28. Mai 2006

Der "Zwischenschaftler" Dieter Schlesak findet Heimat im Wort

Zum Gelingen des diesjährigen Heimattages in Dinkelsbühl wird Dieter Schlesak am Sonntag, dem 4. Juni, um 15.00 Uhr im Evangelischen Gemeindehaus St. Paul mit Lesung und Vortrag beitragen. Vier neue Bücher hat der 72-jährige in den letzten Monaten veröffentlicht und auf einer Lesetournee der Öffentlichkeit präsentiert. Nach mehreren Lesungen – u.a. auf der Leipziger Büchermesse – las er zuletzt im Gerhart-Hauptmann-Haus in Düsseldorf.
Der Literaturbetrieb lebt von der Literatur und soll sie seinerseits beleben, doch ist der Verbrauch an Substanz mitunter so hoch, dass kaum noch etwas davon zum Lesen bleibt: weder Zeit noch Neigung, geschweige denn so etwas wie Zuneigung. Der potentielle Leser wird ständig aufgefordert, hinaus in den Betrieb zu gehen, wo nicht nur Buchstaben schwarz auf weiß, sondern leibhaftige Autoren, Vorleser und Events, Gespräche und Besprechungen seiner harren, auf dass er ja nicht allein bleibe mit dem Text. Wer sich dieser Betriebsamkeit entziehen will und es vorzieht, mit den Worten allein zu sein, ist bald sehr allein.

Und doch geschieht es, dass ein Schriftsteller gerade bei einer solchen Begegnung dem Hörer ein Gefühl der Vertrautheit vermittelt, als läse dieser selbst, als wäre er ganz bei sich. Solches gelang Dieter Schlesak im Düsseldorfer Gerhart-Hauptmann-Haus. Gleich vier Bücher hatte er mitgebracht; zwischen Lyrik und Essayistik, Anekdotik und Literaturvermittlung im Dreieck Deutschland – Rumänien – Italien bewegt sich der Siebenbürger, später Bukarester und schließlich Stuttgarter Deutsche mit Wohnsitz in der Toskana so virtuos, dass auch ein weniger Privilegierter den Reiz einer Existenz als „Zwischenschaftler“ zu ermessen vermag. Als solchen bezeichnet sich Schlesak nicht nur, sondern versucht dem erfundenen Wort auch Verbindlichkeit zu erschaffen.

Zwischen alle Stühle gefallen zu sein ist aus seiner Sicht kein bequemer, aber der Erkenntnis, Reflexion und literarischen Produktion förderlicher Zustand. Sitzen bleibt er dabei keineswegs, sondern ist auf dauernder Suche nach dem Neuen, von dem besagtes kulturelles Dreieck bei aller vermeintlichen Bekanntheit soviel zu bieten hat. Deshalb hat Dieter Schlesak auch in seiner Heimatstadt Schäßburg, in die er nach Jahrzehnten des roten Bannes zurückgefunden hat, eine „Kulturvereinigung“ mit seinem Namen gegründet, die sein trialogisches Beginnen in der siebenbürgischen, in der rumänischen Öffentlichkeit verankern soll.

In Düsseldorf aber sprach nicht primär der mit dem Ehrendoktor der Universität Bukarest ausgezeichnete Wertevermittler, sondern der Dichter und Nachdichter, selbst wenn es ihm in dem einen Buch über „Zeugen an der Grenze unserer Vorstellung“ gerade um zeitgeschichtliche Problematik zu tun ist, ob sie nun aus der Perspektive der westeuropäischen Rumänen Cioran oder Fondane oder aus jener des siebenbürgischen KZ-Arztes Capesius betrachtet wird. Am ersprießlichsten aber spricht der Dichter mit sich selbst, im „Gedicht aus der Hand in den Mund, als wäre es Brot“. Allenfalls der rumänische Kollege Nichita Stãnescu, der die „rote Zeit“ in einer „Metapoesie“ sublimierte habe wie Paul Celan die braune, ist ihm ein gleichgestimmter Partner. Darum hat er auch dessen „11 Elegien“ übersetzt, die im kommunistischen Rumänien zum subversiv aufgefassten Gemeingut geworden waren.

Seine eigenen neuesten Texte, darunter viele Liebesgedichte, hat der sprach(en)gewandte Lyriker in einer deutsch-italienischen Ausgabe vorgelegt, dem Gemeinschaftswerk einer Gruppe, die sich in seiner Drittheimat Italien gebildet hat und in der junge italienische Freunde dem eigentümlichen Klang des deutschen Idioms siebenbürgisch-rumänischer Prägung und seinen Mehrdeutigkeiten nachhorchen und die Schlesakschen Arbeiten in Werkstattgesprächen zu italienischen Gedichten ummünzen.

So pflegt Dieter Schlesak eine, wie er sagt, „Kunst der Rückkehr“, wohl wissend, dass es keine Richtige ist, wenn sie nicht auch immer wieder einen neuen Aufbruch und Fortschritt bedeutet. Die Hörer in Düsseldorf jedenfalls haben die Lesung als Zeugnis für Letzteres aufgefasst.

Georg Aescht (KK)


Schlagwörter: Heimattag, Dinkelsbühl, Lesungen

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