3. September 2009

Karin Servatius-Speck: Weltzugewandtheit und Herkunftsgemeinschaft

Dass sie sechzig Jahre alt wurde, glaubt ihr einer nur nach dem Blick in den Geburtsschein. Dass sie neben ihrer unübersehbar femininen Bonhomie eine mehrsprachig belesene Frau ist, erfährt man erst, wenn das Gespräch den Allgemeinplatz verlässt und die Ebene des sachlich fundierten Wissens erreicht. In vier großen europäischen und universalen Literaturräumen „bewandert“ – dem deutschen, französischen, englischen und spanischen –, sind ihre öffentlichen Auftritte z.B. als Einführerin in Dichterlesungen jedes Mal kurze Ausblicke in weit gespannte Gedankenfelder, doch ebenso vermag sie über bildende Kunst informiert und einfallsreich zu sprechen. Sie wurde am 3. September 1949 im siebenbürgischen Mediasch geboren: Karin Servatius-Speck.
Dem Besuch des städtlichen Gymnasiums – den ausgiebiges Lesen, Wandern und Reisen mit dem geographiekundigen Vater, Malen und Sport bis hin zur Berufung als Speerwerferin ins Hoffungsteam für die Olympischen Spiele l968 in Mexiko begleiteten – folgte das Studium der Germanistik und Anglistik an der Universität Bukarest. Neben dem Hochschulbetrieb wurden ihr hier die Programme des Friedrich-Schiller-Kulturhauses zu einem Mittelpunkt des Lebens: Das 1957 vom unvergessenen Arthur Braedt (1914-1988) gegründete und geprägte deutschsprachige Kulturzentrum lehrte sie Umgang und Dialog mit Autoren und Künstlern unterschiedlichsten Schlags.

Ein Gaststipendium des Deutschen Akademischen Auslanddienstes (DAAD) führte sie 1970 an die Göttinger Universität und damit in einen Brennpunkt des Gesprächs über die deutsche Literaturmoderne. Das Studium schloss sie mit der Diplomarbeit über den Expressionismus in Siegfried Lenz’ damals viel diskutiertem Roman „Die Deutschstunde“ (1968) ab und wurde wissenschaftliche Mitarbeiterin an dem von Georg Scherg (1917-2002) in Hermannstadt geleiteten Lehrstuhl für Germanistik; Romantik, Bürgerlicher Realismus, Moderne, dazu Stilistik der deutschen Gegenwartssprache mit den Schwerpunkten Funktionalstilistik und Psycholinguistik waren ihre Bereiche als Schergs Assistentin.

In Hermannstadt schließlich heiratete sie 1971 Günther Speck, einen Spitzensportler und begnadeten Sportpädogogen; der Ehe entstammen zwei Töchter.

Karin Servatius-Speck zählt sich zu den Zu-spät-Ausgewanderten: 1982 verließ die Familie den Ceaușescu-Staat. Freiburg im Breisgau wurde und blieb bis heute der Lebens- und Berufsraum: Vom Deutsch für Abiturienten-, später auch Französischunterricht an der Volkshochschule, dem die Tätigkeit über viele Jahre als Dozentin am Bildungswerk Freiburg folgte, übernahm sie 2007 einen Lehrauftrag für deutsche Sprache und Kultur an der Freiburger Pädagogischen Hochschule. „Zutritt zu den oberen Rängen des Bildungswesens blieb mir viele Jahre versagt“, notierte die Zu-spät-Ausgewanderte – tat sie es nicht mutatis mutandis für die vielen in vergleichbarer Lage? Dass sie sich 1999-2002 auch als freie Journalistin und verantwortliche Redakteurin für Nachrichten und Kultur einer Wochenzeitung mit eigenen Beiträgen bewährte, weist zusätzlich auf eine intellektuelle Vielseitigkeit hin, die als bemerkenswert bezeichnet werden darf.

Karin Servatius-Speck während einer Lesung beim ...
Karin Servatius-Speck während einer Lesung beim Heimattag 2009 in Dinkelsbühl. Foto: Judith Fehlau
Dieser Frau bedeutet die Welt des „Kirchenburgen-Kulturraums Siebenbürgen“, von dem sie spricht, seelischer und geistigen Wurzelboden, gleichzeitig ihr Bewusstsein von den daran gebundenen Herausforderungen: Integration der von Ost nach West Transplantierten, die Frage der Kontinuitätsfähigkeit kultureller Spezifika u.Ä.m. Das führte sie eines Tages zwangsläufig zur Verbandstätigkeit gleichgesinnter Siebenbürger. 1995 wurde sie zur Stellvertretenden Bundesvorsitzenden des Verbandes der Siebenbürger Sachsen gewählt; sie blieb es bis heute. Auf Ausgleich mit dem besonderen kulturellen Akzent bedacht, gilt sie als ein Geist, der Übersicht mit kritischer Hinterfragung und stilvoller Repräsentanz verbindet. Seit ihrem Mitwirken im Vorstand des Verbandes ist sie auch Mitglied im Gremium, das den Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturpreis verleiht. Sie setzt sich auch als Stellvertretende Vorsitzende des Trägervereins des Siebenbürgischen Museums für den Ort unserer kulturellen Bezüglichkeit in Deutschland ein. „Herzenssache“ ist ihr auch, wie sie schreibt, „die harmonische Zusammenarbeit des Verbandes mit dem Siebenbürgen-Institut und dem Siebenbürgischen Kulturrat.“ Darin drückt sich etwas von der weiterwährenden Traditionskraft sächsischer Erkenntnis über Wert und Wesen des Unus sit populus aus: dass erst die Einheit der Kräfte das Überleben sichert – hier: das kulturelle. Daran ließen sich weitere Hinweise auf die Vita dieser Frau knüpfen.

Zum sechzigsten Geburtstag sei ihr über alle Alltagskalamitäten hinweg die Fortdauer der Bereitschaft zur und Freude an der Wahrnehmung ihrer vielseitig verantwortlichen activitas zum Wohle der Gemeinschaft gewünscht, der anzugehören eine jener ihrer Lebensselbstverständlichkeiten ist, die ihrer Weltzugewandtheit und -offenheit keinerlei Abbruch tun!

Hans Bergel

Schlagwörter: Verbandsleben, Kultur

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