11. Juni 2007

Podiumsdiskussion in Dinkelsbühl: "Wir in Europa"

Der europäische Einigungsprozess eröffnet große Chancen für die Siebenbürger Sachsen, ihre Kultur zu pflegen sowie Forscher und die Öffentlichkeit an das Thema Siebenbürgen heranzuführen. Dies stellten Vertreter aus Kirche, Politik und Wissenschaft in einer niveauvollen Podiumsdiskussion fest, die zum Motto des diesjährigen Heimattages, „Wir in Europa“, unter der Moderation des Journalisten Robert C. Schwartz, Leiter der Redaktion Rumänien der Deutschen Welle, zum Abschluss des Pfingsttreffens am 28. Mai im Kleinen Schrannensaal stattfand. Europa ist in Bewegung geraten, und die Siebenbürger Sachsen sind entschlossen, sich in diesen Prozess einzubringen. So viel Hoffnung brachten die Teilnehmer zu Sprache, dass man sich – so Robert Schwartz – um das „Wir in Europa“ keine Sorgen machen muss.
Für Robert C. Schwartz ist das Motto des Heimattages ein klares Bekenntnis zur europäischen Integration und zur Brückenfunktion, die wir wahrgenommen hätten und wahrnehmen würden. „Wir in Europa“ sei zugleich eine Rückbesinnung auf die Werte, die wir gemeinsam in Europa geschaffen hätten. „Wer sind wir?“, fragte der Moderator und verwies auf unterschiedliche Siebenbürger Sachsen, angefangen von jenen, die sich zur Integration gezwungen fühlten, weil sie Angst hätten, einen Teil ihrer Identität aufzugeben, bis hin zu jenen, die ihre Vergangenheit eher verdrängten und über kurz oder lang assimiliert sein würden. Europa definierte der aus Hermannstadt stammende Journalist (Jahrgang 1956) als „eine Gemeinschaft, die wir mit unserer interkulturellen Erfahrung mitgestalten wollen. Da haben wir eine viel reichere Erfahrung als andere Europäer.“ Das Miteinander und manchmal Nebeneinander der Völker in Siebenbürgen hätte uns geprägt und „europäischer“ gemacht, als wir das überhaupt wahrnehmen.

Podiumsdiskussion zum Abschluss des Heimattages in Dinkelsbühl, von links nach rechts: Dr. Gerald Volkmer, Dr. Paul Niedermaier, Karin Servatius-Speck, Robert C. Schwartz, Dr. Paul Jürgen Porr und Dekan i.R. Hermann Schuller. Foto: Petra Reiner
Podiumsdiskussion zum Abschluss des Heimattages in Dinkelsbühl, von links nach rechts: Dr. Gerald Volkmer, Dr. Paul Niedermaier, Karin Servatius-Speck, Robert C. Schwartz, Dr. Paul Jürgen Porr und Dekan i.R. Hermann Schuller. Foto: Petra Reiner


Die Siebenbürger Sachsen wurden durch Erfahrungen geprägt, die sie in ihrer jahrhundertealten Geschichte im südöstlichen Europa gesammelt haben, eine Geschichte, die sie immer zugleich westeuropäisch eingebunden hat, stellte Karin Servatius-Speck, Stellvertretende Bundesvorsitzende der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen und stellvertretende Vorsitzende des Trägervereins des Siebenbürgischen Museums, vom Podium aus fest. Dazu gehörten die deutsche Muttersprache, eine westeuropäisch-humanistische Bildung und Kulturschöpfung, der lutherisch-christliche Glaube, Fleiß, Konsequenz, Toleranz, gepaart mit klugen und souveränen Überlebensstrategien, Werte, die uns fit gemacht haben, uns vor allem in Deutschland und Österreich eine neue Heimat zu erwerben. Eine wichtige Rolle im Prozess der Neubeheimatung spiele die Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen seit ihrer Gründung im Jahr 1949. Sie habe ein „Netzwerk zur Integration“ geschaffen, so dass die Einzelnen bestärkt und gefördert werden, andererseits Gemeinschaft über Grenzen hinweg gehalten werden könne. Sie setze sich mit Erfolg politisch und kulturell für ihre Mitglieder ein. Es sei gut, dass es die Landsmannschaft und die anderen siebenbürgischen Vereinigungen gebe, da sie den „Geist unserer Gemeinschaft weltweit wirken lassen“ in einer Zeit, in der das Bedürfnis nach menschlicher Nähe und Geborgenheit mehr denn je wächst.

