16. Juli 2013

Internationale Tagung des IKGS in München

Vom 27. bis 29. Juni 2013 veranstaltete das Institut für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas e.V. (IKGS) eine internationale Tagung zum Thema „Rumäniendeutsche Erinnerungskulturen. Formen und Funktionen des Vergangenheitsbezuges in rumäniendeutscher Historiografie und Literatur im Kontext kulturwissenschaftlicher Beschreibungsmodelle“. Historiker, Kultur- und Literaturwissenschaftler aus Deutschland, Österreich und Rumänien waren im Internationalen Begegnungszentrum der Wissenschaft (IBZ) in der Münchner Amalienstraße zusammengekommen, um Forschungsansätze- und ergebnisse zu präsentieren und zu diskutieren, Kontakte zu knüpfen und zu pflegen und auch, um Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Anton Schwob und Prof. h.c. Dr. Stefan Sienerth in den Ruhestand zu verabschieden (siehe Siebenbürgische Zeitung Online vom 5. Juli 2013).
Am Abend des 27. Juni begann nach der Begrüßung durch die Tagungsleiter Prof. em. Dr. Jürgen Lehmann von der Universität Erlangen und Dr. Dr. Gerald Volkmer vom IKGS die Tagung mit dem Grundlageneferat „Kulturwissenschaftliche Gedächtnistheorien. Ein Abriss“. Dr. Kathrin Schödel, zurzeit am Institut für Germanistik der Universität Malta tätig, stellte kollektive, kulturelle und kommunikative Gedächtnisformen vor, ging auf den Unterschied zwischen Täter- und Opfergedächtnis ein und nutzte zur Illustration literarische Beispiele von Herta Müller und Franz Hodjak. Letzter stellte mit seiner anschließenden Lesung schon den ersten Höhepunkt der Tagung dar. Er las einige noch unveröffentlichte Gedichte, die in seinem neuen Lyrikband, der im Oktober erscheint, enthalten sind, und stellte trocken fest: „Im neuen Band sind erstaunlich viele Liebesgedichte. Früher hat man die Liebe praktiziert, heute schreibt man darüber.“ Was für ebenso viel Amüsement sorgte wie diese Bemerkung des Dichters, war die Reaktion einer Zuhörerin: „Alles zu seiner Zeit.“
Den Festvortrag zu Ehren von Stefan Sienerth ...
Den Festvortrag zu Ehren von Stefan Sienerth hielt Professor Jürgen Lehmann. Foto: Gunter Roth
Der Vormittag des 28. Juni war der Sektion Historiografie gewidmet, in die Dr. Dr. Gerald Volkmer einführte. Als erster sprach Dr. Bernhard Böttcher, Lehrbeauftragter am Historischen Institut der Universität Paderborn, über „Die auf den Ersten Weltkrieg bezogenen Erinnerungskulturen bei den Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben in der Zwischenkriegszeit“, ergo Kriegerdenkmäler. Welche Bedeutung sie als Erinnerungsorte hatten, wie unterschiedlich sie sich darstellen im Osteuropa nach 1918, in dem ein „Bedürfnis nach Geschichtskorrektur“ herrschte, führte Böttcher sehr eindrücklich – auch anhand von Bildern – aus. Florian Kührer-Wielachs Referat „Die Erinnerung an den ,Kampf gegen den Faschismus‘ in der Historiografie der Deutschen im kommunistischen Rumänien“ wurde aufmerksam verfolgt – ist doch der Historiker aus Wien, der gerade promoviert hat, seit 1. Juli wissenschaftlicher Mitarbeiter am IKGS, was bei der Tagung bekanntgegeben wurde. Cristian Cercel PhD von der Universität Bukarest erläuterte „Die Rolle der Deportation der Rumäniendeutschen in die Sowjetunion in den Erinnerungskulturen der in Deutschland und Österreich lebenden Siebenbürger Sachsen 1949-1969“. Zu diesem Thema hat er u. a. die Siebenbürgische Zeitung und verschiedene HOG-Blätter als Quellen genutzt und die Deportation als identitätsstiftenden Erinnerungsort für die Rumäniendeutschen ausgemacht. Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Harald Heppner, Leiter des Instituts für Geschichte der Universität Graz, stellte in seinem Vortrag „Rurale Erinnerungskultur am Beispiel des rumänischen Banats an der Jahrtausendwende“ die Ergebnisse einer zwischen 2003 und 2005 durchgeführten Studie vor, die zum Ziel hatte, die Welt der Erinnerungen der dörflichen Bevölkerung über die Periode seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu erfassen und auszuwerten.

