15. Mai 2004

Hans-Werner Schuster

Mit einem zumal für Siebenbürger Sachsen besonderen Kapitel der Zeitgeschichte können sich alle Besucher des Heimattags in Dinkelsbühl auseinandersetzen, zum Teil sogar als unmittelbar betroffene Zeitzeugen. Denn die Ausstellung "'Ihr seid verrückt, wie könnt ihr die Heimat verlassen...?' Siebenbürgen - Herbst 1944" (Im Spitalhof, Dr.-Martin-Luther-Straße 6, Ausstellungsgewölbe; Eröffnung mit einer Einführung von Horst Göbbel am Samstag, dem 29. Mai, 10.00 Uhr) behandelt die Flucht und Evakuierung unserer Landsleute aus ihrer siebenbürgischen Heimat sowie ihre Integration in der neuen Heimat, Ereignisse von eminent einschneidender persönlicher Relevanz, die inzwischen 60 Jahre zurückliegen. Wie Bundeskulturreferent und Ausstellungsmacher Hans-Werner Schuster im nachfolgenden Gespräch mit Christian Schoger erklärt, wird diese Dokumentationsausstellung von thematisch anknüpfenden Begleitveranstaltungen flankiert.

Die Ausstellung haben Sie gemeinsam mit dem Dokumentarfilmer Günter Czernetzky konzipiert?

Ja, unterstützt von Horst Göbbel, Doris Hutter, Kurt Franchy und Enni Janesch.

Was erwartet den Besucher dieser Dokumentationsausstellung?

Dem Thema entsprechend, steht die Flucht und die Evakuierung unserer Landsleute im Herbst 1944 im Vordergrund. Die Folgen werden ebenfalls intensiv beleuchtet - das Finden einer "neuen" Heimat, sei es in Österreich, Deutschland, in Übersee oder auch in Siebenbürgen. Und selbstverständlich werden wir - wie wir es immer machen - die Gelegenheit nutzen, einer breiten Öffentlichkeit auch die "alte" Heimat Siebenbürgen nahe zu bringen.

Sie haben eine Fülle an Material zusammen getragen.

Neben etwa 50 Rahmen mit Foto-, Karten- und sonstigem Infomaterial werden in Vitrinen und Schaukästen Originaldokumente und auch dreidimensionale Objekte ausgestellt.

Woher stammen diese Exponate?

Von vielen privaten Leihgebern, aus dem Siebenbürgischen Archiv und aus dem Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim.

Was macht diese Ausstellung aus siebenbürgischer Sicht hier und heute in Dinkelsbühl sehenswert?

Sehenswert wird sie nicht nur aufgrund der Tatsache sein, dass sie ein einschneidendes Ereignis in bildhafter, ansprechender Form unseren Landsleuten bewusst, anderen Besuchern bekannt macht. Die Ausstellung ist teils auch selbst Materialisierung einer Spielart deutscher Kultur, der siebenbürgisch-sächsischen, und zeugt beredt von der Wertschätzung dieser Kultur durch deren Träger.

Inwiefern?

Man bedenke nur, wie viele Leute nicht nur das unbedingt Lebensnotwendige auf den großen Treck mitnahmen, sondern ebenso materiell und ideell wertvolles Gemeinschafts- und Kulturgut. Auch wenn es "nur" die Zettel von Friedrich Krauß waren, aus denen heute das Nordsiebenbürgisch-sächsische Wörterbuch entstanden ist.

Gibt es eine bestimmte Zielgruppe, die Sie ansprechen wollen?

In Dinkelsbühl primär unsere Landsleute. Und wir hoffen, nicht nur die Erlebnisgeneration unter ihnen - von denen wir uns nicht nur im ZeitZeugen-Studio noch viele Informationen erhoffen -, sondern auch recht viele Jugendliche. Schließlich werden sie hier mit dem frühesten Grund für ihr Hiersein (in Deutschland, Österreich) konfrontiert. Die Ausstellung wird allerdings im Rahmen der diesjährigen Kulturtage auch im Rathaus Nürnberg gezeigt. Dort hoffen wir auch die bundesdeutsche Öffentlichkeit zu erreichen und ihr einen der Gründe für unser Hiersein bewusst zu machen.

Einige ausgewählte Fotos konnte ich vorab betrachten. Beeindruckend, diese enorme Bandbreite der Motive. Die Aufnahmen sind von beachtlichem dokumentarhistorischem Wert.