In Siebenbürgen sei ein harter, aktiver Kern von Landsleuten geblieben, erklärte Dr. Paul Jürgen Porr, Vorsitzender des Demokratischen Forums der Deutschen in Siebenbürgen. Das Forum versuche als Interessensvertretung der deutschen Minderheit die Brückenfunktion sowohl nach außen, durch den weltweiten Zusammenhalt mit den Siebenbürger Sachsen, als auch nach innen – in Rumänien – mit Leben zu erfüllen. So setze man sich für den interethnischen Dialog zwischen Rumänen und Ungarn ein, wobei es auch verhärtete Fronten zu überwinden gelte. Die Begegnungsstätten und Schulen des Forums seien auch für Andersnationale offen, wodurch deutsche Kulturwerte vermittelt werden, aber auch die Existenz der Bildungseinrichtungen gesichert wird. Trotz des schlechten Images, das Rumänien zum Teil anhaftet, trotz derzeitiger politischer Krise in Bukarest, „werden die Rumänen bessere Europäer sein als andere, die schon viel länger in der EU sind“, sagte Dr. Porr.

"Europa bietet enorme Chancen für die Siebenbürger Sachsen"

Dr. Gerald Volkmer, neuer Wissenschaftlicher Leiter des Siebenbürgen-Instituts und Geschäftsführer des Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturrates, forderte die Großeltern auf, ihre Erlebnisse an ihre Enkel weiterzuerzählen und damit siebenbürgisch-sächsische Kultur weiterzugeben. Der europäische Einigungsprozess biete eine enorme Chance, das Interesse an Siebenbürgen in der Öffentlichkeit und Forschung wachzuhalten. Die Werbekampagne für Hermannstadt komme dabei uns allen zugute. Das Siebenbürgen-Institut in Gundelsheim verzeichne seit Jahren ein reges Interesse junger Akademiker an siebenbürgischen Themen. „Es liegt an uns, die Zukunft zu gestalten“, betonte Volkmer. Er regte an, die kulturelle Vielfalt, Mobilität und Kommunikation, die sich in einem zusammenwachsenden Europa breit machten, auch für uns zu nutzen. „Es wird Siebenbürger Sachsen in Spanien, Frankreich, England geben, die eben auch Spanier, Franzosen, Engländer sind. Wenn wir unseren Kindern und Enkeln eine Perspektive geben wollen, dann müssen wir multiple Identitäten zulassen und authentisch sein. Und wir müssen unsere eigene Kultur und Geschichte kennen, dann müssen wir keine Angst um unsere Zukunft haben.“

Geschichte der Siebenbürger Sachsen in kompakter Form

Eine Zusammenfassung der über 800-jährigen europäischen Geschichte der Siebenbürger Sachsen lieferte Prof. Dr. Paul Niedermaier, Direktor des Forschungsinstitutes für Geisteswissenschaften Hermannstadt der Rumänischen Akademie, in einem kompakten Vortrag: Die Siebenbürger Sachsen seien in einer Zeit ausgewandert, als Menschen aus dem Nordwesten sowohl in den Osten als auch in den Süden auswanderten. Die Verbindung zwischen den Ausgewanderten und den Dortgebliebenen sei zunächst unwahrscheinlich eng geblieben. Zum Beispiel finde sich der Name Siebenbürgen zuerst an der Grenze zwischen Luxemburg und Deutschland, nicht in Siebenbürgen oder Ungarn. Die Verbindung sei vor allem durch Studenten und Handwerker, die oft jahrelang durch Europa gezogen sind, aufrecht erhalten worden. Im Ganzen seien Berechnungen von Paul Niedermaier zufolge nur 7 000 Menschen aus dem Westen nach Siebenbürgen ausgewandert, eine kleine Zahl. Diese Leute hätten vorbildlich gewirkt, indem sie lehrten, wie sie schaffen. Früher waren die Siebenbürger Sachsen ein stärkeres Bindeglied zwischen dem Westen und Südosten als beispielsweise im 18. Jahrhundert. Allerdings sei diese Bedeutung bis heute erhalten geblieben und äußere sich etwa in dem Vertrauen, das die Rumänen den Deutschen in Hermannstadt entgegenbringen. Man könne noch immer von den Sachsen lernen. Dem Forum misst Dr. Niedermaier eine wichtige Rolle bei der Heranführung Rumäniens an die europäischen Normen bei. Der Historiker zeigte sich zuversichtlich: „Wir waren, wir sind, und wir werden sein!“

Was ist die Landsmannschaft?

