17. Januar 2020

Uns gehört das Wundern: Pfarrer i.R. und Mundartautor Bernddieter Schobel wurde 80

Bernddieter Schobel wurde am 10. Januar 1940 in Hermannstadt geboren. Väterlicherseits stammt er aus dem Burzenland, mütterlicherseits aus dem Unterwald. Er studierte Theologie in Hermannstadt und war Pfarrer in Felmern bei Fogarasch und in Neudorf bei Hermannstadt. Nach der Aussiedlung zu Silvester 1969/1970 war er im Schuldienst (bis 1977) und danach als Pfarrer in Hengstfeld bei Crailsheim tätig, wo er heute im Ruhestand zusammen mit seiner Frau Elisabeth wohnt. 1979 war er Mitbegründer der Kreisgruppe Crailsheim – Schwäbisch Hall, für die er sich seither einsetzt. Zudem hält er Gottesdienste bei Veranstaltungen der Siebenbürger Sachsen in Deutschland. In Mundart schreibt er Gedichte und Erzählungen. Seit 2005 betreut er, zusammen mit Hanni Markel, die Mundartrubrik Sachsesch Wält unserer Zeitung, die maßgeblich zur Förderung der Mundart und Autoren beiträgt. Sein Mundartstück „Åwer tichtij wore se dennich!“ wurde von der Theatergruppe Crailsheim beim Heimattag 2008 in Dinkelsbühl aufgeführt. Für sein vielseitiges Engagement wünschen wir Bernddieter Schobel weiterhin Schaffensfreude und vor allem Gesundheit. Im folgenden Text erinnert sich der Jubilar, wie er als Pfarrer unbehelligt von der Securitate tätig sein konnte.
In der Vorweihnachtszeit 2019 hatte unsre Lokalzeitung, das Hohenloher Tagblatt, eine Artikelserie unter dem Motto „Meine schönste Weihnachtserinnerung“ veröffentlicht. Meine Frau und ich wurden angefragt, ob auch wir zu einem Interview bereit wären, und wir dachten uns: Warum nicht? Aus dem Interview ist dann ein seitenfüllender Bericht entstanden. Darin findet sich folgendes Zitat: „,Der Glaube war auch an Weihnachten unser Refugium in dieser [kommunistischen] Lügenwelt und wir haben die Wahrheit im Evangelium gesucht‘, sagt Bernddieter Schobel. Er kennt Amtsbrüder, die sogar gefoltert wurden. ,Ich blieb aber auf merkwürdige Weise von Repressalien verschont‘, wundert sich der Theologe heute noch.“

Tatsächlich ist das Wundern bis heute ein Teil meines Glaubens und damit auch meines Lebens geblieben.
"Das Wundern ist bis heute ein Teil meines Lebens ...
"Das Wundern ist bis heute ein Teil meines Lebens geblieben": Bernddieter Schobel bei einem Gedichtvortrag 2011 in Dinkelsbühl. Foto: Konrad Klein
Recht verwunderlich für jene Zeit war beispielsweise die Sache mit meinem „Dosar“ (Betonung auf der zweiten Silbe), der „Stasi-Akte“ der rumänischen Sicherheitspolizei Securitate. Wenige Tage, nachdem ich den Dienst in einer siebenbürgischen Pfarrgemeinde angetreten hatte, besuchte mich ein Gemeindeglied in meiner Kanzlei und teilte mir in unserer vertrauten siebenbürgisch-sächsischen Mundart mit: „Her Pfarrer, Sie wissen ja, dass es überall jemanden gibt, der der Securitate berichten muss. Und es ist gut, wenn man weiß, wer diese Person ist. Nun, hier“ – sagte er mit einem gewissen naiven Stolz – „hier bin ich es. Aber Sie müssen keine Angst haben. Ich werde nichts Nachteiliges über Sie berichten.“ In welchem Übermaß er sein Versprechen gehalten hat, sollte sich erst einige Jahre später erweisen, nämlich als ich in eine andere Gemeinde gewählt worden war.

