29. März 2011

Der Kronstädter Stadtarzt und Apotheker Lucas Seuler von Seulen (1661-1735)

Nur wenige Monate nach dem großen „Sterb“ des Jahres 1660, einer der verlustreichsten „Pestilenzen“ in der Geschichte von Kronstadt, am 19. März 1661 wurde Lucas Seuler geboren. Er war ein Enkel des Kronstädter Ratsherren Anton Seuler (Seiler) und Sohn des Honigberger Pfarrers Lucas Seuler.
Nach dem Besuch des Gymnasiums seiner Heimatstadt ging er ins Ausland. „Anfänglich wollte er Theologie studieren. Durch eine heftige Krankheit aber, die ihn in Wittenberg befallen, resolvierte er sich, Medicin zu studieren, weil er bei sich überlegte, dass in Cronstadt gar keine rechte Medici seien und daher viele fast hilflos dahin stürben. Er reiste also darauf nach Straßburg und Holland, sich in der Medizin zu perfektionieren und bei seiner Retour nahm er den Gradum an. Anfänglich hatte er wenig Regreß bei den Cronstädtern, welche auf keine Medicin gewohnt wa­ren, nachgehends aber hat er durch seine glücklichen Curen einen großen Applaus und Reichtum erworben. Das Officium pastorale (Pfarramt) in Wolkendorff ist dem Wohlseligen bald nach seiner Ankunft von Academien ungeachtet er ein Doctor Medicinae war, wegen seines fürtrefflichen Geschicks angetragen worden.“ (Thomas Tartler, 1741)

Dr. med. Lucas Seuler von Seulen. Aquarell von ...
Dr. med. Lucas Seuler von Seulen. Aquarell von 1732, Verbleib unbekannt. Foto: Oskar Netoliczka (Bildarchiv Konrad Klein)
Seine Auslandsstudien in Wittenberg ab März 1682 und in Leipzig ab 1685 sind durch Immatrikulationen belegt, nicht jedoch der Aufenthalt in Straßburg, wobei dieser durchaus glaubwürdig erscheint. An der damals berühmten holländischen Universität in Leiden wurde er am 27. Februar 1688 immatrikuliert. Seinen medizinischen Doktorgrad erwarb er sich jedoch im Oktober 1689 an der kleineren niederländischen Universität zu Harderwijk mit einer Dissertation über fieberhafte Erkrankungen.

Auch die Zeit seiner Rückkehr in die Heimat war von dramatischen Ereignissen gekennzeichnet, denn kaum ein Jahr davor wurde die königliche Freistadt von dem Bürgeraufstand (1688) erschüttert, gefolgt von der Einnahme der Stadt durch kaiserliche Truppen und der Übergabe der Stadtschlüssel im Mai 1688 an General Federico Veterani. Bald darauf folgte der große Stadtbrand am 21. April 1689 mit etwa 300 Todesopfern. Und dann kam wieder der Krieg ins Burzenland. Im Sommer 1690 trafen vor den Toren der Stadt die Truppen des ­antihabsburgischen Gegenfürsten Emmerich Thököly bei Zernescht auf die kaiserlichen Soldaten und errangen einen großen Sieg. Kronstadt schickte eine Delegation mit reichlich Proviant ins Feldlager Thökölys. Der junge Arzt Lucas Seuler war auch dabei, er sollte die Gliederschmerzen des Grafen behandeln und mit ihm verhandeln.

Zu Beginn der letzten Dekade des 17. Jahrhunderts war Kronstadt am Ende. „Der Stolz der Stadt war gebrochen. Ihr Reichtum war zerstört, nicht allein der äußere Glanz. Die Vernichtung der materiellen Güter, für die Generationen gearbeitet hatten, war nicht wie bisher binnen weniger Jahre wettzumachen.“ (H. Roth, 2010) Ausgerechnet in dieser schweren Umbruchszeit gründete Lucas seine Familie. Im Sommer 1690 heiratete er die Witwe Paul Chrestels, Katharina (geb. Albrich) aus Rosenau. Der junge Arzt nutzte seine Chance, sich in der Führungsschicht der Stadt zu etablieren, denn: „Man hat ihn (…) in Foro politico (auf politischem Gebiet und Posten) haben wollen: Er ist 24 Jahre Orator Centumvirorum (Sprecher der Hundertmannschaft oder Stadtvertretung) gewesen.“ Seine berufliche und kommunalpolitische Karriere war beeindruckend. Vom 21. Dezember 1691 bis 1715 war er Stadtphysikus (Stadtarzt), ab 1704 Bierinspektor, dann 1715 Senator, Quaestor, Stadthann (1716-17, 1721-22), Althann, Altrichter und Stadtrichter (1734-1735), um nur die wichtigsten Ämter zu erwähnen. (aus H. Tontsch, 1933)

Früh stellte er auch seine unternehmerische Begabung unter Beweis, indem er neben seiner ausgedehnten ärztlichen Praxis auch die für die Patientenversorgung unabdingbare Apotheke „Zum Goldenen Pelikan“ wieder errichtet und modernisiert hat, „(…) denn durch die Feuerbrunst die Stadtapotheke, die allein in Kronstadt war, (ist) zu Grunde gegangen, hat der Herr Seuler bald nach seiner Retour aus Deutschland solche angeleget und einen Mediascher Purschen namens Michael Binder in dieser Kunst instruiret, damit er seine Offizin versehen solle.“ (aus G. Fabritius, 1986, nach T. Tartler) Es dürfte 1690 oder 1691 gewesen sein. Die Apotheke blieb mindestens bis 1741, als sein Arztsohn Johann Traugott die Offizin nach Buka-rest verlegte und dort die erste öffentliche Apotheke gründete, im Seulerischen Familienbesitz.