Angesichts einer relativ kurzen Vorbereitungszeit wird die Ausstellung das Thema nicht erschöpfend behandeln, sondern streiflichtartig beleuchten. Das gilt auch für das Bildmaterial. Auch wenn wir Lücken haben, auch wenn manches Foto den heutigen Ansprüchen an Fotografie nicht gerecht wird oder starke Abnutzungserscheinungen zeigt: Alle haben einen dokumentarhistorischen Wert. Und diesen werden sie durch ihre digitalisierte Erfassung behalten - auch wenn die Originale schon lange an die Leihgeber zurückgegeben und eines Tages mit diesen zusammen verschwunden sein werden.

Verraten Sie uns die Highlights der Ausstellung?

Ich denke, die Summe macht's. Und eventuell entwickelt sich eines der unansehnlichsten Exponate aufgrund seiner emotionalen Aussage, der damit verbundenen Geschichte, zum Magneten. Und jeder einzelne Besucher wird seiner Biografie bzw. seinen Erwartungen entsprechend andere Highlights finden. Um mich aber nicht vor der Antwort zu drücken: Ein Höhepunkt ist sicherlich der Fluchtwagen, der nicht nur als Aushängeschild der Ausstellung im Spitalhof stehen, sondern auch beim Trachtenaufmarsch mitfahren wird. Übrigens ist das auch ein angenehmer Effekt dieser Ausstellung, dass, wie bei anderen Exponaten, seine Existenz in Dinkelsbühl erst jetzt bekannt wurde. Weiteres Glanzlicht ist der rund 500 Jahre alte Deutsch-Budaker Abendmahlskelch und die Patene. Nicht nur wegen des materiellen, künstlerischen und rituellen, sondern auch aufgrund des symbolischen Wertes im Hinblick auf die gelungene Integration, die Bewahrung siebenbürgischer Kultur und nicht zuletzt die Partnerschaft zwischen den Siebenbürger Sachsen und der Stadt Dinkelsbühl.

Beides, Hostienschale und Abendmahlskelch sind Dauerleihgaben, die die Heimatortsgemeinschaft der evangelischen Gemeinde Dinkelsbühl überlassen hat.

Genau, aus Anlass der Feierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen des Hilfskomitees.

Trägt die Ausstellungskonzeption den räumlichen Gegebenheiten im Spitalhof Rechnung?

Nun, wir sind kein Museum, auch keine Galerie, die bei jeder neuen Ausstellung die räumlichen Gegebenheiten den ausgestellten Werken entsprechend anpassen. Andererseits steht uns mit dem Kunstgewölbe im Spital ein gewissermaßen idealer Raum zur Verfügung, der bei aller architektonischen Besonderheit so viel Neutralität ausstrahlt, dass die gezeigten Exponate - ob modern oder traditionell - ihre volle Wirkung entfalten können. So gesehen war lediglich die Größe der Ausstellungsfläche sowie die Präsentationsinfrastruktur bei der Ausstellungskonzeption zu berücksichtigen.

Im Fokus dieses Heimattags steht die Flucht aus Siebenbürgen vor 60 Jahren, die Heimatsuche und Integration. Begleitend zur Ausstellung werden auch ein ZeitZeugen-Studio sowie die Veranstaltung "Zeitzeugen erinnern sich" angeboten. Ein interaktives Gesamtkonzept, das gezielt den dialogbereiten Besucher ansprechen soll?

Das Ereignis, das vor 60 Jahren stattgefunden hat, ist noch zu jung, um nur in der Ausstellung "musealisiert" zu werden. Was wir uns von der Ausstellung erwarten, nämlich neue oder zusätzliche Informationen, Dokumente, Exponate seitens der Besucher, das will der Regisseur Günter Czernetzky auch für seinen in Arbeit befindlichen Dokumentarfilm zur Evakuierung 1944 nutzen. Auch ohne diesen unmittelbaren Anlass hätte es das ZeitZeugen-Studio wohl gegeben, denn mit seinem Projekt ZeitZeugenVideo bannt Czernetzky schon seit Jahren die Erinnerung unserer älteren Generation auf Zelluloid.
Mit den Begleitveranstaltungen wollen wir nicht nur mehr Publikum in die Ausstellung locken. Insbesondere die Erinnerungen der Erlebnisgeneration, die von ihren Nachkommen gelesen werden, haben ihren eigenen Stellenwert - sowohl für die Mitwirkenden als auch für die Zuhörer. Sie machen das Ereignis auf einer anderen, viel persönlicheren Ebene zugänglich. Und vielleicht motivieren sie auch, den Spuren der Geschichte im eigenen Hause, in der eigenen Familie nachzugehen.

Das wäre der Idealfall. Im Sinne aller neugierigen Heimattagsbesucher wünschen wir Ihnen, dass dieses Konzept aufgeht.

Link: Bundeskulturreferat

Schlagwörter: Interview, Verbandsleben

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