6. Juni 2023

Vorbildliches Gemeinwesen für die Zukunft retten

Angesichts der aktuellen Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland stellte der Bundesvorstand des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in seiner jüngsten Sitzung am 4. März 2023 fest, dass wir als Gemeinschaft dringend eine „Identitätsoffensive“ brauchen, um unseren Bestand als Minderheitengruppe nachhaltig zu sichern. Dr. Johann Kremer, Vorsitzender des Sozialwerks der Siebenbürger Sachsen, erinnerte in seiner Ansprache bei der 30-Jahr-Feier der Saxonia-Stiftung am 24. September 2022 in Rosenau an wesentliche Grundzüge unserer Identität. Seine Ansprache wird im Folgenden als Diskussionsbeitrag zum Thema Identitätsoffensive veröffentlicht.
Altenheim Schweischer: Bewohner bei der ...
Altenheim Schweischer: Bewohner bei der gemeinsamen Arbeit. Foto: Dorit Kremer
Angelehnt an eine rezente Äußerung von Hans Bergel, dem bekannten Sohn Rosenaus, darf ich daran erinnern, was uns, die Siebenbürger Sachsen, zu etwas Besonderem im undifferenzierten Schmelztiegel moderner Netzwerke macht. Überblick und beste Kenntnis unserer Gemeinschaft führen bei Hans Bergel Anfang des 21. Jahrhundert zu folgender These: „Die Bindekraft der durch die Zeiten hindurch nicht in Frage gestellten gemeinschaftlichen Haltung des Verantwortungsbewusstseins eines jeden für das Ganze, sicherten unsere über 800-jährige Gruppenexistenz der Siebenbürger Sachsen. Diese Haltung wieder ist ausschließlich das Ergebnis über Generationen hinweg konsequent gepflegter Kulturkontinuität.“ (SbZ, Folge 15 vom 30.9.2015, S. 7)

Ihr fühlen wir, als Sozialwerk der Siebenbürger Sachsen, uns zutiefst verpflichtet und haben unser ganzes Tun der Gemeinschaft gewidmet.

Wir alle müssen vermitteln lernen, dass uns die Zusammengehörigkeit, die Gemeinschaft, das „Einander helfen“ und das daraus erwachsene Vertrauen geprägt haben. Wir sind stolz auf diese Prägung. Bei der heute schwierigen Identitätssuche können wir unseren Kindern helfen, wenn diese einst fragen: Siebenbürger Sachsen, wer sind die denn? Sie müssen alle Aspekte unserer Prägung leben und erleben dürfen damit sie nicht irgendwann befremdet feststellen müssen: wie, wir sind auch solche?

Die Traditionen, Sitten und Bräuche, die uns das fest gefügte Gemeinwesen, vorgelebt und hinterlassen hat, wollen wir im Sozialwerk auch mit Hilfe der Saxonia-Stiftung weiterleben lassen. Deshalb helfen wir bedürftigen Landsleuten in Siebenbürgen und Deutschland. Das vorherrschende Interesse des Gemeinwesens als Schutzprinzip des Einzelnen war ein Grundprinzip des Denkens in der Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen. Es war ein Garant für die über 800-jährige Gruppenexistenz, aber auch für die Vorbildwirkung unseres Gemeinwesens.

Das Sozialwerk versteht sich als Teil des Verbandes der Siebenbürger Sachsen in Deutschland mit bester Vernetzung in der weltweiten Föderation der Siebenbürger Sachsen. Es dient ausschließlich gemeinnützigen und mildtätigen Zwecken und will die sozialen und kulturellen Belange sowie die Lebensbedingungen der Siebenbürger Sachsen in aller Welt fördern.

Unsere Projektarbeit lässt sich, wie auch die der Saxonia-Stiftung, in drei Hauptarbeitsfeldern darstellen:

• Unterstützung von bedürftigen Einzelpersonen
• Gemeinschaftsfördernde Beihilfen für andere soziale Einrichtungen und gemeinnützige Verbände der Siebenbürger Sachsen
• Maßnahmen, die soziale und kulturelle Belange der Siebenbürger Sachsen verbessern helfen, werden im Rahmen der Möglichkeiten gefördert (z.B. Lehrgänge, Veranstaltungen, Tagungen, Publikationen etc.)

Bis zum Fall des Eisernen Vorhangs konnten Werte wie „Einander helfen“ oder „Vertrauensvorschuss“ unter zum Teil schwierigsten Bedingungen durch Paketdienst, Medikamentensendungen und viele andere getarnte Hilfeleistungen honoriert werden. Besonders in Zeiten der Katastrophenhilfe stellten diese Aktivitäten sich als effektive Maßnahmen gegen „das Vergessen“ dar. Dies belegen viele beeindruckende Rückmeldungen und Dankesschreiben aus Siebenbürgen, die wir im Archiv liegen haben. All das durfte nicht im Namen der Gemeinschaft und öffentlich geschehen. Viele Empfänger bekamen damals Pakete von ihnen völlig unbekannten Absendern; so wurden die Schikanen des damaligen rumänischen Regimes umgangen.

Nach dem Umsturz 1989, also ab 1990, sah die Welt anders aus und vieles wurde einfacher. Eine Vielzahl notleidender Menschen in Siebenbürgen empfing dankbar die Hilfe ihrer Landsleute und anderer Spender.

