16. November 2003

Zum 50. Todestag von Emil Honigberger

Neben den Musikerfamilien Baußnern, Gmeiner oder Schlandt erwarb sich auch die Familie Honigberger Verdienste um die siebenbürgische Musik (und Kunst) bzw. trug den Namen Siebenbürgen in Musik und Kunst über die Grenzen dieser abgelegenen Region hinaus.
Die Stammeltern der Honigberger-Familie waren Anna von Némethy (1848-1922) aus Elisabethstadt und der Rechnungsrat und ausübende Musikliebhaber Michael Honigberger (1841-1923) aus Rosenau, dessen Vater Johann Honigberger Kantor in Rosenau gewesen war. Anna und Michael lebten zuerst in Elisabethstadt, danach in Kronstadt. Ihre Tochter Helene Honigberger - nachmalig Greger-Honigberger (1874-1956) -, die ältere Schwester von Emil, studierte in Berlin Violine bei Bernhard Dessau und Gustav Hollaender sowie Gesang bei Selma Nicklass-Kempner, erhielt die „Gustav-Hollaender-Medaille“ und wurde in Deutschland, Budapest und Siebenbürgen bekannt als Opernsängerin, Geigerin und Musikpädagogin. Die jüngere Schwester Helenes und Emils, Selma, verheiratete Erler-Honigberger (1888-1958), erhielt ihre Ausbildung als Konzertpianistin bei István Thomán in Budapest und an der Akademie der Tonkunst in München, studierte ergänzend privat bei Artur Schnabel und Edwin Fischer in Berlin und machte sich als Solistin, Kammermusikerin und Klavierprofessorin in Berlin und darüber hinaus einen Namen. Der Bruder Ernst Honigberger (1885-1974) wirkte als geschätzter Maler, Kunsthistoriker und Publizist in Kronstadt und Berlin und gründete nach dem Zweiten Weltkrieg zusammen mit seiner Frau, der Berliner Konzertgeigerin, Kammermusikerin (Honigberger-Streichquartett) und Musikpädagogin, Flesch-Schülerin und Trägerin des Felix-Mottl-Preises, Erna Honigberger, geb. Kroder (1894-1974), eine private Kunst- und Musikschule im badischen Wehr, aus der einige bedeutende Geiger und Geigerinnen, darunter Anne-Sophie Mutter und Ulrike-Anima Mathé hervorgegangen sind. Ernas und Ernsts Tochter Erda Selma Vorwerk-Honigberger (*1917 in Bamberg) ist Pianistin und Musikpädagogin, sie führt die von ihren Eltern gegründete Kunst- und Musikschule weiter.

Rosa Hübner-Honigberger (1876-1960), die nächstältere Schwester Helenes, machte sich einen Namen als Klavierlehrerin in Kronstadt. Nur der Bruder Rudolf Honigberger (1878-1943) ist weder Musiker noch Künstler geworden - er studierte Theologie und wurde Stadtpfarrer in Bukarest -, sein als Amateur ausgeübtes Geigenspiel soll hervorragend gewesen sein und außerdem vererbte er die musikalische Begabung weiter. Sein Sohn Ernst Gerhard Honigberger (1907-1941) erfreute sich ungewöhnlicher Musikalität und pianistischen Talents, aber auch ihm glückte es nicht, dieses berufsmäßig zu kultivieren; er wurde Gymnasiallehrer in Bukarest. Ernst Gerhards Enkelin jedoch, Brigitte Schnabel, Tochter seiner Tochter Helga Schuller, ist Schulmusikerin und Geigerin in Lörrach geworden. Emil Honigbergers Kinder ergriffen künstlerische Berufe. Unter ihnen trat besonders Anselm Honigberger (1920-1976) hervor, Konzertoboist, Kammermusiker, Dirigent, Pianist und Musikpädagoge in Kronstadt mit Ausstrahlung ins Ausland, Träger mehrerer Preise und Auszeichnungen. Anselms Schwester Renate Honigberger (*1932 in Hermannstadt) war Pianistin, Korrepetitorin und Organistin in Kronstadt und Neustadt. Die Tochter Anselms, Senta Schuster-Honigberger (*1950), studierte Musikpädagogik in Klausenburg, kam 1975 nach Deutschland und ist in Lauffen, Offenau und Jagstfeld als Musikpädagogin und Organistin tätig.

Emil Honigberger kam am 16. März 1881 als viertes von sechs Kindern der Anna und des Michael Honigberger in Kronstadt zur Welt. 1900 erwarb er das Abitur. Früh hatten sich musikalische als auch bildnerische Begabung geäußert. Er studierte 1903 bis 1907 Musik am Stern´schen Konservatorium in Berlin. Schwerpunkte waren Klavier, Dirigieren und Komposition bei Gustav Pohl, Paul Lutzenko, Hans Pfitzner, Max Löwengard, Wilhelm Klatte, Leopold Schmidt. Er nahm auch Gesangsunterricht bei Robert Lösch und erweiterte seine Fertigkeiten im Spiel auf Streichinstrumenten. So ergab sich schon vom Studium her keine engere Fachspezialisierung, sondern eine breite Palette musikalischer Beschäftigungen. Honigberger selbst kommt im Rückblick darauf zu sprechen: „Hans Pfitzner, mein großer Lehrer in Berlin, brachte mich von der Gefahr Klaviervirtuose zu werden ab, und noch heute danke ich es ihm, dass ich ein allgemein gebildeter Musiker geworden bin, der die ganze, vielseitige Musik erfassen und lieben lernen konnte.“ (Selbstzeugnisse, in: Aus Kronstädter Gärten, Kronstadt 1930, S. 201/202.)

