13. August 2010

Oana Busuioceanus Briefe an den siebenbürgischen Philosophen Walter Biemel

„Ich bin dem Schicksal dankbar, ein Siebenbürger Sachse zu sein“, sagte Professor Dr. Walter Biemel in seiner Rede anlässlich der Verleihung des Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturpreises 1997 in Dinkelsbühl. Aus dem Briefwechsel des siebenbürgischen Philosophen (1918 in Belgrad geboren, in Kronstadt aufgewachsen) mit Oana Busuioceanu sind die Briefe der rumänischen Intellektuellen in rumänischer Sprache veröffentlicht worden in dem Band: Onica Busuioceanu: „Dragă Walter. Scrisori către un binefăcător“, Humanitas Verlag, Bukarest 2010, 416 Seiten, ISBN 978-973-50-2599-1).
Eine in manch einem Hinblick überraschende Publikation lenkt die Aufmerksamkeit auf die Aktualität des Briefwechsels als literarische Gat­tung: das im Humanitas-Verlag erschienene Buch (zu Deutsch) „Lieber Walter. Briefe an einen Wohltäter“. Die Identität der Federführeden: Professor Walter Biemel, der in Aachen lebende Phänomenologe, und die viel jüngere Oana Busuioceanu, Spross einer namhaften Familie der rumänischen Intelligentia, in Los Angeles hoffnungsvoll gestrandet. Die im Text vorhandenen biografischen Indizien sind unentbehrlich, ist ja die Korrespondenz per definitionem Äußerung von authentischen Menschen in wirklichen Verhältnissen: demnach ein literarischer Fall, dessen Relevanz im direkten Verhältnis zum ver­breiteten Verdruss mit fiktionaler Prosa steht, beziehungsweise zum Hunger nach existentiellen Zeugnissen.

Den Menschen so gut wie realiter nahe zu kommen, mit derlei Erwartung wird ein Briefwechsel zur Hand genommen. Beweggründe wie Neugier und Genuss an Indiskretion wollen wir hier gezielt ausklammern. Die eigenartige Substanz der vorliegenden Korrespondenz duldet solcherlei Frivolitäten nicht. Eine einstimmige Korrespondenz: Was Walter Biemel seinerseits an Oana Busuioceanu schreibt, muss uns vorent­halten bleiben. Diese Entscheidung ist ein durch­aus glücklicher Einfall des Verlegers. Denn aus dem sich derart ergebenden Monolog von „Onica“ entsteht die Formel einer epischen Kontinui­tät, die uns ihre Erlebnisse in der vollen Wucht des Lebensstromes nachempfinden lässt. Übrigens ist die Diktion der Briefe sehr wohl geeignet, das Bildnis des abwesenden Walter gleichsam im Negativ-Verfahren zu vergegenwärtigen: Die fehlende Hälfte der Korrespondenz lässt sich imaginär rekonstruieren, wobei der unsichtbare Wohltäter die Züge einer gleichsam mythischen Gestalt des agierenden Prinzips der Menschenliebe annimmt.

Von Onica erfahren wir gelegentlich, dass Bie­mels Briefe kurz gehalten, telegraphisch sind. Er mag nicht reden, er handelt nur. In einer möglichen Geschlechtsrollen-orientierten Anthropo­logie könnte es heißen: typisch männlich, typisch weiblich. Denn Onica schreibt viel und gerne, in geübter, elegant akademischer Art, bleibt streng und stilbewusst sowohl in den aufdringlichen Hilfeschreien als auch in denjenigen Mitteilungen, die ins Geschwätzige übergehen. Dazu befähigt sie wohl der langjährige Kontakt mit den anspruchsvollen Texten der italienischen und spanischen Schriften der Renaissance, die Oana Busuioceanu bis zu ihrer Auswanderung aus Bukarest (1985) ins Rumänische übersetzt hat.

Nach und nach entsteht wie von selbst aus den Briefen, nämlich aus ihrer verselbstständigten Textdynamik heraus, die lebensechte Geschichte eines selbst auferlegten Exils. Es zeichnet sich dabei nach klassischem Schema eine Entwicklungskurve ab: ein allmähliches Crescendo, dann ein abschüssiger Sturz. Der Briefverkehr hörte 2006 auf. 2007 verstarb Oana Busuioceanu im Alter von 74 Jahren. Wie es in einem richtigen Diagramm zugeht, so stellt sich diese Entwicklungslinie in numerischen Werten dar, denn die Knotenpunkte der Kurve bestehen aus Zahlen, und zwar aus peinlich angemerkten Geldbeträgen, sei es von irgendeiner zuständigen Behörde, sei es von mickerigen Arbeitgebern, größten­teils jedoch vom Wohltäter Walter gespendet.

Die Zahlen werfen lange Schatten, Gespenster der existentiellen Angst einer Heimatlosen, die nunmehr ihre Verhaltensweise bestimmt. Diesem vorstellbaren Diagramm zufolge gliedern sich die Schicksalsmomente zu einer wahren Drama­turgie: Zunächst tastet Onica mit wachsender Dankbarkeit die Hilfsbereitschaft samt Solvenz des Wohltäters ab. Beide erweisen sich als erheblich. Als Walters Ehegattin stirbt, schleichen sich in Onicas Briefe zärtliche Töne, gipfelnd in einer frohlockend angenommenen Einladung nach Paris, wo sie endlich den Wohltäter zu Gesicht bekommen wird. Es könnte ein Wendepunkt in ihrem Schicksal bedeuten.