In die Sektion Literatur nach der Mittagspause führte Prof. Dr. Jürgen Lehmann unter der an Nietzsche angelehnten Überschrift „Nur was nicht aufhört, weh zu tun, bleibt im Gedächtnis“ ein. Das erste Referat „Visionen und Revisionen. Dieter Schlesaks ,Vlad, der Todesfürst. Die Dracula-Korrektur‘ im erinnerungskulturellen Agon“ hielt PD Dr. Markus May vom Institut für deutsche Philologie der Universität München. Von Bram Stokers Schauerroman „Dracula“ aus dem Jahr 1897 bis zu Schlesaks „Vlad, der Todesfürst“ zeigte May Mythen und historische Tatsachen über Vlad III. Drăculea auf und führte aus, in welchem Maß der Vampir-Mythos die Geschichte überdeckt.

Die Festveranstaltung zu Ehren von Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Anton Schwob (den Festvortrag hielt Prof. Dr. Thomas Krefeld vom Institut für Romanische Philologie der Universität München) und Prof. h.c. Dr. Stefan Sienerth mit anschließendem Empfang beschloss den zweiten Tag der Tagung.

Am Samstagmorgen sorgte nach einer kurzen Einführung durch Prof. Krefeld der gebürtige Hermannstädter Prof. Dr. Waldemar Fromm vom Institut für deutsche Philologie der Universität München mit seinem Referat „,Anders rinnt hier die Zeit‘ – Erinnerung und kollektives Gedächtnis in Adolf Meschendörfers ,Siebenbürgischer Elegie‘ und deren Rezeption in der Lyrik nach 1945“ für einen guten Start in den Tag. Er analysierte die Erinnerungsmotive in Meschendörfers Gedicht von 1927, dessen ursprünglicher Titel „Heimat“ gewesen war, und stellte Varianten der Elegie von Anemone Latzina und Dieter Schlesak vor. Dr. Réka Sánta-Jakabházi vom Departement für Deutsche Sprache und Literatur der Universität Klausenburg hat ihre Dissertation über Franz Hodjak geschrieben und sprach über „Facetten der poetischen Identitätskonstruktion in den Werken von Franz Hodjak“. Der „Gegenstand der Forschung“ saß derweil im Publikum, was nicht nur für die Vortragende, sondern auch für die Zuhörer eine interessante Konstellation war – konnte man doch den Schriftsteller direkt zu Sánta-Jakabházis Forschungsergebnissen befragen. „Es ist erstaunlich, was die Leute in meinen Werken lesen und ich gar nicht hineingeschrieben habe“, sagte er mit einem Augenzwinkern. Dr. Grazziella Predoiu, Lektorin an der West-Universität Temeswar, thematisierte „,Das Vermögen endloser Interpolation im Gewesenen‘. Zur Inszenierung von Erinnerung und Gedächtnis in den Texten Herta Müllers“ und ging in ihrem Vortrag besonders auf die Romane „Atemschaukel“ und „Herztier“ ein, in denen Gegenstände als Metaphern der Erinnerung und das so genannte körperliche Gedächtnis (Narben, Hunger, Traumata) eine herausgehobene Rolle spielen. Die Sektion und damit auch die Tagung beschloss Dr. René Kegelmann vom ausrichtenden IKGS mit dem Referat „,Undienlich ist auch das Wort ERINNERUNG‘. Zur Funktionsweise von Erinnerung und Gedächtnis bei Herta Müller“. Wer Ähnlichkeiten zum Vorangegangen vermutete, lag richtig, aber der Referent verstand es, einen anderen Schwerpunkt zu wählen; im Gedächtnis bleiben wird wohl der „Zeigefinger im Kopf“, mit dem Kegelmann die Plötzlichkeit des Erinnerns, dessen selektive, eruptive und konstruierende Form in Herta Müllers Werken beschreibt.

Prof. Lehmann sprach zum Abschluss von einer „ertragreichen Tagung“ und freute sich über die vielen jungen Wissenschaftler, die als Referenten dabeigewesen waren; ein Generationenwechsel sei eingeleitet worden. Dr. Dr. Gerald Volkmer bedankte sich im Namen des IKGS bei allen Teilnehmern, Referenten und Helfern und verwies auf den Tagungsband, der alle Vorträge enthalten und baldmöglichst im institutseigenen Verlag veröffentlicht werden soll. Mit knapp 100 Teilnehmern war die Tagung bestens besucht und wird hoffentlich fortgesetzt, denn wie so oft bei dieser Art von Veranstaltungen konnten viele Themen nur angerissen werden und harren noch ihrer Vertiefung.

Doris Roth

Schlagwörter: IKGS, Tagung, Wissenschaft, Südosteuropa

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