12. Februar 2015

Leserecho: Urzelbrauch aus Deutschland nach Siebenbürgen gebracht

Ulrich Thumm geht in seiner Leserzuschrift der Frage nach, warum sich die Fasnacht in evangelischen Kirchengemeinden in Siebenbürgen erhalten konnte.
Am Wochenende vom 17./18. Januar feierte man das Jubiläum 50 Jahre Urzelzunft in Sachsenheim (SbZ Online vom 28. Januar). Es ist wohl einmalig in Europa, dass ein Brauch über mehr als 1500 km 1:1 transferiert wurde. Es ist davon auszugehen, dass der Brauch aus Deutschland nach Siebenbürgen gebracht wurde, dort Jahrhunderte lang gepflegt wurde und 1965 als „Reimport“ nach Deutschland zurückkam! Warum konnte sich die Fasnacht in evangelischen Kirchengemeinden in Siebenbürgen erhalten? Um die Antwort zu finden, bedarf es einer kleinen Reise in die Vergangenheit.

Der ungarische König Geysa II (*1130, gestorben 1162) holte die Siedler in sein Reich und stattete sie mit vielfältigen Privilegien und Freiheiten aus. Die „Einwanderer“ ließen sich die Autonomierechte von Andreas II im Jahre 1224 bestätigen. Diese Rechte beinhalteten z.B., dass im Andreanischen Rechtsgebiet „Königboden“ die jeweilige Kommune die Priester, Richter und Verwaltung frei wählen konnten. Ganz im Gegensatz zum restlichen Europa. Im Übrigen galt im frühen Mittelalter: Der Erbauer einer Kirche hatte das Recht, den Priester einzusetzen. Die Kirche forderte dieses Recht und anderes für sich. Im Investiturstreit hatte europaweit die Kurie die Oberhand gewonnen und konnte u.a. die Priester einsetzen. Nicht so in Siebenbürgen. Die Saxones (war nicht ethnisch definiert, sondern ein rechtlicher Terminus) konnten ihre gemeindliche Selbstverwaltung beibehalten, selbst über die Reformation hinaus. Die Gemeinde bestellte und bezahlte Lehrer, Pfarrer und Glöckner. Dem Pfarrer wurden zwei Laien als „Kirchenväter“ zur Seite gestellt. Erst 1861 bekamen die „Kirchenväter“ noch einen Kurator (der ebenfalls Laie war) vorgesetzt. Die Laienvertreter waren auch ein Bindeglied zur „weltlichen Gesellschaft“. Neben den Zünften wurde das gemeinschaftliche Leben insbesondere auch durch Schwestern-, Bruder- und Nachbarschaften geprägt und bestimmt, die das gesellschaftliche Leben mit Rechten und Pflichten sehr detailliert regelten. Sie waren aber allesamt mit der Kirche verbunden. Letztlich hatte alles seinen Ursprung in der Tatsache, dass das Individuum alleine nicht überlebensfähig war. Nur durch das genossenschaftlich organisierte Gemeinwesen war eine gemeinsame Lebensbewältigung möglich. Pflichten (Brunnen, Alm­ende etc.) und Feiern (Richttage, Fasnacht, aber auch Abendmahl) erfolgten in der Gemeinschaft. Derartiges „Genossenschaftswesen“ ging in Mittel- und Westeuropa im 16. Jahrhundert unter. In Siebenbürgen blieb es als Nachbarschaftswesen erhalten. Sowohl in den politischen als auch kirchlichen Gemeinschaften wurde meines Erachtens von unten nach oben regiert. Die evangelischen Siebenbürger Sachsen wollten offensichtlich nicht in den Keller gehen, um zu lachen. Sie behielten trotz Reformation und hartem Dasein ihre Lebensfreude bei, die sich durch vielfältiges Feiern manifestierte. Dazu gehörte auch immer die Fasnacht, die von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt unterschiedliche Ausprägungen hatte. Sicherlich haben alle Fasnachtsbräuche ihren Ursprung in der vorreformatorischen Zeit und wurden via Zünfte, Bruder- und Nachbarschaften in die Gegenwart gerettet.

Ulrich Thumm, Weil der Stadt

Schlagwörter: Urzeln, Brauchtum, Leserecho

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