3. Januar 2010
Wir Brückenbauer: Gedanken zu Geschichte und Selbstverständnis der Siebenbürger Sachsen
In den letzten Jahren wurde kaum ein Festakt oder eine Podiumsdiskussion der Siebenbürger Sachsen ausgelassen, wo diese nicht als Brückenbauer belobigt wurden. Keine Frage, diese Metapher ist vorteilhaft gewählt und durch ständiges Wiederholen gerinnt sie beinahe schon zur Zauberformel. Gemeinhin soll das entstehende Bauwerk, um im Bilde zu bleiben, der Annäherung und Verständigung zwischen den westlichen Aufnahmeländern und Rumänien dienen, wogegen man im Grunde nichts einwenden kann.
Es drängt sich einem gleichwohl der Eindruck auf, dass zwar durch dieses Sinnbild die aktuelle und zukünftige Mission der Siebenbürger Sachsen in ein günstiges Licht gerückt wird, andererseits jedoch die eigentlichen Anliegen unseres Volkes in dessen Schatten geraten könnten. Ist es nun, da wir in Europa gemeinsam unter dem „Sternenbanner zu Hause“ sind, wie ein Jungintellektueller fast euphorisch schrieb, um unsere Zukunft wirklich bestens bestellt? Man sollte sich den Blick für die Realität nicht trüben lassen.
Die Frage wird man stellen dürfen, ob unsere Organisationen im Westen letztendlich zum Aufpolieren des angeschlagenen Ansehens Rumäniens und zu seiner europäischen Integration ausgenutzt werden?
Gleichzeitig ist man in diesem Land noch nicht ganz von Geschichtsverdrehungen der nationalkommunistischen Zeit abgekommen und setzt bewusst auf markante Zeichen: So etwa das Vlad-Țepeș-Denkmal neben der Schäßburger Klosterkirche, oder auch jüngst eine lebensgroße Statue von Gheorghe Lazăr an der Nordseite des Großen Ringes (!) in Hermannstadt. Als ob mit der einen, eh schon im Astra-Park stehenden Büste des Gerühmten Verdienste nicht hinreichend gewürdigt würden.
Dabei wäre es hoch an der Zeit, auch einem Hans Otto Roth das ihm gebührende Andenken zuteil werden zu lassen. Er war es, der beiden Totalitarismen des letzten Jahrhunderts die Stirn bot und letztlich 1953 in einem stalinistischen Gefängnis zugrunde ging. Dieser Schäßburger Rechtsanwalt, den der Historiker Vasile Ciobanu als hervorragendsten Politiker der Rumäniendeutschen im 20. Jahrhundert bezeichnete, setzte sich auf der Landeskirchenversammlung vom Frühjahr 1945 vehement für das Verbleiben seiner Landsleute in der angestammten Heimat ein: „Ich rufe alle auf, sich in die Heimat einzukrallen.“ Der staatsloyale Roth konnte zu diesem Zeitpunkt freilich (noch) nicht wissen, welchen Drangsalierungen und Erniedrigungen sein Sachsenvolk später ausgesetzt sein sollte, abgesehen von dem völligen Entzug seiner wirtschaftlichen Grundlagen.
Wäre es zu weit hergeholt, sich des Märtyrers Stephan Ludwig Roth Vermächtnis, es mit dem eigenen Volke gut gemeint, ohne es jedoch mit den anderen Völkern Siebenbürgens schlecht gemeint zu haben, auch für den 100 Jahre späteren Märtyrer Hans O. Roth vorzustellen?
Kürzlich jährte sich zum 150. Mal der Todestag von Daniel Roth. Zwar Arzt und Theologe, machte er sich vor allem als Schriftsteller einen Namen – am bekanntesten sein Roman „Johann Zabanius, Sachs von Harteneck“. In einer 1848 anonym erschienenen Flugschrift trat er heftig gegen den Anschluss Siebenbürgens an Ungarn auf und setzte sich für dessen Vereinigung mit der Moldau und der Walachei ein, in der Überzeugung, diese werde früher oder später doch kommen. Für das Sachsentum sah er in einem „romänischen“ Reich höhere kulturelle Entwicklungschancen, soferne es „die Romänen nicht brüskiere!“
Ja, die Leiden und Leistungen dieser Schritt um Schritt zurückgewichenen, „allzeit geduldigen Deutschen“, wie der Historiker W. Wattenbach vor ca. 150 Jahren an Georg D. Teutsch schrieb, wie auch dessen Schwager J. Haltrich von „so schmachvoll und wie Fußfetzen behandelten“ Sachsen sprach, sollten nicht der Vergessenheit anheimfallen!