Nach Kronstadt zurückgekehrt, übernahm Honigberger 1907 die Stelle des Zweiten Chormeisters beim Kronstädter Männergesangsverein, 1910 wechselte er zum Kronstädter magyarischen Gesangsverein Dalárda. Er machte auf sich aufmerksam, indem er mit beiden Klangkörpern größere Chorwerke aufführte. Nachdem Paul Richter, der bisherige Erste Chormeister des Kronstädter Männergesangsvereins, 1918 das Kronstädter städtische Kapellmeisteramt angetreten hatte, übertrug der Verein 1919 Honigberger die Nachfolge. 1921 berief ihn das Mühlbacher Presbyterium zum Kantor und Organisten der Stadtpfarrkirche, gleichzeitig wählte ihn der Mühlbacher Musikverein als Musikdirektor und Kapellmeister. 1925 ging er als Organist und Gymnasialmusiklehrer nach Mediasch, 1930 als schulischer „Musikdirektor“ und Lehrer an das Landeskirchenseminar nach Hermannstadt. Wieder in Kronstadt, bekleidete er von 1939 an verschiedene Ämter als Chorleiter, Organist, Schulmusiker und Musikpädagoge.

Im Rahmen der von ihm und seinem Bruder Ernst gegründeten Neuen Zielgesellschaft veranstaltete er Kammermusikkonzerte. In diesem Ressort wie auch in seiner Eigenschaft als Chorleiter setzte er sich entschieden für die zeitgenössische Musik ein. Darin stimmte er mit seiner Schwester Helene überein: Charakteristisch dürfte ein „Moderner Liederabend“ sein, den er schon 1913 zusammen mit Helene gab - er begleitete am Flügel - mit Liedkompositionen von Johannes Brahms, Hugo Wolf, Gustav Mahler, Arnold Schönberg, Josef Marx, Richard Strauss, Conrad Ramrath, Siegmund von Hausegger und einem Lied von Emil Honigberger selbst. In Mediasch hielt er eine Reihe musikgeschichtlicher Vorträge, kombiniert mit Gesprächskonzerten. Hier spielte er auch den Cellopart im Mediascher Streichquartett. Honigbergers Kronstädter „Tondichter-Abende“, ebenfalls eine Art Gesprächskonzerte, fanden guten Anklang. Sie galten nicht nur den Meistern der musikalischen Universalliteratur, sondern oft auch zeitgenössischen siebenbürgischen Komponisten wie Rudolf Lassel, Paul Richter, Gheorghe Dima, Max Krause, Friedrich Reimesch, Stefan Temesváry, Friedrich Schiel oder Eduard Orendi. Gemeinsam mit Helene Greger-Honigberger unterhielt er in Kronstadt die „Musikschule Honigberger“: Die Schwester unterrichtete Violine und Gesang, Emil Klavier, Theorie und Musikgeschichte.

Neben allen diesen Aktivitäten war Honigberger sehr rege auch journalistisch tätig: Er war ständiger Mitarbeiter beim Siebenbürgisch-Deutschen Tageblatt, der Deutschen Tageszeitung, der Mediascher Zeitung und der in Kronstadt erscheinenden Zeitschrift Die Karpathen. Während seiner Mühlbacher Zeit stand er als Schriftleiter dem Blatt Unterwald vor. Er selbst gab in Kronstadt zusammen mit Ernst Honigberger die Zeitschrift Das Ziel und Das neue Ziel heraus.

Eine anfängliche Periode des kompositorischen Schaffens, aus der eine Oper (Die Flandrer am Alt nach Michael Albert), Orchesterwerke, Kammermusik, Klavierstücke, Chöre und Lieder hervorgingen, brach er in kritischer Selbstbetrachtung ab und schrieb nur noch wenige Gelegenheitskompositionen. Er wollte „nicht als Komponist gelten“. „Wie viel schöner und erhebender ist es“, schreibt Honigberger, „sich in die wunderschöne Welt unserer großen deutschen Tondichter hineinarbeiten zu dürfen! Das Leben ist so kurz, sowieso kann man nur einen kleinen Teil des niedergeschriebenen Reichtums erfassen und erleben“. Er stellte mit Befriedigung fest, dass er sich „seinen inneren Frieden dem oft verderblichen Ehrgeiz abgerungen“ habe. Als Lehrer „Freude und Begeisterung zu verbreiten“, „von seinen vielen Schülern als Freund und Erzieher geliebt“ zu werden, sei ihm wichtiger als „eine Komponistengloriole“, die in seinem Fall „mindestens zweifelhaft“ wäre.

Emil Honigberger war gleichermaßen malerisch begabt und widmete sich seit frühester Jugend auch dem Kunstzweig des Zeichnens und Malens, allerdings ausschließlich autodidaktisch. Im Selbstunterricht eignete er sich vor allem die Aquarellmalerei an und stellte später regelmäßig aus. Bevorzugte Motive sind siebenbürgische Landschaften, Kirchenburgen und sakrale Baudenkmäler.

Honigberger starb am 13. Februar 1953 in Kronstadt. Sein 50. Todesjahr ist Anlass, dieser künstlerischen, in mancherlei Hinsicht typisch siebenbürgischen Persönlichkeit zu gedenken und uns Emil Honigberger auf diesem Wege als Chordirigenten, Schulmusiker, Kirchenmusiker, Pianisten, Organisten, Kammermusiker, Musikpädagogen, Musikjournalisten, Kritiker, Herausgeber und Organisator kurz zu vergegenwärtigen. Kränze flicht die Nachwelt dem Mimen ja bekanntlich nicht.

Karl Teutsch


Schlagwörter: Musik, Kronstadt

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