Das Sozialwerk fungiert bei der Durchführung gemeinschaftsfördernder Projektmaßnahmen zur Unterstützung der deutschen Minderheit in Siebenbürgen als Mittler zwischen bundesdeutschen Stellen und dem Demokratischen Forum der Deutschen in Siebenbürgen. Ermöglicht werden die einzelnen Aktionen dank bester Zusammenarbeit mit unseren Partnern vor Ort. Die Saxonia-Stiftung mit heutigem Sitz im siebenbürgischen Rosenau wurde 1992 mit dem Sozialwerk als Pate und Initiator in Hermannstadt aus der Taufe gehoben.

Sie steht als Partner des Sozialwerks für die Umsetzung gemeinsamer Hilfsmaßnahmen mit dem Schwerpunkt „Altenhilfe in Siebenbürgen“ bereit. Vorrangig mit Eigenmitteln sowie aus Mitteln des Bundes wird Hilfe zur Unterstützung unserer bedürftigen Landsleute in Siebenbürgen geleistet.

Beste Kontakte zum Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien ermöglichen uns Hilfeleistungen und Betreuung für ältere und bedürftige Personen in Krankheitsfällen bis hin zur medizinischen Beratung und Vermittlung an die „richtigen“ Ärzte.

Bei der Ausstattung siebenbürgischer Altenheime konnte das Sozialwerk wichtige Leistungen erbringen. Vom Krankenhausbett bis hin zu orthopädischen oder physiotherapeutischen Mitteln in Form von Geräten oder Material haben wir Beschaffungen ermöglicht. Beiträge zur Sicherung von Strom- und Wärmeversorgung der Heime waren nötig. Bei all diesen Aktionen ist immer die Saxonia-Stiftung unser erster Ansprechpartner. Mit deren Mitarbeitern, die uns zuverlässig die Verhältnisse vor Ort näher bringen, wird besprochen, wo und wie am besten geholfen werden kann. Sie leisten auch eine Sisyphus-Arbeit, wenn es um die gesicherte Verteilung der Hilfen sowie um die nötigen Nachweise geht.

Wir, das Sozialwerk, verstehen uns auch als Mittlerstelle für die Umsetzung von Aktionen mit Hilfe zweckgebundener Spenden aus der gesamten Föderation, also weltweit. Wie selbstverständlich bringt sich auch hier die Saxonia zuverlässig ein.

Kulturelle Breitenarbeit gehört zu den wichtigen Bereichen, die vom Sozialwerk regelmäßig gefördert werden. Dies geschieht sowohl in Deutschland, oft in Zusammenarbeit mit dem Verband, als auch in Siebenbürgen mit den Kirchengemeinden und/oder Forumsgliederungen. Gefördert wird ­deren Arbeit, vor allem jedoch wird darauf geachtet, dass der Austausch Kulturschaffender untereinander gewährleistet bleibt.

Was bringt die Zukunft?

Auch wenn die Pflege unseres, bis ins 20. Jahrhundert, vorbildhaften Gemeinwesens durch die weltweite Verstreuung nicht mehr ganz einfach erscheint, erwächst uns allen aus unserem Erbe die Aufgabe, möglichst viel daraus in die Zukunft zu retten.

Zumindest die „innere Selbstbestimmung“ als allgemein akzeptierten „harten Kern“ des Selbstbestimmungsrechts der Völker müssen wir pflegen und bewahren helfen. Dies ist teilweise auch heute noch in Siebenbürgen möglich, und wir müssen bewusst helfen, die günstigen Bedingungen so weit wie möglich zu erhalten.

Das Sozialwerk will und kann in Zukunft seine Aufgaben im Selbsthilfebereich von der finanziellen Unterstützung bis zur medizinisch-technischen Begleitung sowie der kulturellen Breitenarbeit nicht aufgeben. Zur Umsetzung werden wir weiterhin die guten Kontakte in Siebenbürgen nutzen. Die Saxonia wissen wir dabei als unsere Freunde, aber auch als unseren Garanten für die Umsetzung zu schätzen.

Im Sinne der Sicherung der „inneren Selbstbestimmung“ werden wir vermehrt Aufgaben wahrnehmen müssen, die Kultur und Traditionen in unserer Gemeinschaft weiterleben lassen. Die Förderung von Kulturveranstaltungen und -gruppen unserer Jugend gehört genauso dazu wie die Fortsetzung der Beihilfen für Gruppen und Veranstaltungen in Siebenbürgen.

Durch die intensive Kooperation mit den Heimatortsgemeinschaften hoffen wir auch durch Erhalt bzw. Wiederverwaltung von Gemeinschaftsvermögen der kleinen Kirchengemeinden in Siebenbürgen zu deren Festigung sowie deren weiteren Öffnung für die ehemaligen Mitglieder beitragen zu können. Auch in diesem Bereich zählen wir auf die Absichtserklärung für Hilfe und Kooperation von unserem Partner, der Saxonia-Stiftung.

All unser Tun, unsere Vorhaben sind nur durch das großzügige Spendenaufkommen aus der Gemeinschaft möglich. Deshalb bedanke ich mich hier nochmals ausdrücklich für deren Verantwortungsbewusstsein, Vertrauen und Empathie. Auch diese Haltung verleiht der Saxonia Flügel. Wir wollen gemeinsam dafür sorgen, dass diese Gemeinschaft auch für unsere Nachfahren bewusst erlebbar bleibt.

Dr. Johann Kremer

Schlagwörter: Sozialwerk, Identitätsdiskussion, Gemeinschaft

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