Auch wenn wir gewisse Dinge nicht wie einen Bauchladen ständig vor uns hertragen sollten – etwa das hierzulande oftmals befremdlich wirkende und beargwöhnte „Deutschtum“ – müssten wir alles daransetzen, dass unsere 850-jährige Geschichte nicht verfälscht oder eindeutige Fakten einfach untergepflügt werden. Es ist schon bemerkenswert, wie sich mancher sächsische Exponent zur Geschichte des eigenen Volkes öffentlich äußert. So etwa auf die provokant-dreiste Frage eines österreichischen Journalisten, ob es eigentlich schade wäre, wenn die Siebenbürger Sachsen von der Bühne der Geschichte verschwänden. Darauf gab es von dem schriftstellernden Theologen, der später von der Republik Österreich einen Orden erhielt, nicht mehr als ein laues Gestammel. Von einem lebensklugen Historiker stammt die Sentenz, dass wir Respekt vor den Ahnen haben sollten, so wie sie waren, und nicht so, wie wir sie haben wollen.
Das schließt keineswegs die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit aus, auf der Grundlage der historischen Wahrheit. In letzter Zeit wird immer wieder versucht, unsere Geschichte zu tribunalisieren, um dadurch kollektive Schuldgefühle hervorzurufen. Schuld ist allerdings nicht kollektivierbar.
Es dürfte kaum bekannt sein, dass die Umsiedlung (oder Vertreibung?) der Siebenbürger Sachsen noch v o r dem „Wehrmacht-SS“-Abkommen zwischen der Reichsregierung und der rumänischen Regierung vom 12. Mai 1943 ins Auge gefasst wurde. Dies geht aus einer Gesprächsnotiz von der Unterredung des tschechoslowakischen Exil-Präsidenten E. Benes mit US-Präsident F.D. Roosevelt von Anfang April 1943 hervor. Dass es nicht dazu kam, steht auf einem anderen Blatt; jedenfalls erscheint die gegenüber dem rumänischen Staat als schwerwiegender Loyalitätsbruch betrachtete Waffen-SS-Aktion dadurch in einem etwas anderen Licht.
Für uns Sachsen erscheint mir eine andere historische Hypothek wirkungsmächtiger zu sein: Es ist die jahrhundertelange Kränkung der Rumänen, indem man sie nicht als gleichrangig betrachtet und oftmals auch so behandelt hat. Diese vor allem im ländlichen Bereich erfolgte Herabsetzung hat verständlicherweise tiefe Spuren in der Volksseele der Siebenbürger Rumänen hinterlassen. A. Meschendörfer sprach in seinem Roman „Die Stadt im Osten“ u.a. auch dieses Problem an, wenn er an einer Stelle schlussfolgerte: „Was ist man auf diesen Rumänen herumgetrampelt!“
Man sollte beim Versuch, eine Gegenrechnung aufzustellen, nicht den Fehler begehen, die kommunistischen Enteigner und Peiniger pauschal mit d e n Rumänen gleichzusetzen.
Siebenbürgen im 21. Jahrhundert (fast) ohne Siebenbürger Sachsen – diese Konstellation konnte sich ein sächsischer Chronist anno 1654 nicht vorstellen, wobei dieses für die beiden anderen Nationen genauso galt: „Denn Siebenbürgen ist einem dreifußigen Schusterstuhl zu vergleichen … also auch: gehet eine Nation unter diesen dreien zugrund, so fallen die anderen beide mit“. Gewiss eine überzeichnende Aussage, dennoch im Kern jener Ansicht eines bekannten sächsischen Literaten widersprechend, die Sachsen seien in Siebenbürgen ohnehin nur „Gäste“ gewesen und die Aussiedlung käme somit einer Rücksiedlung gleich.
Dabei verstand man im Mittelalter unter „hospites“ gemeiniglich gerufene Siedler, die später ebenso einen historischen Anspruch darauf hatten, in dem Land zu leben, wie die anderen Bewohner.