Auch in der Geschichte des Kronstädter Buchdrucks spielte Seuler eine erhebliche Rolle. „Johann Schnell verkaufte die Buchdruckerei, nachdem sie durch die Feuersbrunst des Jahres 1689 viel gelitten hatte, an den Doctor Lucas Seulen. Dieser letzterer sowohl als sein Sohn Johann Traugott Seulen verwendeten viele Kosten auf die Herstellung der Buchdruckerei und vermehrten dieselbe mit neuen Lettern.“ (Siebenbürger Wochenblatt, 14. November 1841) Die Druckerei blieb bis 1773 im Besitz seiner Familie. Darüber hinaus errichtete Seuler 1709 auch eine Papiermühle (Wasserkunst) am Tömösch-Kanal, etwa an der Ostseite des Mühlenberges. Sein namensgleicher Sohn Lucas (Autor mehrerer historischer Arbeiten) studierte in Jena und hat es als Stadtbeamter auch zum Orator der Hundertmannschaft von Kronstadt gebracht, jedoch starb er 1733 im Alter von nur 40 Jahren. Johann Traugott studierte Medizin in Leipzig und wirkte als Stadtarzt (1732-1738) in seiner Heimatstadt sowie zeitweise auch am Fürstenhof der Walachei als Leibarzt von Constantin Mavrocordat. Auch er hatte das Amt eines Stadthanns und eines Stadtrichters inne. Das Geschlecht der Seulers war bis zum 19. Jahrhundert in der Oberschicht von Kronstadt vertreten.

Die siebenbürgische Kultur- und Medizingeschichte verzeichnet Lucas Seuler als medizinischen Schriftsteller nicht nur wegen seiner in Harderwijk gedruckten Dissertation, sondern wegen der Herausgabe eines lateinischen Druckes auf zwei Foliobögen mit dem Titel: DE CONSERVANDA BONA VALETUDINE. LIBER SCHOLAE SALERNITANAE (Über die Bewahrung der guten Gesundheit. Die Bücher der Schule von Salerno) im Jahr 1696. Der Drucker war der aus Mähren stammende Nikolaus Müller. Die Motivation der Drucklegung der Salernitanischen Gesundheitsregeln durch Seuler ist weder übermittelt noch einleuchtend aus heutiger Sicht. Diese hochmittelalterlichen Gesundheitsregeln waren in Europa in zahllosen, inhaltlich und umfänglich unterschiedlichen Varianten im Umlauf. Eine Vorlage dazu könnte er selbst aus dem Ausland mitgebracht haben. Immer wieder erschienen auch Übersetzungen der Salernitanischen Gesundheitsregeln, so auch eine ungarische Version vom Klausenburger György Felvinczi, die 1694 in Leutschau (Lőcse/Levoča) gedruckt wurde. Inhaltlich waren diese Regeln in der Ära der Frühaufklärung zwar längst überholt, dennoch genossen sie gewisse Popularität. Sowohl die vergleichende philologische Untersuchung als auch die medizinhistorische Bewertung der Seulerischen (verkürzten) Version dieser Regimina sanitatis stehen heute noch aus. Die Frage, ob dieser Druck, ähnlich wie die Gesundheitslehre des Stadtarztes Paulus Kyr von 1551, für gymnasiale Unterrichtszwecke entstand, muss offen bleiben.

Der Nachwelt in Erinnerung blieb der vor 350 Jahren geborene „Wohlselige Herr Projudex Seuler“ als „ein grundgelehrter Herr, zu welcher Solidität ihm sein Fleiß in der Jugend geholfen. (…) Ins Gubernium (höchste, nur noch dem Wiener Hof unterstellte Regierungsstelle im damaligen Siebenbürgen) hatte der Wohlselige auch kommen können, ja es ihm offeriert, allein er hat niemals nach solchen Ehren gestrebet, sondern allezeit sich mehr der Demut beflissen. Anno 1716 wurde er durch ein Kaiserliches Diploma geadelt (20.04.1716 durch Kaiser Karl VI.) und ihm das Prädikat von Seulen zugelegt.“ (Quellen, Band 7, 162) Thomas Tartler vermerkt in seinem Diarium: „1735: Mense Septembris 1. Wurde der P.T. Herr Doctor Lucas Seuler christlich und standmäßig bestattet (…) Die Meriten (Verdienste) dieses Wohlseligen sind so groß, daß wenige seinesgleichen zu finden, die den Cronern solche nützliche Dienste geleistet. Denn nebst der Druckerei und Papiermühle, die er aufgerichtet und damit viele nützliche Bücher verlegt, auch seine Medizin manchen Kranken mit Gottes Hilfe restituiert und durch seine glücklichen Curen sich nicht nur in Siebenbürgen, sondern auch in Ungern, ja Teutschland berühmt gemacht, so hat er auch in civilibus manches in die schönste Ordnung gebracht (…)“. Sein aus vergoldeter Kupferplatte an­- gefertigtes Epitaph gelangte später (laut G. Nussbächer) aus der Schwarzen Kirche in den ­Bestand des Burzenländer Sächsischen Museums.

Dr. Robert Offner

Schlagwörter: Arzt, Apotheker, Kronstadt, Naturwissenschaften

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Neueste Kommentare

  • 29.03.2011, 15:03 Uhr von bankban: Ein interessanter und spannend geschriebener Artikel, vielen Dank. Nur ein Problem: er macht Lust ... [weiter]

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