Für Dekan i.R. Hermann Schuller, geschäftsführender Vorsitzender des Hilfskomitees, war bereits die Reformation ein europäisches Geschehen. Die aus Wittenberg ausgegangenen Werte wurden in Siebenbürgen beispielhaft, ohne Glaubenskriege, umgesetzt. Das kleine Völkchen sei auch stets angewiesen gewesen auf Gemeinsamkeiten. Die Heimatkirche, die Evangelische Kirche A.B. in Rumänien, habe in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen, wie auch Bischof D. Dr. Christoph Klein kürzlich in Hannover festgestellt habe: „Wir haben gelernt, dass Schrumpfung keine Katastrophe sein muss.“ Es tue uns gut, dass so viele zu Pfingsten beieinander seien, aber zu Hause lebten wir verstreut und einzeln. „Was ist die Landsmannschaft?“, fragte Schuller, der auch stellvertretender Vorsitzender der Kreisgruppe Mannheim-Heidelberg ist. „Das sind die Frauen und Männer, die erfüllt sind vom Geist der Verantwortlichkeit und Gemeinschaft.“ Schuller betonte: „Wir sind ein Leuchtfeuer, wir wollen in diese Gesellschaft hineinleuchten, in der wir mit großem Verständnis aufgenommen worden sind. Wir haben unserer neuen Heimat viel zu verdanken, dass wir in die Strukturen demokratischer Ordnung aufgenommen worden sind.“ Allerdings verwies der Pfarrer auch auf Landsleute, denen die Pluralität der Welt Sorgen bereite: „Sind wir gerüstet, dass keine Risse entstehen in unserem evangelischen Gepäck?“

Europa ist in Bewegung geraten

Dass Europa in Bewegung geraten ist, zeigten mehrere Diskussionsbeiträge aus dem Publikum. Über vielschichtige Entwicklungen wusste beispielsweise der Regisseur Günter Czernetzky zu berichten. Doris Hutter, stellvertretende Bundesvorsitzende der Landsmannschaft, verwies auf ein bezeichnendes Phänomen in Agnetheln. Dort hätten junge Rumänen plötzlich einen siebenbürgisch-sächsischen Brauch, die Urzeln, für sich entdeckt. Darf man sie ausschließen und auf einem rein sächsischen Brauch beharren, oder freut man sich über diese verkappte Liebeserklärung an die Sachsen, die vielen Rumänen fehlen. Die Geschichte der Siebenbürger Sachsen werde selbst von öffentlichen Vertretern Rumäniens bewusst ausgeklammert, betonte der stellvertretende Bundesvorsitzende Dr. Bernd Fabritius. Geschichtsklitterung ist eine Frage der Bildung, die verbessert werden muss, und des Mentalitätswechsels, der oft langsamer vonstatten geht, als wir es uns wünschten, stellten mehrere Teilnehmer fest.

Schlusswort des Bundesvorsitzenden

Nach der niveauvollen Diskussion regte der Bundesvorsitzende Dipl.-Ing. Arch. Volker Dürr in dem traditionellen Schlusswort an, „diese Kultur der Diskussion weiter zu pflegen und in andere Heimattage hineinzutragen“. In einem beruflichen Exkurs schilderte Volker Dürr seine Arbeit im Bereich der Kreisentwicklung mit Blick auf künftige demographische Entwicklungen. Die Siebenbürger Sachsen hätten das längst begriffen und sich auf die Zukunft eingestellt. Als Beispiele nannte Dürr die Siedlung Drabenderhöhe, die er als Städtebauer und Architekt in ihrem letzten Siedlungsabschnitt geplant und gebaut hatte, sowie Projekte wie die Partnerschaft zwischen Dinkelsbühl und Schäßburg oder das Hermannstädter Alten- und Pflegeheim „Dr. Carl Wolff“, die von der Landsmannschaft angestoßen worden waren. Gegen die Versuche der damaligen Bundesregierung, 1998 das Siebenbürgische Museum in Gundelsheim aufzulösen, habe man erfolgreich dagegengehalten.

Abschließend dankte der Bundesvorsitzende allen, die den Heimattag aktiv mitgestaltet haben: der Stadt Dinkelsbühl, die ihre Tore wieder weit geöffnet habe, der Landesgruppe Nordrhein-Westfalen für die Mitausrichtung des Heimattages, dem Hilfskomitee und dem Organisationsteam um Johann Schuller.

Siegbert Bruss

(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 9 vom 15. Juni 2007, Seite 10)

Schlagwörter: Heimattag, Landsmannschaft

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