Mitte der sechziger Jahre belehrte man uns, wir Sachsen, als bodenständige Gruppe, sollten uns zum Wir-Subjekt des „rumänischen Staatsgefühls“ durchringen und alldort unser kollektives Lebensrecht suchen. Historisch-staatsrechtlich betrachtet vollkommen richtig, nur, das darauf Pochen hätte bekanntlich unversehens einen Gherla-Aufenthalt zur Folge haben können! Auch, hieß es weiter, solle man das rumänische Volk dafür gewinnen, die Sachsen als „integrierenden Bestandteil ihres geschichtlichen Erbes“ anzunehmen. Dann wäre auch für die Sachsen in Siebenbürgen die „Zukunft offen“.
Post festum: Der Stacheldrahtzaun wurde, Gott sei’s geklagt, leider um 20 Jahre zu spät aufgeschnitten. Oder kennt die Geschichte doch kein letztes Wort?
Aufhorchen ließ in Dinkelsbühl die Aussage eines bayerischen Politikers, wonach unsere wahre Heimat Siebenbürgen war, ist und bleiben würde. Das kann man natürlich auch anders sehen, allerdings: Für ein Volk kann es meines Erachtens nur eine Heimat geben, für den Einzelnen ist Heimat eher eine Privatsache. Michael Alberts altväterlicher Mahnung „Trittst du aus dem heil’gen Ringe …“ kommt heutzutage jedenfalls eine eher geringe kommunikative Reichweite zu.
Ein wesentliches, wenn nicht gar entscheidendes Element kulturellen Gemeinschaftsbesitzes ist zweifelsohne das sprachliche Erbe, dessen Verlust einem Stück Selbstaufgabe gleichkommt. Wie es in einer UNESCO-Deklaration an einer Stelle heißt, ist der Verlust einer Sprache ein Verlust für die ganze Menschheit. „Sprecht eure Sprache, sprecht sie drinnen, draußen, auf dem Marktplatz … Der Tag wird nicht kommen, der euch aufgeben sieht.“ So beschwörend redete ein europäischer Dichter vor ca. 30 Jahren auf seine in der kalabrischen Diaspora lebenden Landsleute ein.
In den letzten Jahren ist das sprachliche Selbstbewusstsein der Siebenbürger Sachsen in Deutschland zwar offenkundig etwas gestiegen – ob freilich unter den völlig veränderten soziokulturellen Bedingungen der Zerstreuung die sprachliche Identität auf Dauer gewahrt werden kann, ist ungewiss.
Im Übrigen: Ob das Siebenbürgisch-Sächsische eine eigenständige Sprache oder „nur“ eine Mundart ist, wird letzten Endes nicht an einem Germanistik-Lehrstuhl entschieden, sondern ist eine dem affektiven Seinsverständnis der Sprechergruppe entspringende, und damit deren ureigene Angelegenheit.
Bei allen achtbaren Bemühungen um den Erhalt unserer Kultur zumindest in Restpositionen sollte man stets gewahr sein, dass wir hier „im Westen“ als virtuelle Gemeinschaft nun mal kein zweites Siebenbürgen erschaffen können, so trivial es sich anhören mag.
Natürlich gibt es kein Zurück vor 1939, aber wenn unsere Geschichte noch fortgeschrieben werden soll, wäre es aus europäischer Zukunftsperspektive unabdingbar, mehr und mehr Verbindungslinien auf den Fluchtpunkt Siebenbürgen zu bündeln. Man könnte auch, in Abwandlung eines Aperçus zur vormals „deutschen Frage“ postulieren, die „siebenbürgische Frage“ bleibt so lange offen, solange die rumänische Grenze nicht geschlossen ist.
Die in letzter Zeit in den Heimatorten stattfindenden Treffen werden zahlreicher. Sie bieten Gelegenheit, nicht nur dem unwiederbringlich Entschwundenen – es ist meistens auch die eigene Kindheit und Jugendzeit! – nachzutrauern, sondern in der Begegnung mit ehemaligen rumänischen Nachbarn Freundschaften wiederzubeleben oder vielleicht Versöhnung zu feiern.
Behörden und Institutionen sind das eine – die verschlampte Frage der Restitution und Entschädigung sowie die Rentenproblematik müssen zweifellos gelöst werden – leibhaftige Menschen das andere. Nur wer es miterlebt hat, wie sich der Ortspope im Namen seiner Glaubensgemeinde entschuldigt hat für das den Sachsen angetane Unrecht und deren Auszug aufrichtig bedauerte, kann ermessen, welche Ansätze sich zu einem Neubeginn der Beziehungen noch anbieten können.
