17. Juli 2023

"Die Sprache ist mein Garten": Interview mit Nora Iuga

Die bekannte rumänische Dichterin, Schriftstellerin und Übersetzerin Nora Iuga (Eleonora Almosnino mit bürgerlichem Namen) ist am 4. Januar 1931 in Bukarest geboren. Sie debütierte 1968 mit dem Lyrikband „Vina nu e a mea“ (Nicht meine Schuld, 1968), hatte ein acht Jahre langes Veröffentlichungsverbot in den 1970er Jahren und begann dann aus dem Deutschen zu übersetzen. Nach der Wende hatte sie mehrere Stipendien in der Bundesrepublik, wo auch einige ihrer Bücher übersetzt wurden, darunter der Roman „Sexagenara şi tînărul“ (2004, Die Sechzigjährige und der junge Mann, dt. 2010). 2020 erschien der Roman „Hipodrom“ (Das Hippodrom), eine Hommage an Hermannstadt, und 2021 der Lyrikband „Marea păcăleală“ (Der große Streich). Vor kurzem erschienen ihre Neuübersetzung der letzten Gedichte Rolf Bosserts „Unde suntem, ceea ce suntem“ (Wo sind wir, was wir sind) und ihr neuer Lyrikband „Fetiţa strigă în pahar“ (Das Mädchen schreit ins Glas). Ihre Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt. 2015 erhielt sie das deutsche Bundesverdienstkreuz und 2017 den rumänischen Verdienstorden im Rang eines Kommandeurs. Das folgende Gespräch führte Edith Ottschofski.
Auf der Schwelle: Nora Iuga. Foto: Angela Baciu ...
Auf der Schwelle: Nora Iuga. Foto: Angela Baciu
Dein bürgerlicher Name ist Eleonora Almosnino, woher kommt dein Pseudonym Nora Iuga?
Mein Vater war Musiker, er war Violinspieler in Deutschland und er hat sich diesen Namen genommen, weil Iuga besser zu einem Bühnenkünstler passte. Er hieß Zsiga früher, weil er Ungar war. Und dann war er auch in den Papieren Iuga und alles wurde legal. Deshalb habe auch ich den Namen Iuga angenommen.

1968 hast du mit Lyrik auf Rumänisch debütiert mit „Vina nu e a mea“ (Nicht meine Schuld), vorher aber hast du als Deutschlehrerin in Hermannstadt gearbeitet und später als Journalistin für deutschsprachige Zeitungen. Wie fandst du dieses Changieren zwischen den Sprachen?
Oh, es war überhaupt nicht schwer für mich. Als ich drei Jahre alt war, war ich schon in Deutschland, weil mein Vater wie gesagt Geiger war, er hatte ein Orchester in Deutschland und meine Mutter war Tänzerin. Und dann haben sie sehr lange Tourneen gemacht und mich mitgenommen. Als Kind besuchte ich den Kindergarten in Deutschland. Ich glaube, die erste Sprache, die ich gelernt habe, war eigentlich die deutsche Sprache. Damals war ich drei Jahre alt.

Deine Lyrik ist fantasiereich, surreal, sprunghaft, spielerisch. Stimmt das, oder wie würdest du sie beschreiben?
Ja, das tue ich bewusst, denn ich will immer „anders sein“. Ich habe mich sehr gefreut, als ich irgendwo gelesen habe, dass selbst Kant gesagt hätte, die größte Eigenschaft eines Dichters sei die Originalität. Ja, es stimmt sehr gut, denn ich liebe es, Experimente zu machen und ich schreibe nur, wenn ich inspiriert bin. Die Gedichte, die ich schreibe, die haben eigentlich keinen Sinn. Wenn ich beginne zu schreiben, dann kommt das so plötzlich und es ist eher physiologisch, es ist wirklich so ein Phänomen bei mir… wenn ich etwas sagen will, dann wird das Gedicht bloß eine Losung, kein Gedicht! Bei mir ist das Schreiben ein physiologischer Drang, wie das Essen, das Trinken, oder weiß ich, Liebe machen… Wenn ich es will, oder etwas zu sagen habe, dann kommt das Gedicht nicht.

