26. Dezember 2009

Geburt tröstete uns: Vor 20 Jahren in Großau das Ende der Ära Ceaușescu erlebt

Kurz vor Weihnachten 1989 erfuhren auch die Landsleute in Großau von Unruhen in Temeswar durch den Sender Radio Freies Europa (RFE). Die Nachrichten versetzten die Hörer in große Unruhe. Jedoch keimte auch die Hoffnung auf das Ende des Ceaușescu-Regimes auf. Michael Liebhart schildert, wie er vor 20 Jahren das Ende der Ära Ceaușescu erlebte.
Vor allem die Eltern von militärpflichtigen Söhnen, die ihren Militärdienst in verschiedenen Landesteilen bei der Rumänischen Armee leisteten, waren völlig im Ungewissen über mögliche Einsätze in den Unruhe-Städten Temeswar, Bukarest, Arad, Kronstadt, Hermannstadt, Neumarkt (Târgu Mureș) u. a. Am 17. Dezember 1989 meldete sich der Soldatensohn der Familie Liebhart telefonisch bei seiner Tante und berichtete von einer geplanten Verlegung seiner Arbeitseinheit aus Slobozia in Muntenien nach Bukarest. In der folgenden Woche verdichteten sich die Nachrichten über schwere Zusammenstöße zwischen Demonstranten und dem Militär mit vielen Toten und Verwundeten. In Bukarest waren am 22. Dezember Demonstranten in das Gebäude des Rumänischen Rundfunks eingedrungen und verkündeten in öffentlichen Sendungen die Flucht des Diktator-Ehepaares. Da atmeten die besorgten Leute auf. Die Armeegenerale forderten die Militäreinheiten auf, in ihre Kasernen zurückzukehren.

Am selben Tag fand sich das Presbyterium der Evangelischen Kirche A.B. in Großau im Pfarrhaus ein, um traditionsgemäß den von einer Familie gestifteten Christbaum, eine besonders hohe und schöne Tanne, aufzustellen und durch die Konfirmanden zu schmücken. Der Gemeindepfarrer Konrad Schullerus blickte in diesen ungewissen Tagen hoffnungsvoll auf ein besonders friedliches Weihnachtsfest.

In den folgenden Tagen verschlimmerte sich der Aufruhr im Lande, auch aus Hermannstadt gab es Berichte über schwere Kämpfe zwischen Sicherheitskräften der Securitate und Armeeeinheiten. Das Donnern der Geschosse war bis nach Großau zu hören und die Straßen waren menschenleer.

Für die Weihnachtsfeier wurden die Zugänge zur Kirchenburg beleuchtet und von Männern der Gemeinde bewacht, weil sich im Gottesdienst mit Christbescherung über 1 000 Gemeindemitglieder, darunter 500 Kinder, versammeln sollten. In diesen ungewissen Tagen wollten die Großauer innerhalb der schützenden Kirchenburg ein besonders friedliches Christfest feiern, mit all den traditionellen Sitten und Gebräuchen, mit Frühkirche, Leuchtersingen und feierlichem Hauptgottesdienst. Als der Pfarrer auch die jungen Wehrdienstleistenden in sein Gebet einschloss, fanden die betroffenen Familien Trost und Dank. Manche Träne wurde vergossen. Allein der Gedanke, dass Jesus Christus geboren war, tröstete uns.

Wie in den Jahren davor fand an Heiligabend die Kinder-Bescherung statt. Dafür hatte Pfarrerin Irmtraut Schullerus mit den Frauen viele Päckchen angefertigt. Spontan folgte die Gemeinde einem Aufruf, für die Soldaten in den Kasernen des Landes Lebensmittel in Päckchen herzurichten und bei Sammelstellen abzugeben. Mit der Hinrichtung des Diktatorenehepaares am 25. Dezember kehrte langsam wieder Ruhe ein, aber wir als Familie sorgten uns weiter um das Schicksal und den Verbleib des Sohnes. Über rumänische Freunde konnte eine Kontaktadresse in Slobozia gefunden werden, wo wir nach ihm suchen sollten. Zwischenzeitlich aber meldete er sich telefonisch und war wohlauf. Die Freude war groß und die Gebete waren erhört worden. Kurz nach Neujahr fuhr ich dann als noch besorgter Vater zum Sohn nach Slobozia, den ich munter antraf. Auf den Bahnhöfen waren zahlreiche Militärpatrouillen zu sehen, die für Sicherheit und Ordnung sorgten. Alle Wehrdienstleistenden kehrten vorzeitig entlassen und unversehrt im Februar 1990 in ihren Heimatort zurück.

Michael Liebhart

Schlagwörter: Weihnachten, Revolution

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