Wir als Brückenbauer? Ja, warum nicht – aber bitte ohne dass dabei unsere Sache den Bach hinuntergeht.
Hofrat i. R. Dipl.-Ing. Walter Schuller, geboren 1944 in Rode, studierte Forstwirtschaft in Kronstadt und Wien, beruflich im Höheren Forsttechnischen Dienst bzw. Naturschutzfachdienst beim Amt der Oberösterreichischen Landesregierung tätig, seit 2004 im Ruhestand, 1988 bis 1998 Bundeskulturreferent der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Österreich, Veröffentlichungen über die Herkunft der Siebenbürger Sachsen, lebt in Traun in Oberösterreich.
Die Frage wird man stellen dürfen, ob unsere Organisationen im Westen letztendlich zum Aufpolieren des angeschlagenen Ansehens Rumäniens und zu seiner europäischen Integration ausgenutzt werden?
Gleichzeitig ist man in diesem Land noch nicht ganz von Geschichtsverdrehungen der nationalkommunistischen Zeit abgekommen und setzt bewusst auf markante Zeichen: So etwa das Vlad-Țepeș-Denkmal neben der Schäßburger Klosterkirche, oder auch jüngst eine lebensgroße Statue von Gheorghe Lazăr an der Nordseite des Großen Ringes (!) in Hermannstadt. Als ob mit der einen, eh schon im Astra-Park stehenden Büste des Gerühmten Verdienste nicht hinreichend gewürdigt würden.
Dabei wäre es hoch an der Zeit, auch einem Hans Otto Roth das ihm gebührende Andenken zuteil werden zu lassen. Er war es, der beiden Totalitarismen des letzten Jahrhunderts die Stirn bot und letztlich 1953 in einem stalinistischen Gefängnis zugrunde ging. Dieser Schäßburger Rechtsanwalt, den der Historiker Vasile Ciobanu als hervorragendsten Politiker der Rumäniendeutschen im 20. Jahrhundert bezeichnete, setzte sich auf der Landeskirchenversammlung vom Frühjahr 1945 vehement für das Verbleiben seiner Landsleute in der angestammten Heimat ein: „Ich rufe alle auf, sich in die Heimat einzukrallen.“ Der staatsloyale Roth konnte zu diesem Zeitpunkt freilich (noch) nicht wissen, welchen Drangsalierungen und Erniedrigungen sein Sachsenvolk später ausgesetzt sein sollte, abgesehen von dem völligen Entzug seiner wirtschaftlichen Grundlagen.
Wäre es zu weit hergeholt, sich des Märtyrers Stephan Ludwig Roth Vermächtnis, es mit dem eigenen Volke gut gemeint, ohne es jedoch mit den anderen Völkern Siebenbürgens schlecht gemeint zu haben, auch für den 100 Jahre späteren Märtyrer Hans O. Roth vorzustellen?
Kürzlich jährte sich zum 150. Mal der Todestag von Daniel Roth. Zwar Arzt und Theologe, machte er sich vor allem als Schriftsteller einen Namen – am bekanntesten sein Roman „Johann Zabanius, Sachs von Harteneck“. In einer 1848 anonym erschienenen Flugschrift trat er heftig gegen den Anschluss Siebenbürgens an Ungarn auf und setzte sich für dessen Vereinigung mit der Moldau und der Walachei ein, in der Überzeugung, diese werde früher oder später doch kommen. Für das Sachsentum sah er in einem „romänischen“ Reich höhere kulturelle Entwicklungschancen, soferne es „die Romänen nicht brüskiere!“
Ja, die Leiden und Leistungen dieser Schritt um Schritt zurückgewichenen, „allzeit geduldigen Deutschen“, wie der Historiker W. Wattenbach vor ca. 150 Jahren an Georg D. Teutsch schrieb, wie auch dessen Schwager J. Haltrich von „so schmachvoll und wie Fußfetzen behandelten“ Sachsen sprach, sollten nicht der Vergessenheit anheimfallen!