Da mein neuer Dienstort in einem andern Verwaltungsbezirk lag, musste auch mein Dosar an die dortige Sicherheitsbehörde übergeben werden. Bei dieser Gelegenheit wurde zum Entsetzen ihrer bisherigen Verwalter entdeckt, dass die Akte vollkommen leer war. Der gute Mann, der mich beobachten sollte, hatte also nicht nur nichts Nachteiliges über mich berichtet, sondern – überhaupt nichts. Und weil mein Dienst in der relativ kleinen Gemeinde ohne nennenswerte Auffälligkeiten verlaufen war, hatte es niemand bemerkt. Ich selbst erhielt Kenntnis von dem Sachverhalt, als der betreffende Mann zu mir kam und sagte: „Man hat mir Strafe angedroht, wenn ich nicht bis morgen einige Berichte nachliefere. Was soll ich machen?“ Nicht ganz uneigennützig – das geb ich ja zu! – bot ich meine Hilfe an: „Gehen Sie jetzt bitte und holen eine Flasche Wein. Inzwischen will ich überlegen, was man machen könnte.“ Ich kann mich nur noch an einen einzigen dieser gemeinsam erarbeiteten Berichte erinnern: „Schreiben Sie: Anfang Dezember hat er über die Kollektivwirtschaft geschimpft.“ – „Aber Herr Pfarrer, das geht ja nicht.“ – „Doch, doch. Schreiben Sie: Er hat gesagt, wenn die Kartoffeln in der Erde gefrieren, dann sei das ein unverantwortlicher Schaden für die sozialistische Volkswirtschaft.“ – „Ach so, ja, so kann man das schreiben.“ Als der Tag anbrach, war die Flasche leer und auf dem Papier waren ein paar Berichte, die mich als parteitreuen Trottel beschrieben, zu naiv zudem, um als Spitzel brauchbar zu sein.

Mit einem solch „guten“ Dosar im Rücken konnte ich in der neuen Gemeinde etwas recht Wunderliches veranlassen, nämlich das Auftauchen der Fahne am 24. August. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung, erstrecht der deutschsprachigen, stand dem Staat in innerlicher Ablehnung gegenüber. In dieser Haltung konnten die Gläubigen durch ihre Kirchen jedoch nicht bestätigt werden, da diese aus Selbsterhaltungsgründen einen staatsfreundlichen Kurs fahren mussten. Einzelgespräche waren für beide Seiten gefährlich, da sich strafbar gemacht hätte, wer ein subversives Gespräch nicht zur Anzeige brachte. So verfiel ich auf die etwas skurrile Idee, ein nonverbales Zeichen zu setzen. Der örtlichen Nomenklatura waren freie Tage sehr wichtig. Dafür kam neben dem 1. Mai nur der 23. August, der „Tag der Befreiung vom nationalsozialistischen Joch“, in Frage. Beide waren Staatsfeiertage und Beflaggung, auch an Pfarrhäusern, vorgeschrieben. Es erschien nun nicht abwegig, dass auch der Pfarrer Urlaub nahm. Mein Urlaub endete am Abend des 23. August. An meinem Pfarrhaus erschien die Fahne daher erst am 24. August. Ich hoffe, dass wenigstens einige Gemeindeglieder das Zeichen verstanden haben. Allerdings stand ich vor der Frage, ob ein solches Verhalten wiederholbar sei. Einer Antwort wurde ich jedoch durch ein Ereignis enthoben, mit dem wir längst nicht mehr gerechnet hatten: 1969 haben wir den Pass bekommen.
Bernddieter Schobel, Hilda Femmig (gest. 2019) ...
Bernddieter Schobel, Hilda Femmig (gest. 2019) und Günther E. Schuster auf dem Heimattag 2011 in Dinkelsbühl. Foto: Konrad Klein
Offensichtlicher Bewahrung steht aber auch Vorläufigkeit gegenüber, Einrichtungsversuchen in dieser Welt Vergeblichkeit. Als kalter Hauch des Vergänglichen meine Familie streifte, war plötzlich der Boden unter den Füßen entzogen, ich sah mich im Abgrund schierer Verzweiflung vergehen. Doch da war auf wunderbare Weise auf einmal ein anderes Sein da, ein tragendes, ein bergendes. Ich erlebte die Gegenwart des Auferstandenen. Ich entsann mich eines meiner Lieblingsgedichte, es stammt von Conrad Ferdinand Meyer:

Die Rechte streckt‘ ich schmerzlich oft
In Harmesnächten
Und fühlt gedrückt sie unverhofft
Von einer Rechten.
Was Gott ist, wird in Ewigkeit
Kein Mensch ergründen,
Doch will er treu sich allezeit
Mit uns verbünden.

Das Wunder selber ist zu groß für uns.
Das Wunder ist sein.
Uns gehört das Wundern.

Åch, Hemmlescher Vueter, wä sål ich der dånken?
Ta huest mir ain si villet giën,
ich mosst net bidden, turft iefåch niën!
De Läw wall nichen Bezuehlung dulden,
sä schinkt är Gowen ohne Schulden.
End dennich, dinken ich gedaldij
driw no, dro ban ich aster schaldij:
De Läw, dä ich erfuehren hun,
dä sål durch mech za Åndre kunn.

Bernddieter Schobel

Schlagwörter: Porträt, Geburtstag, Pfarrer, Mundartautor, Hermannstadt, Burzenland, Unterwald, Crailsheim, Saksesch Wält

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