19. Oktober 2018

Fruchtbare Auseinandersetzung: Konferenz „Mehrsprachigkeit in der Donaumonarchie (1848-1918)“

„Je fremder der Untersuchungsgegenstand, desto fruchtbarer die Auseinandersetzung“ – so bilanzierte PD Dr. Thomas Borgard, Koordinator des Internationalen Forschungszentrums Chamisso (IFC), die interdisziplinäre und internationale Konferenz „Mehrsprachigkeit in der Donaumonarchie (1848-1918). Wissen – Herrschaft – Soziale Praxis“, die vom 10. bis 12. Oktober in München stattfand. Eingeladen hatten mit dem IFC das Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas (IKGS), das Institut für Deutsch als Fremdsprache (DaF) und die Internationale Forschungsstelle für Mehrsprachigkeit (IFM), alle angesiedelt an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU).
Begrüßt wurden die Teilnehmer aus allen Teilen Deutschlands und Europas von Prof. Dr. Claudia Maria Riehl, Leiterin des DaF-Instituts und der IFM, IKGS-Direktor Dr. Florian Kührer-Wielach und Thomas Borgard. Dann ging es mit der ersten Keynote in medias res: Prof. Dr. Hans Goebl (Salzburg) sprach zum Einstieg ins Thema über „Sprachenvielfalt und Sprachenpolitik in der Spätphase der Donaumonarchie (1848-1918)“ und bot einen dichten Überblick über die geo- und ethnographischen, religiösen, administrativen, militärischen und bildungspolitischen Entwicklungen des Habsburgerreichs von seinen Anfängen 976 bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Derart munitioniert, konnten die Tagungsteilnehmer nach der anschließenden Kaffeepause in die ersten beiden parallel laufenden Sektionen zum Thema „Sprachen- und Bildungspolitik“ starten. Hier referierte u. a. Dr. Loránd Mádly (Klausenburg) über „Mehrsprachigkeit im Neoabsolutismus und Liberalismus: zwischen der Zentralisation mittels der deutschen Sprache und den Forderungen der Nationalbewegungen“ und bot einen Zugang zur Mehrsprachigkeit (Deutsch, Ungarisch, Rumänisch) in Siebenbürgen nach der Revolution von 1848/49, die nicht frei von Konflikten war und vor allem ein Erstarken der ungarischen und rumänischen Nationalbewegungen verzeichnete. Zum Abschluss des ersten Konferenztages fand ein Empfang im Lichthof des LMU-Hauptgebäudes statt.
Gespannte Aufmerksamkeit bei der ersten Keynote ...
Gespannte Aufmerksamkeit bei der ersten Keynote von Hans Goebl. Foto: Tobias Weger
Prof. Dr. Peter Haslinger (Marburg/Gießen) informierte in seiner Keynote am zweiten Tag über „Mehrsprachigkeit als politisches und gesellschaftliches Konzept – theoretische und methodische Fallstricke“. Die Habsburgermonarchie sei auf dem Gebiet der Sprachenpolitik geprägt von Doppelbödigkeit, Parallelentwicklungen, Utopien und weise systemische Fehler auf; Haslinger war in seinem Vortrag daran gelegen, in der Literatur vorhandene Positionen und Interpretationen zu diesem mächtigen Staatengebilde kritisch zu reflektieren und zentrale Fragen neu zu stellen.

Sechs thematische Sektionen (jeweils zwei parallel laufende) verteilten sich über den Tag: „Sprachphilosophie und Ästhetik“, „Mehrsprachige Praxis in Institutionen“, „Rechtliche Aspekte der Mehrsprachigkeit“, „Übersetzungspraxis und Institutionalisierung“ sowie „Mehrsprachigkeit im Alltag“ mit gleich zwei Vortragsblöcken. Siebenbürgische Themen behandelten Dr. Ursula Wittstock (Klausenburg) in ihrem Referat „Das Theater als Instrument nationaler Selbstbehauptung. Zur deutschen Theaterfrage in Ungarn um 1900 am Beispiel des Stadttheaters in Hermannstadt“ und Dr. Enikő Dácz (München), die über „Die offizielle Sprache des öffentlichen Raums und die ,diplomatische Sprache‘ des Bauerntums. Mehrsprachigkeit in Siebenbürgen im Spiegel der Presse“ sprach. Ursula Wittstock skizzierte die Entwicklung des Hermannstädter Theaters und analysierte dessen Stellenwert in sprachpolitischer Hinsicht vor dem Hintergrund, dass die deutsche Abteilung 1899 im Gegensatz zu Temeswar, Ödenburg und Kaschau sowie – unter Einschränkungen – Pressburg nicht geschlossen wurde, was ihm eine Sonderstellung bewahrte; das deutsche Theater in Hermannstadt existierte bis 1918 als einziges in Ungarn mit stabiler Spielstätte. Enikő Dácz widmete sich den drei siebenbürgischen Zentren Kronstadt, Hermannstadt und Klausenburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts und präsentierte vergleichende Untersuchungen zu den drei Zeitungen Ellenzék, Kronstädter Zeitung und Telegraful Român, die als maßgebliche Organe der drei in Siebenbürgen lebenden Nationalitäten gesehen werden könnten, ohne jedoch den „offiziellen Diskurs“ zu reproduzieren, da alle drei oppositionelle Blätter gewesen seien. Am Abend stellten sich vier Diskutanten unter der Moderation von Joachim Käppner von der Süddeutschen Zeitung der Frage „Das Habsburgerreich bis 1918 und die Europäische Union 2018: Eine Geschichte in Parallelen?“ – und kamen zu dem Schluss, dass dem nicht so sei.

Die Keynote „Polyglottes Habsburg. Mehrsprachigkeit im politischen, staatsrechtlichen und wissenschaftsgeschichtlichen Kontext“ am dritten Konferenztag hielt PD Dr. Johannes Feichtinger (Wien), der konstatierte, dass Mehrsprachigkeit kein urbanes, sondern auch ein rurales Phänomen sei, das im 19. Jahrhundert politische Relevanz erlangte. Die Sprachenfrage sei zwischen 1867 (Dezemberverfassung) und 1918 ein zentraler Konfliktherd gewesen, Sprachverwendung und nationale Zugehörigkeit wurden vermischt und von den Nationalisten instrumentalisiert. Besonderes Augenmerk richtete Feichtinger auf die unterschiedliche Bedeutung und Verwendung der Begriffe Pluri- vs. Multikulturalität. Vier Sektionen zu den folgenden Themen schlossen sich an: „Mehrsprachigkeit als literarische Strategie“, „Sprachen und Identitäten als Reflexionsgegenstände der Literatur“, „Sprachkontakt und die Rolle des Jiddischen“ und „Diskurse zur Ein- und Mehrsprachigkeit“. Wegen anhaltender, angeregter Diskussionen nach den Vorträgen verzögerte sich der Abschluss der Konferenz; Claudia M. Riehl trommelte die Teilnehmer höchstselbst und stimmgewaltig zusammen, um Thomas Borgard zu einem Fazit ans Rednerpult zu bitten, Florian Kührer-Wielach ebenfalls einige abschließende Worte sprechen zu lassen und sich schließlich bei allen Mitwirkenden zu bedanken – nicht ohne eine Fortsetzung dieser äußerst reichhaltigen, viele neue Impulse vermittelnden Veranstaltung in Aussicht zu stellen.

Doris Roth

Schlagwörter: Konferenz, München, IKGS, Sprache, Donaumonarchie, Bericht

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