Auch wenn wir gewisse Dinge nicht wie einen Bauchladen ständig vor uns hertragen sollten – etwa das hierzulande oftmals befremdlich wirkende und beargwöhnte „Deutschtum“ – müssten wir alles daransetzen, dass unsere 850-jährige Geschichte nicht verfälscht oder eindeutige Fakten einfach untergepflügt werden. Es ist schon bemerkenswert, wie sich mancher sächsische Exponent zur Geschichte des eigenen Volkes öffentlich äußert. So etwa auf die provokant-dreiste Frage eines österreichischen Journalisten, ob es eigentlich schade wäre, wenn die Siebenbürger Sachsen von der Bühne der Geschichte verschwänden. Darauf gab es von dem schriftstellernden Theologen, der später von der Republik Österreich einen Orden erhielt, nicht mehr als ein laues Gestammel. Von einem lebensklugen Historiker stammt die Sentenz, dass wir Respekt vor den Ahnen haben sollten, so wie sie waren, und nicht so, wie wir sie haben wollen.
Das schließt keineswegs die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit aus, auf der Grundlage der historischen Wahrheit. In letzter Zeit wird immer wieder versucht, unsere Geschichte zu tribunalisieren, um dadurch kollektive Schuldgefühle hervorzurufen. Schuld ist allerdings nicht kollektivierbar.
Es dürfte kaum bekannt sein, dass die Umsiedlung (oder Vertreibung?) der Siebenbürger Sachsen noch v o r dem „Wehrmacht-SS“-Abkommen zwischen der Reichsregierung und der rumänischen Regierung vom 12. Mai 1943 ins Auge gefasst wurde. Dies geht aus einer Gesprächsnotiz von der Unterredung des tschechoslowakischen Exil-Präsidenten E. Benes mit US-Präsident F.D. Roosevelt von Anfang April 1943 hervor. Dass es nicht dazu kam, steht auf einem anderen Blatt; jedenfalls erscheint die gegenüber dem rumänischen Staat als schwerwiegender Loyalitätsbruch betrachtete Waffen-SS-Aktion dadurch in einem etwas anderen Licht.
Für uns Sachsen erscheint mir eine andere historische Hypothek wirkungsmächtiger zu sein: Es ist die jahrhundertelange Kränkung der Rumänen, indem man sie nicht als gleichrangig betrachtet und oftmals auch so behandelt hat. Diese vor allem im ländlichen Bereich erfolgte Herabsetzung hat verständlicherweise tiefe Spuren in der Volksseele der Siebenbürger Rumänen hinterlassen. A. Meschendörfer sprach in seinem Roman „Die Stadt im Osten“ u.a. auch dieses Problem an, wenn er an einer Stelle schlussfolgerte: „Was ist man auf diesen Rumänen herumgetrampelt!“
Man sollte beim Versuch, eine Gegenrechnung aufzustellen, nicht den Fehler begehen, die kommunistischen Enteigner und Peiniger pauschal mit d e n Rumänen gleichzusetzen.
Siebenbürgen im 21. Jahrhundert (fast) ohne Siebenbürger Sachsen – diese Konstellation konnte sich ein sächsischer Chronist anno 1654 nicht vorstellen, wobei dieses für die beiden anderen Nationen genauso galt: „Denn Siebenbürgen ist einem dreifußigen Schusterstuhl zu vergleichen … also auch: gehet eine Nation unter diesen dreien zugrund, so fallen die anderen beide mit“. Gewiss eine überzeichnende Aussage, dennoch im Kern jener Ansicht eines bekannten sächsischen Literaten widersprechend, die Sachsen seien in Siebenbürgen ohnehin nur „Gäste“ gewesen und die Aussiedlung käme somit einer Rücksiedlung gleich.
Dabei verstand man im Mittelalter unter „hospites“ gemeiniglich gerufene Siedler, die später ebenso einen historischen Anspruch darauf hatten, in dem Land zu leben, wie die anderen Bewohner.
Mitte der sechziger Jahre belehrte man uns, wir Sachsen, als bodenständige Gruppe, sollten uns zum Wir-Subjekt des „rumänischen Staatsgefühls“ durchringen und alldort unser kollektives Lebensrecht suchen. Historisch-staatsrechtlich betrachtet vollkommen richtig, nur, das darauf Pochen hätte bekanntlich unversehens einen Gherla-Aufenthalt zur Folge haben können! Auch, hieß es weiter, solle man das rumänische Volk dafür gewinnen, die Sachsen als „integrierenden Bestandteil ihres geschichtlichen Erbes“ anzunehmen. Dann wäre auch für die Sachsen in Siebenbürgen die „Zukunft offen“.
Post festum: Der Stacheldrahtzaun wurde, Gott sei’s geklagt, leider um 20 Jahre zu spät aufgeschnitten. Oder kennt die Geschichte doch kein letztes Wort?