Ist das wie das automatische Schreiben, von dem Gellu Naum gesprochen hat?
Ja, man könnte das auch behaupten. Es ist eher automatisch. Bei mir ist das so. Wenn ich keine Inspiration habe, kann ich überhaupt nicht schreiben. Also keine Gedichte.

Und bearbeitest du sie nachher noch?
Nein, gewöhnlich, wenn ich sie bearbeiten will, werden sie immer viel schlechter. Nur spontan sind sie richtig. Weil dann in mir immer eine andere Stimme spricht, es ist nicht eine Sprache, die ich gewöhnlich spreche. Ich schreibe nur nach Diktat. Also es ist eine Stimme in meinem Kopf, die mir diktiert.

Du hast E. T. A. Hoffmann, Ernst Jünger, Günter Grass, Friedrich Nietzsche, Paul Celan, Elfriede Jelinek übersetzt ...
Oh, ja, ich habe sehr viele große Schriftsteller übersetzt, darunter auch Herta Müller, die Nobelpreisträgerin. Als ich mit den Übersetzungen begonnen habe, war das auch ein Glück… also ich war damals Studentin, als ich begonnen habe, sehr viel zu lesen. Ich ging damals jeden Nachmittag in die Bibliothek für Fremdsprachen, das war eine wunderbare Bibliothek in Bukarest. Dort las ich immer bis zehn Uhr abends.

Dein erster Roman erschien 2010 auf Deutsch bei Matthes und Seitz, „Die Sechzigjährige und der junge Mann“ („Sexagenara şi tînărul“, 2004 auf Rumänisch, dann in drei Neuauflagen), also ein erfolgreiches Buch, es wurde auch ins Bulgarische, Slowenische, Französische, Italienische und Spanische übersetzt.
Ja, es war das Buch, das den größten Erfolg hatte.

Es ist ein Plädoyer für die Lust der Frauen auch im Alter. Trifft es den Nerv der Zeit? Ist es etwas, wofür es sich lohnt, die Stimme zu erheben?
Ich weiß nicht, ob es so ist. Ich weiß nicht einmal, ob hier die Rede von Lust ist. Es ist eher die Sehnsucht einer verspäteten Jugend ...

2020 hast du „Hippodrom“ veröffentlicht, einen Roman, der sich im Spannungsfeld zwischen Erinnerung, Traum, Autobiografie und Fiktion bewegt und deine Zeit in Hermannstadt thematisiert. Was verbindet dich mit Hermannstadt?
Hermannstadt ist meine Lieblingsstadt. Ich habe dort mehrere Jahre erlebt, und zwar die Jahre, als ich noch Teenager war. Ich habe im Ursulinenkloster studiert und diese Nonnen und die ganze Atmosphäre in dieser katholischen Schule waren sehr ungewöhnlich für eine Bukaresterin. Denn Hermannstadt ist ganz anders als Bukarest. Diese mittelalterliche Atmosphäre hat mich sehr angezogen, weil ich sehr romantisch bin. Schon als Kind war ich so.

Ist das Buch mehr Erinnerung oder mehr Fiktion?
Hippodrom ist sehr viel Erinnerung. Es ist eigentlich viel realistischer, als du gesagt hast. Denn diese Geschichte mit dem weißen Pferd, die war eigentlich real. Ich habe sehr viel geträumt und dieses Pferd, das ich tatsächlich jeden Tag auf der Heltauer Gasse in diesem Schaufenster sah, das hat mich verfolgt. Ich war verliebt in dieses Pferd. Es ist eigentlich alles wahr, was ich dort schreibe, es ist überhaupt keine Erfindung.

Du nennst ja manchmal sogar die Klarnamen der Figuren, die darin vorkommen!
Ja, wahrscheinlich, ich habe das schon vergessen, wie ich das gemacht habe.

