3. November 2023

Kunstraub 1968 im Brukenthalmuseum nur halb aufgeklärt: Martin Rill in der Stuttgarter Vortragsreihe

Nach der Sommerpause wurde die „Stuttgarter Vortragsreihe“ am 29. September im Haus der Heimat mit einem Vortrag von Martin Rill über den Gemäldediebstahl im Brukenthalmuseum 1968 fortgesetzt.
Tiziano Vecellio: „Ecce Homo“. Das Gemälde wurde ...
Tiziano Vecellio: „Ecce Homo“. Das Gemälde wurde 1968 aus dem Brukenthalmuseum in Hermannstadt gestohlen und 1996 zurückgegeben.
In der Erforschung, Dokumentation und Erhaltung des bauhistorischen Erbes der Siebenbürger Sachsen in Rumänien hat sich der in Kleinscheuern geborene Kunsthistoriker und Museologe Martin Rill große Verdienste erworben. Zahlreiche Ausstellungen und Bildbände, darunter „Siebenbürgen im Flug“ (1997), zusammen mit dem Schweizer Fotografen Georg Gerster, gehen auf sein Konto.

Zunächst erläuterte der Referent das umfangreiche Vermächtnis Brukenthals, zu dem außer der großartigen Gemäldesammlung mit über 1000 z.T. unschätzbar wertvollen Bilder, über 16000 Bände erlesensten Schriftgutes seiner Zeit, siebenbürgische Münzen und Medaillen sowie Handschriften, Antiken, heimische Gesteinsproben u.v.m. gehören.

Dann schilderte Martin Rill Details und Hintergründe betreffend den Kunstraub am 26. /27. Mai 1968 aus der ersten Etage des Brukenthalmuseums, der bis zum heutigen Tag nur teilweise aufgeklärt wurde. Er bezog sich dabei auch auf die Ausstellung „Marele furt de la Brukenthal 1968“, die vom 12. Dezember 2022 bis zum 26. Februar 2023 gezeigt wurde. Bei der Vernissage am 12. Dezember im Blauen Haus am Großen Ring in Hermannstadt steuerte Martin Rill, neben dem Ex-Securitate-Offizier Josif Derzsi, als Zeitzeuge Informationen aus erster Hand bei.

Einige Wochen vor dem meisterhaft getarnten Diebstahl hatte Museumsdirektor Nicolae Lupu die Kommunistische Partei vom Fehlen eines Sicherheitssystems im Brukenthal-Palais in Kenntnis gesetzt. Er beanstandete seinerzeit, es dürfe nicht angehen, dass das Brukenthalmuseum nur einen Wärter beschäftige, der alleine für die Sicherheit des Inventars während aller drei Schichtzeiten binnen 24 Stunden zu verantworten habe.

Martin Rill betonte, dass die Umstände des Gemälderaubs bis zum heutigen Tag ungeklärt geblieben sind. Am Dienstag, dem 28. Mai 1968, nach dem Ruhetag am Montag, hatte die Aufseherin Maria Ciucu im Barocksaal im 1. Stock an einem Sekretär gelehnt einen leeren Bilderrahmen entdeckt. Sie rief eilends den Museumsdirektor herbei und zusammen stellten sie fest, dass acht Gemälde aus den Ausstellungsräumen fehlen. Zu Mittag wurde der Diebstahl der Hermannstädter Polizei und den Parteiorganen gemeldet. Am Nachmittag erschien Oberst Dumitru „Mitica“ Ceacanica aus Bukarest, der beste Kriminalist Rumäniens. Die damalige Miliţia und Securitate begannen mit den Untersuchungen, die bis 1972 dauern sollten.

In den Tagen nach der Entdeckung des Raubes wurde das Brukenthalpalais zu einer regelrechten Festung ausgebaut, bewacht von Dutzenden von militärischen Sicherheitskräften und gesäumt von Milizionären in langen Ledermänteln. Der Museumsdirektor, der Leiter der Kunstgalerie und alle anderen Angestellten der Einrichtung blieben eine Woche bei Brot und Wasser im Museum eingeschlossen und wurden von unfreundlichen, wütenden Securitate-Leuten einem ermüdenden, nutzlosen Verhör unterzogen. Niemand von ihnen konnte zur Aufhellung des Diebstahls beitragen, trotzdem ging man in den nächsten Wochen und Monaten brutal gegen willkürlich ausgewählte mutmaßliche „Täter“ vor, schreckte vor körperlichen Züchtigungen nicht zurück und verhängte auch Gefängnisstrafen. So wurde Theodor Ionescu, der Leiter der Kunstgalerie, zu sechs Jahren Haft verurteilt, weil die Ermittlungen ergaben, dass einiges Material aus dem Inventar verschwunden war. Neben ihm wurde auch eine seiner Mitarbeiterinnen und der Museumsfotograf verhaftet, da ihnen Unregelmäßigkeiten zur Last gelegt wurden, die aber nicht mit dem Diebstahl zusammenhingen. Der damalige Direktor des Museum Nicolae Lupu wurde gefeuert.

