsprachige Schule des Landes, das Samuel-von-Brukenthal-Gymnasium in Hermannstadt, das 1380 zum ersten Mal urkundlich erwähnt wurde. In ihrem Referat „Beliebt und gefährdet: Das deutschsprachige Bildungswesen in Rumänien“ nahm sie Bezug auf die aktuelle Situation des deutschsprachigen Bildungswesens in Siebenbürgen, die Beweggründe, weshalb viele rumänische Familien ihre Kinder in deutschsprachige Schulen schicken, und die Sicherung des Lehrernachwuchses. Dank des Deutschen Forums, der Michael-Schmidt-Stiftung, der Bundesregierung u.a. erfahren die deutschsprachigen Schulen in Rumänien eine wichtige und notwendige Unterstützung.

„Ab in den Osten, mit dem Westen im Gepäck“ betitelte Ruth Istvan ihren sehr persönlich gehaltenen Vortrag. Als Kleinkind war sie mit ihrer Familie nach Deutschland ausgewandert, als junge Frau kehrte sie nach Siebenbürgen zurück. Ruth Istvan hat die Herausforderung angenommen und anscheinend ihren Platz gefunden, sie arbeitet als Referentin für Fachtourismus und Öffentlichkeitsarbeit bei der Stiftung Kirchenburgen in Hermannstadt. Aus ihrem Vortrag war ihre Begeisterung für diese Aufgabe zu hören; sie sprüht geradezu vor Ideen. Je nach Interesse bietet sie vor Ort Seminare, Führungen an und stellt Kirchenburgen vor. Mit ihrem Engagement möchte sie langfristig zum Erhalt des kirchlichen Kulturerbes in Siebenbürgen beitragen, und dazu gehören Geduld, Kraft und Durchhaltevermögen.

Mit einem nostalgischen Lied „Sag mir wo die Blumen sind“, gesungen von Marlene Dietrich, eröffnete Dr. Ingrid Schiel ihren Vortrag über „Vorreiterinnen des Pazifismus. Frauenweltbund zur Förderung internationaler Eintracht – Siebenbürgisch-sächsische Sektion“. Die Leiterin des Siebenbürgen-Instituts in Gundelsheim am Neckar gewährte einen Überblick über die Entstehung der siebenbürgisch-sächsischen Frauenbewegung der Donaumonarchie. Berühmte und bekannte Frauen aus Siebenbürgen wie Adele Zay, Lotte Lurtz, Rosika Schwimmer oder Marie Stritt, um nur einige zu nennen, waren Vorreiterinnen und traten für das Frauenstimmrecht des Weltbundes ein. Jeder dieser Frauen gebührt Hochachtung und Bewunderung. In einer von Männern dominierten Gesellschaft kämpften sie auf unterschiedliche Weise für die Rechte der Frauen. Dank der guten Öffentlichkeitsarbeit wurde in weiten Kreisen der sächsischen Frauen das Interesse für Friedens- und Abrüstungsfragen geweckt. 1929 wurde erstmals der Muttertag im Rahmen der Schulanstalten begangen. So richtete Frieda Wächter 1930 einen eindringlichen Appell an die anwesenden Mütter, sich für den Menschheitsgedanken des Friedens einzusetzen und sich gegen Völkerhass und Völkermord zusammenzuschließen. In diesem Zusammenhang wurde für die geplante Abrüstungskonferenz 1932 in Genf eine groß angelegte Unterschriftenaktion organisiert. So wurden in den wichtigsten Städten Siebenbürgens 3.052 Unterschriften im Rahmen einer Aktion gesammelt, die alle Ethnien und Nationalitäten mit einbezog. Überaus beeindruckend war es zu hören, wie engagiert und fortschrittlich sich diese Frauen im gesellschaftspolitischen Sinne eingebracht haben!

Für den anschließenden Workshop hatte Frau Schiel sich etwas Besonderes ausgedacht. Anhand von ausgewählten Texten – fünf Gruppen zugeteilt – wurde zum Thema Zivilcourage, Frauen und ihre Haltung während des Ersten und Zweiten Weltkrieges oder über den Mut der jungen Nobelpreisträgerin Nadia Murat gesprochen. Die erarbeiteten Anschauungen wurden anschließend mit den anderen Gruppen ausgetauscht. Wie brisant Frauenthemen der Vergangenheit auch heute noch sind, konnte anhand der Texte sowie auch anhand des Referates von Ingrid Schiel immer wieder festgestellt werden.

Da das 21. Projektseminar der „Genealogie der Siebenbürger Sachsen“ zeitlich im „Heiligenhof“ stattfand, lag es auf der Hand, auch in dieses Seminar reinzuschnuppern. So referierten Jutta Tontsch (Hamburg) und Dr. Dietmar Gärtner (Darmstadt) über das ihnen am Herzen liegende Thema „Spurensuche Genealogie“. So konnte man erfahren, wer die siebenbürgischen Familienforscher sind, womit sie sich beschäftigen, welche Ziele sie verfolgen und wie man bei der Ahnenforschung vorgeht. Weiterführende Informationen findet man auf der Homepage des Vereins „Genealogie der Siebenbürger Sachsen“.

In die traditionelle Sonntagsandacht ließ Pfarrerin Birgit Hamrich den Text „Am Anfang beim Beginn“ von Christina Brudereck einfließen. Für die musikalische Umrahmung sorgte die aus Mediasch angereiste Kirchenmusikerin Edith Toth mit ihrer erfrischenden und fröhlichen Art. Spontan hatte sie einen kurzen Text musikalisch vertont und in ein aufbauendes und fröhliches Lied umgewandelt. Musik begleitete uns somit durch den Tag.

Abschließend konnten die Teilnehmerinnen zum Thema „Was nehme ich mit, was gebe ich weiter“ sprechen und Schlüsse aus den gehörten Vorträgen ziehen. Wie viele unterschiedliche Sichtweisen, aber auch viel Übereinstimmendes es gibt, wenn es um die Belange der Frauen in der politischen, bürgerschaftlichen und kulturellen Arbeit geht, bewiesen die zahlreichen Wortmeldungen und Denkanstöße. Es zeigte sich, dass wir alle um die Bedeutung von Flexibilität, von femininem Selbstbewusstsein, von Stärke und Kraft der Frauen wissen und den Einfluss, den sie in ihrem Umfeld haben, kennen. Doch ebenso sind uns unsere Verpflichtungen bei der Weitergabe des erworbenen Wissens und der Anpassungsfähigkeit an den sich ändernden gesellschaftlichen Rahmen bewusst. „Um klar zu sehen, reicht oft ein Wechsel der Blickrichtung“ (Antoine de Saint Exupéry). Mit diesem Zitat beendete Christa Wandschneider das Seminar und äußerte den Wunsch, dass die teilnehmenden Frauen diesen Blickwechsel vollziehen können und dass er Verständnis, Bereicherung und waches Interesse hervorbringen möge!

Die hervorragenden Referate und das Interesse der Teilnehmenden haben dieses Seminar im „Heiligenhof“ zu einer gelungenen Veranstaltung werden lassen. Ein besonderer Dank geht an die Referentinnen, an Studienleiter Gustav Binder, den Verband der Siebenbürger Sachsen und nicht zuletzt an das Bundesministerium des Innern für die finanzielle Förderung der Tagung.

Christa Wandschneider


Online-Bildergalerie auf Siebenbuerger.de: Frauentagung 2018 in Bad Kissingen

Schlagwörter: Frauen, Frauenarbeit, Tagung, Bundesfrauenreferat, Bad Kissingen

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