5. November 2023

Lingustische Symbiose: Dagmar Dusil und Ioana Ieronim lasen in Wien

Dagmar Dusil und Ioana Ieronim standen im Mittelpunkt einer Lesung, zu der das Rumänische Kulturinstitut Wien am 13. Oktober im Rahmen der „Langen Nacht der Literatur in Wien“ eingeladen hatte.
Dagmar Dusil (links) und Ioana Ieronim lasen in ...
Dagmar Dusil (links) und Ioana Ieronim lasen in Wien.
Für manche Menschen ist ein Freitag, der 13., ein unheilschwangerer Tag, den sie am liebsten aus ihrem Kalender streichen würden. Schwarze Katzen sehen, Salz verschütten, Spiegel zerbrechen bis zum Aufspannen eines Regenschirms in einem geschlossenen Raum (wer macht so etwas eigentlich?) – alles bringt angeblich Unglück und sollte somit tunlichst vermieden werden. Nachdem ich gegen Aberglauben immun bin und daher auch nicht unter Paraskavedekatriaphobie leide (= die krankhafte Angst vor einem Freitag, dem 13. – außerdem ist für mich das Wort ein gewaltiger Zungenbrecher und das korrekte Aussprechen macht mir eher „Angst“), habe ich mich ganz besonders auf Freitag, den 13. Oktober 2023, gefreut.

Anlässlich der Langen Nacht der Literatur in Wien, die von EUNIC (European Union National Institutes for Culture) Austria organisiert wurde, fand im Rumänischen Kulturinstitut Wien eine faszinierende Dichterlesung statt. Die Autorinnen Dagmar Dusil und Ioana Ieronim boten lyrische Kostproben aus ihrem zweisprachigen Werk „Beleuchtete Busse in denen keiner saß/Și trec autobuze goale“ (erschienen 2021 im Ludwigsburger Pop Verlag). Dieses Buch offenbart die linguistische Symbiose zweier großartiger Dichterinnen, deren menschliche Sprache eine ungemein aktive Harmonie ausstrahlt. Die Prägnanz der Worte und deren bisweilen extrem beängstigende Bedeutung machen die zugrunde liegende, brutale Realität deutlich. Die kurz und treffend vorgetragene Lyrik dringt dem Zuhörer bis in die letzte Nische seiner Seele. Man fühlt sich willenlos und verletzt in die unzähligen leeren, aber gleichzeitig von nackter (Überlebens-)Angst überbordenden Stunden jener Zeit rückversetzt, einer Zeit der grassierenden Pandemie. Ich höre mich selbst tief Luft holen und versuche bewusst, meine furchtbaren Erinnerungen wegzuatmen. Die Welt fühlte sich damals für mich bedrohlich und abweisend an, mein mich beherbergender Mini-Kosmos schien sich mit einem zynischen Lächeln tagtäglich aufs Neue aufzulösen und meine gelebte Sicherheit mutierte zu einem neuen, aber kläglichen Dasein, das mir trotz enormer Anstrengungen beinahe höhnisch zu entgleiten drohte. „Zufällig nimmt der Tod uns Maß“, wie es in dem Gedicht „Pandemie 2020“ von Dagmar Dusil heißt, und die Poesie beider Lyrikerinnen stellt sich „dem Tod“, der diesmal, wie in einem Gedicht Dusils, „eine Krone trägt“.

Das Publikum im Saal des Rumänischen Kulturinstituts ist völlig verstummt. Jede einzelne Zuhörerin und jeder Zuhörer sind tief bewegt. Der unmittelbar danach einsetzende rauschende Applaus macht deutlich, wie sehr wir als Zuhörer mit den Autorinnen mitfühlen. Wie dankbar sind wir für ihre Gedichte, da sich jede und jeder der Anwesenden damit identifizieren kann. Die Dichterinnen haben uns ihren Spiegel vorgehalten und damit auch uns die Chance geboten in unsere eigenen, mit Narben bedeckten Seelen blicken zu können.

Das Buch wird durch ein ungemein feinfühlig formuliertes Nachwort von S. E. Emil Hurezeanu, Botschafter von Rumänien in Österreich, komplettiert. Die grafische Gestaltung des zweisprachigen Werks ist von Gerhild Wächter gekonnt umgesetzt: Ihre Scherenschnitte in schwarz-weiß sind von reservierter Eigenständigkeit geprägt, unterstreichen aber fließend die Dramatik der gedruckten Lyrik.

Die Lange Nacht der Literatur an einem Freitag, den 13., hat mir viel menschliche Bereicherung gebracht. Dankerfüllt blicke ich in der sternenklaren Nacht gegen den Himmel: Glücklich lasse ich es zu, mich bewusst zu spüren, mittendrin und umfangen vom Lärm der Großstadt!

Ingrid Weiss
(Hermannstädter Zeitung)

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Schlagwörter: Literatur, Lesung, Wien

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