Die weiteren Ermittlungen blieben erfolglos, so dass Rumäniens kommunistischer Geheimdienst 1972 die Ermittlungsakte betreffend den Raub der acht europäischen Meisterwerke mit der Anmerkung schloss, die Täterschaft des Vergehens sei nicht geklärt worden. Nur dies habe man herausbekommen: Vier Personen, wahrscheinlich Profis aus dem Ausland, hatten tagsüber am Sonntag, 26. Mai, als normale Besucher das Museum betreten und versteckten sich im 2. Stock, der gerade renoviert wurde. Sie konnten sich den ganzen Montag, der ein Ruhetag war, im Museum frei bewegen, denn eine Alarmanlage gab es nicht. Sie brachen die Türen zu den Ausstellungsräumen auf und schnitten die Bilder aus den Rahmen (außer Tizians „Ecce homo“, den sie samt Leinwandrahmen mitnahmen). Das Diebesgut schleppten sie durch ein Fenster im Treppenhaus auf das Dach im zweiten Museumshof, von hier gelangten sie über eine Mauer und einen Gang in den Hof des Hauses in der Fleischergasse Nr. 7, wo sich ihre Spur verlor. Vermutlich verschwanden sie mit einem bereitstehenden Auto.

Nach 1972 wurde es still um den Gemäldediebstahl. 1998, zwanzig Jahre nach dem sensationellen Gemälderaub, erfolgte eine überraschende Entdeckung, als vier von den gestohlenen Gemälden in den USA auftauchten. Die New York Times berichtete über den Diebstahl und laut einer Interpol-Meldung vom 19. Mai 1998 befanden sich die vier Bilder bei einem Mann namens Mike Oprişi in Miami/Florida. Im Jahr des Kunstraubes, 1968, floh dieser Mike Oprişi (vielleicht ein amerikanisierter Mihai Oprişiu) aus Rumänien, durchschwamm die Donau, durchquerte Jugoslawien und stellte in Österreich einen Antrag auf politisches Asyl. In Wien kaufte er am 2. Januar 1971 vier von den aus dem Brukenthalmuseum gestohlenen Gemälden für sage und schreibe 1200 Dollar von einer Frau namens Lina Bucur. Dann reiste er mit den vier Bildern im Gepäck in die USA, deren Staatsbürgerschaft ihm 1976 erteilt wurde.

1996 bemerkte Herr Oprişi, dass die Rückseite des Bildes „Porträt eines Mannes mit Totenkopf“ ein Siegel trug. Über einen Restaurator und einen Kunsthändler aus Manhatten gelangte das Bild von Albrecht Bouts an das Niederländische Institut für Kunstgeschichte in Den Haag, wo es als eines der gestohlenen Gemälde aus dem Brukenthalmuseum identifiziert wurde, die INTERPOL gemeldet worden waren. Von einem Zollbeamten kontaktiert, erklärte sich Oprişi bereit, alle vier von ihm in Wien gekauften Gemälde zurückzugeben. Angeblich wusste er nicht, dass es sich bei den vier Bildern um Hehlerware handelt! Die Gemälde wurden in dem Gebäude der Weltbank deponiert und vom rumänischen Präsidenten Emil Constantinescu in der Präsidialmaschine nach Rumänien gebracht.

So wurden die vier Gemälde „Ecce Homo“ von Tiziano Vecellio, der „Mann mit Pfeife am Fenster“ aus der Hand Frans von Mieris des Älteren, das „Porträt einer Frau“ von Rosalba Carriera und das Albrecht Bouts zugeschriebene „Porträt eines Mannes mit Totenkopf“ 1998 wieder in den Besitz des Brukenthalmuseums rückgeführt.

Vier Gemälde gelten noch heute als verschollen: der „Tod der Cleopatra“ von Anthony van Dyck sowie drei Porträts von Jörg Breu, Christoph Amberger und von einem anonymen Meister aus der Schule des Hans Holbein.

Nach dem Vortrag bedankte sich der Kulturreferent der Landesgruppe Baden-Württemberg, Helmut Wolff, bei Martin Rill für seine interessanten Ausführungen. Es folgte eine lebendige Diskussionsrunde, in der die Besucher meinten, dass wenig Hoffnung bestünde, die wahren Umstände des Bilderraubs und die Namen der Diebe jemals zu erfahren. Es kursieren auch Gerüchte, der Geheimdienst hätte den Diebstahl im Auftrag hochrangiger Persönlichkeiten durchgeführt und die acht gestohlenen Gemälde wären über diplomatische Kanäle außer Landes geschmuggelt worden.

Zweifel und Fragen bleiben: Wer war die Frau in Wien, von der Mike Oprişi die vier Gemälde gekauft hat? Hat dieser wirklich 27 Jahre lang nicht gewusst, dass er für einen Pappenstiel gestohlene Gemälde erworben hat? Die entwendeten acht Ölbilder wurden auf 25 Millionen US-Dollar geschätzt!

Beim anschließenden Imbiss gab es noch jede Menge Diskussionsthemen. Einig waren sich die zahlreichen Besucher darin, dass es ein gelungener und sehr interessanter Abend im Haus der Heimat war.

Helmut Wolff

Schlagwörter: Stuttgarter Vortragsreihe, Martin Rill, Brukenthalmuseum, Diebstahl

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