Du hast viele Stipendien in Deutschland bekommen, aber nur vier Bücher auf Deutsch in der Bundesrepublik veröffentlicht.
Meinst du, das wäre wenig? Ich glaube, das ist ja fantastisch. Ich war sehr stolz. Ich habe sehr viel Erfolg in Deutschland gehabt.

Du sagtest gestern bei unserem Vorgespräch, du liebst die Wörter und die Sprache ist dein Garten. Was meinst du damit?
Das ist mir sehr spontan gekommen und es stimmt. Ich habe tatsächlich den Eindruck, wenn ich inspiriert bin, dass für mich die Wörter Blumen sind und die wachsen immer höher, immer höher und dann kommt etwas Schönes heraus. Wir leben ja manchmal mit Metaphern, obwohl ich in letzter Zeit sehr wenige Metaphern gebrauche, weil ich sie in Gedichten nicht mehr ertrage.

Vor ein paar Tagen hattest du in Bukarest Buchpremiere mit deinem neuen Gedichtband „Fetiţa strigă în pahar“ (Das Mädchen schreit ins Glas), das im Verlag Nemira erschienen ist. Wie war es?
Es war eine meiner schönsten Buchpremieren, ich habe sehr viele Blumen bekommen. Es waren viele Studenten da, viele junge Leute und das freut mich ungemein. Ich glaube, ich werde wiederentdeckt. Mein Chef bei Volk und Kultur, Franz Storch, sagte immer: „Es war mir ein Volksfest!“

Außerdem hast du die letzten Gedichte Bosserts, die du bereits übersetzt hattest, neu übersetzt und im Verlag Tracus Arte in Bukarest herausgebracht. Warum? Hat dir deine alte Übersetzung nicht mehr gefallen?
Ja, zum Teil, würde ich sagen, also es waren Stellen, wo mir die Übersetzung nicht mehr sehr gelungen schien und dann habe ich manche Änderungen gemacht. Ich muss hier sagen, dass ich von diesem Dichter mehr denn je begeistert war. Ich finde Bossert nicht nur den größten Dichter der rumäniendeutschen Lyrik, er könnte ganz gut neben Eminescu stehen! Ich gehöre nicht zu den Lyrikerinnen, die Gedichte mit revolutionärem Pathos schätzen. Die Tatsache, dass die letzten Gedichte Bosserts mit weniger Begeisterung aufgenommen wurden und als lebensmüde abgestempelt wurden, hat dazu geführt, dass sie mich sogar mehr interessierten.

Welches sind deine weiteren Pläne?
Ich mache mir keine Pläne mehr. Es ist sehr riskant. Bald werde ich 93, da kann man von einen Tag auf den anderen überhaupt nicht mehr sicher sein, ob man noch da ist oder nicht. Heute mache ich mir keine Pläne mehr. Die Pläne haben mich früher mehr fasziniert als ihre Erfüllung! Manchmal habe ich keine Lust mehr dazu oder vielleicht keine Kraft mehr.

Und was wünschst du dir?
Wenn man keine Pläne machen kann, kann man sich auch nichts wünschen, würde ich sagen. Ich wünsche mir nichts, aber ich liebe die Sonne am meisten und den hellen Himmel, die Blumen und die Katzen! Ich lebe total alleine. Das macht mich sehr glücklich. Ich habe die Einsamkeit endlich gefunden. Also die schöne Seite der Einsamkeit, wenn ich nur mit mir spreche. Ich hab mich völlig zurückgezogen. Aber ich leide überhaupt nicht darunter. Ich bin froh, einsam zu leben, ich bin eine sehr glückliche Natur. Ich freue mich sehr, dass ich alles alleine tun kann, immer noch. Es ist ein Krieg, den ich gewinne. Jedes Mal hab ich den Krieg immer gewonnen, sogar heute noch... bald werde ich 93! Ich bin sehr stolz darauf.

Vielen Dank für das Gespräch!

Schlagwörter: Literatur, Ottschofski, Iuga, Lyrik

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