22. April 2017

Auf dem Dach Europas

Klaus Petzak ist vermutlich der erste Siebenbürger, der im Winter allein den Mont Blanc bestiegen hat. Im Folgenden berichtet er über seinen „verwegenen Alleingang“ im Dezember 2016.
Es ist Ende Dezember 2016. In den Bergen liegt wenig Schnee. Erinnerungen an frühere Winterbesteigungen in Siebenbürgen kommen auf, der Wunsch diese wieder aufleben zu lassen, und gleichzeitig der verwegene Gedanke, einen Alleingang auf den Mont Blanc zu starten. Der letzte Gedanke wird schnell konkret und schon packe ich den Rucksack.

Am 28. Dezember um 13.30 Uhr starte ich vom Parkplatz in Chamonix. Sehr warme Temperaturen bringen mich beim Anstieg der Bellevue ordentlich ins Schwitzen. Meine doppelten Expeditionsschuhe verringern zwar das Rucksackgewicht, sind aber bei Hitze behindernd. Trotzdem lasse ich die Skipisten schnell hinter mir und gehe entlang der beschneiten Schienen der Zahnradbahn hoch bis zu dem Tunnel. Dieser ist am oberen Ende gesperrt und zwingt mich zu einem kurzen anstrengenden Umweg zur Nid d’Aigle (2362 m), der Endstation der Zahnradbahn. Im Winter ist es hier gespenstisch einsam.
Bosses Grat, auf dem Weg zum Mont Blanc 4808 m, ...
Bosses Grat, auf dem Weg zum Mont Blanc 4808 m, Dezember 2016. Foto: Klaus Petzak
Mein Versuch weiter zur Tête-Rousse-Hütte (3165 m) hoch zu steigen, scheitert wegen heftiger Windböen und zu tiefem Schnee. Ich kehre um, befreie den Eingang der Nid d’Aigle-Hütte vom Schnee und quartiere mich in dem Winterraum ein. Drei russische Bergsteiger trudeln ein, als ich gerade Abendessen vorbereite. Draußen stürmt ein unangenehmer kalter Wind und wir verbringen einen kurzweiligen, interessanten Abend in der Hütte.

Kurz vor Sonnenaufgang ist es windstill und wir starten zu viert in Richtung Tête-Rousse-Hütte. Dank Schneeschuhen komme ich ziemlich schnell voran. Die drei russischen Bergsteiger versinken immer wieder im hohen Schnee und bleiben zurück. An den Felsen des Tête-Rousse-Gletschers tausche ich Schneeschuhe gegen Steigeisen aus. Ich beeile mich. Der Grund ist eine steinschlaggefährdete Rinne auf dem Weiterweg zur Gouter-Hütte (3815 m), die ich queren möchte, bevor die Sonne die oberen Felsen erreicht und Steinschlag auslöst. Jedes Jahr gibt es in dieser Rinne Verletzte, letzten Sommer war sie sogar gesperrt. Die vereisten Randfelsen der Rinne erhöhen die Gefahr. Ich entscheide vor Ort, die Rinne nicht in den vorhandenen Spuren, sondern schräg abwärts zu queren, damit ich im Falle eines Steinschlags schneller laufen kann. Die Querung gelingt wie geplant. Freudig beginne ich die Kletterei auf den Felsen. Mein Herz steht plötzlich ganz still, als etwas später ein donnernder Steinschlag in der Rinne abgeht. Ich verfehle zweimal danach den Weg, finde ihn aber wieder. Schnee und Eis auf den Felsen erfordern sehr hohe Konzentration beim Klettern.

Klaus Petzak, vermutlich der erste Bergsteiger ...
Klaus Petzak, vermutlich der erste Bergsteiger mit Wurzeln in Rumänien, schafft den Winteralleingang auf den Mont Blanc 4 808 m, Dezember 2016, Selfie
In der Gouter-Hütte treffe ich einen französischen Bergsteiger, der gerade auf dem Gipfel war und mir Infos zur Schneebeschaffenheit und zum besten Weg geben kann. Weitere fünf französische Bergsteiger verbringen mit uns im Winterraum eine ruhige und kurze Nacht. Morgens geht es noch im Dunkeln auf den Grat über der Hütte, dann in die Flanke des Dome de Gouter und hier über mehrere kleine Gletscherspalten in Richtung Sattel. Die aufgehende Sonne taucht die ganze Bergwelt unter mir in ein bezauberndes Licht und schenkt mir unvergessliche Bilder und Momente einer grandiosen, märchenhaften Landschaft. Ein kurzer Abstieg und ein vereister Aufstieg führen zur Vallot-Hütte (4362 m). Der Bosses Grat hinter der Hütte ist so vereist, dass die Steigeisen beim Gehen kaum Spuren hinterlassen. Beruhigend ist ein Hubschrauber der Berggendarmerie, der jede Stunde vorbeifliegt, um nach Bergsteigern Ausschau zu halten. Schmale Gratpassagen und eine große Gletscherspalte mit einer dicken Schneebrücke sorgen für abenteuerliche Momente und verlangen hochkonzentriertes Balancieren und Klettern. Die italienische Flanke bricht rechts senkrecht ca. 2000 m in die Tiefe ab. Dadurch werden die Ausblicke in die Tiefe beim Hochgehen immer beindruckender und dramatischer und fordern absolute Schwindelfreiheit. Nach fast sechs Stunden Aufstieg ist es geschafft! Der Grat wird flacher und breiter und der Mont Blanc (4808 m) ist erreicht. Es ist windstill. Ich bleibe fast eine Stunde hier und versuche, jede Einzelheit der Landschaft aufzusaugen. Voller überwältigender Gefühle und mit Wehmut trete ich den Abstieg an. Dauernd muss ich mich zu höchster Konzentration ermahnen und mir vorsagen, dass ich gesund in der Hütte ankomme. Jeder einzelne Schritt auf dem Grat muss mit äußerster Vorsicht gesetzt werden. An der Vallot-Hütte vorbei, steige ich in den kleinen Sattel neben dem Dome de Goutier auf. Beim direkten Abstieg durch die Flanke umgehe ich die gefährlichen Spalten. In weniger als drei Stunden Abstieg ist der Grat über der Hütte erreicht. Bei meiner Ankunft in der Hütte ist ein russischer Bergsteiger da. Er und eintreffende einheimische Bergsteiger freuen sich mit mir über meinen Gipfelerfolg.

Am nächsten Morgen muss der beste Zeitpunkt für den weiteren Abstieg gewählt werden. Ich starte später, komme gut voran und schaffe glücklicherweise eine schnelle Querung der Rinne. Der weitere Abstieg ins Skigebiet zieht sich sehr lange hin. Als größte Herausforderung des Tages empfinde ich den Abstieg vom Skigebiet zum Parkplatz wegen der ungewohnten Hitze. Erfüllt von diesen erlebnisreichen Tagen, trete ich nachmittags die Heimfahrt an. Eine Stunde nach Silvester angekommen, feiere ich noch glücklich mit meiner Familie Neujahr.

Klaus Petzak

Schlagwörter: DAV, Mont Blanc, Bergsteigen

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