Aufhorchen ließ in Dinkelsbühl die Aussage eines bayerischen Politikers, wonach unsere wahre Heimat Siebenbürgen war, ist und bleiben würde. Das kann man natürlich auch anders sehen, allerdings: Für ein Volk kann es meines Erachtens nur eine Heimat geben, für den Einzelnen ist Heimat eher eine Privatsache. Michael Alberts altväterlicher Mahnung „Trittst du aus dem heil’gen Ringe …“ kommt heutzutage jedenfalls eine eher geringe kommunikative Reichweite zu.
Ein wesentliches, wenn nicht gar entscheidendes Element kulturellen Gemeinschaftsbesitzes ist zweifelsohne das sprachliche Erbe, dessen Verlust einem Stück Selbstaufgabe gleichkommt. Wie es in einer UNESCO-Deklaration an einer Stelle heißt, ist der Verlust einer Sprache ein Verlust für die ganze Menschheit. „Sprecht eure Sprache, sprecht sie drinnen, draußen, auf dem Marktplatz … Der Tag wird nicht kommen, der euch aufgeben sieht.“ So beschwörend redete ein europäischer Dichter vor ca. 30 Jahren auf seine in der kalabrischen Diaspora lebenden Landsleute ein.
In den letzten Jahren ist das sprachliche Selbstbewusstsein der Siebenbürger Sachsen in Deutschland zwar offenkundig etwas gestiegen – ob freilich unter den völlig veränderten soziokulturellen Bedingungen der Zerstreuung die sprachliche Identität auf Dauer gewahrt werden kann, ist ungewiss.
Im Übrigen: Ob das Siebenbürgisch-Sächsische eine eigenständige Sprache oder „nur“ eine Mundart ist, wird letzten Endes nicht an einem Germanistik-Lehrstuhl entschieden, sondern ist eine dem affektiven Seinsverständnis der Sprechergruppe entspringende, und damit deren ureigene Angelegenheit.
Bei allen achtbaren Bemühungen um den Erhalt unserer Kultur zumindest in Restpositionen sollte man stets gewahr sein, dass wir hier „im Westen“ als virtuelle Gemeinschaft nun mal kein zweites Siebenbürgen erschaffen können, so trivial es sich anhören mag.
Natürlich gibt es kein Zurück vor 1939, aber wenn unsere Geschichte noch fortgeschrieben werden soll, wäre es aus europäischer Zukunftsperspektive unabdingbar, mehr und mehr Verbindungslinien auf den Fluchtpunkt Siebenbürgen zu bündeln. Man könnte auch, in Abwandlung eines Aperçus zur vormals „deutschen Frage“ postulieren, die „siebenbürgische Frage“ bleibt so lange offen, solange die rumänische Grenze nicht geschlossen ist.
Die in letzter Zeit in den Heimatorten stattfindenden Treffen werden zahlreicher. Sie bieten Gelegenheit, nicht nur dem unwiederbringlich Entschwundenen – es ist meistens auch die eigene Kindheit und Jugendzeit! – nachzutrauern, sondern in der Begegnung mit ehemaligen rumänischen Nachbarn Freundschaften wiederzubeleben oder vielleicht Versöhnung zu feiern.
Behörden und Institutionen sind das eine – die verschlampte Frage der Restitution und Entschädigung sowie die Rentenproblematik müssen zweifellos gelöst werden – leibhaftige Menschen das andere. Nur wer es miterlebt hat, wie sich der Ortspope im Namen seiner Glaubensgemeinde entschuldigt hat für das den Sachsen angetane Unrecht und deren Auszug aufrichtig bedauerte, kann ermessen, welche Ansätze sich zu einem Neubeginn der Beziehungen noch anbieten können.
Wir als Brückenbauer? Ja, warum nicht – aber bitte ohne dass dabei unsere Sache den Bach hinuntergeht.
Walter Schuller
Hofrat i. R. Dipl.-Ing. Walter Schuller, geboren 1944 in Rode, studierte Forstwirtschaft in Kronstadt und Wien, beruflich im Höheren Forsttechnischen Dienst bzw. Naturschutzfachdienst beim Amt der Oberösterreichischen Landesregierung tätig, seit 2004 im Ruhestand, 1988 bis 1998 Bundeskulturreferent der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Österreich, Veröffentlichungen über die Herkunft der Siebenbürger Sachsen, lebt in Traun in Oberösterreich.
Schlagwörter: Verband, Siebenbürger Sachsen, Geschichte
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