In diesem entscheidenden Punkt wird Onica von einer abergläubischen Furcht vor der Eifersucht der Götter gepackt, zumal die himmlische Konstellation ungünstig aussieht. Und in der Tat, Walter erscheint mit seiner alt-neuen Lebens­ge­fährtin Thea an der Seite, die kurzerhand jegliche Annäherungschance vereitelt. Schmerzender Sturz aus allen Wolken – und die anschließende Bewertung der Lage, die zu Onicas quasi ausgleichendem, eigentlich verzweifeltem Plan führt, exorbitante, nicht enden wollende und immer weniger für die Glaubwürdigkeit der Begründungen sorgende Geldanforderungen an den Wohltäter zu richten. Es geht nicht um bloße Habgier, es geht noch mehr um Selbstbehauptung. Jetzt gilt es, die Götter umzustimmen. Walter zahlt, Onica bedankt sich mit weiter verpflichtenden Freundschaftserklärungen, macht ihn zum Beichtvater, hält ihn über die Turbulenzen ihrer Karriere genauso akribisch auf dem Laufenden wie über ihre leiblichen Gebrechlich­keiten (wie viele Haare sie täglich verliert und wie teuer eine diesbezügliche Behandlung kosten würde). Walter kommt ihr zuvor, er reagiert mit immer weiter zunehmender Großzügigkeit, will helfen, um jeden Preis. Onicas Bankkonto wächst, ihre bestürzte Dankbarkeit ebenso. Aus den Berichten geht nunmehr hervor, dass sie auf dem Weg zum ersehnten Lebensniveau ist.

Indessen bilanziert sie gewissenhaft die Siegeszüge im Verlauf ihrer holprigen Karriere beim Getty-Institut, parallel zu ihrer privaten Einweihung in den kapitalistischen „way of life“. Es fehlt nicht an nüchternen politischen Kommentaren, jedoch abgemildert durch den Vergleich mit der Welt, woher sie herkommt. Wer will, kann jederzeit online die Bestätigung finden, dass Oana Busuioceanu die „kilometerlange Datenbank“, so ihr stolzer Ausdruck, für die Getty-Bibliothek erstellt hat. Ihr bescheidener Obolus an das Goldene Kalb.

Die wortreiche Berichterstattung vermittelt Onicas Überlebenskünste. Man beachte den verbitterten Wettlauf um die Anerkennung ihrer Leistungen; oder die resolute Resignation nach ihrer gescheiterten Suche nach männlichem An­hang. Man bewundere die barocken Voluten der durchdachten Einwicklung des ohnehin willigen Wohltäters. Man koste die pikante, vordergründig humorige Motivation ihres Verlangens nach getrennten Hotelzimmern in Paris, wo sie ihre eingefleischte Gewohnheit, bei sich zuhause nackt herumzulaufen oder am Schreibtisch zu sitzen, anschaulich schildert. Im Verhältnis lesen sich diese und ähnliche Seiten wie etwa Aretinos Epistel an seinen adligen Gönner!

Eine Betrachtung des Wortschatzwandels zeigt, dass die Schreibende nach und nach keinen diplomatischen Diskurs mehr gebraucht, als die Partie endgültig gewonnen ist, da Walter, nach Theas Ableben erneut allein, Onica noch bedingungsloser zur Seite steht. Mal bitter scher­zend oder süßlich-pathetisch, mal witzig-erotisch, rührend-lebensgierig oder aber suizidal-erpresserisch drücken sich ihre Lebensansichten aus (was aber ihren warmen Gefühle für den Wohltäter überhaupt nicht widerspricht). Bis kaum noch etwas von der wohl temperierten, intellektuell kontrollierten Sprache der Anfänge übrig bleibt. Eine pragmatische Grundeinstellung untermauert den Diskurs, der gelegentlich ins Schroffe gleitet, wenn sie (die ihr berufliches Engagement für das Arbeit- und Prestigespendende Getty-Institut immer wieder beteuert) eine rumänische Delegation von kulturellen Persönlichkeiten über die Möglichkeiten aufklärt, sich das Getty-Institut als „Milchkuh“ zu Nutze zu machen. Namen kommen nur gelegentlich vor, dann aber gnadenlos, wie z.B. in der Begegnung mit dem schillernden, in unappetitlicher Hypostase ertappten Ion Frunzetti.

Es entsteht im Endergebnis ein fesselndes, wenn auch ungewolltes Zeugnis über die weibliche conditio humana vor dem historischen Hin­tergrund solcher Verhältnisse, die gemeinhin als seelenentstellende Verfremdung erfahren werden. Der Umstand, dass die Briefe vom Herausgeber (Walter Biemel, laut seinem editorischen Vorwort) bloß als sachliches Dokument empfohlen werden, tut dem literarischen Genuss der Lektüre keinen Abbruch.

Anca Arghir

Schlagwörter: Rezension, Briefwechsel, Philosophie, Biemel

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