2. Juli 2023

Die Protokolle des Landeskonsistoriums der Evangelischen Landeskirche in Rumänien 1919-1944

Ein lange geplantes Werk ist im Herbst vergangenen Jahres in der Honterus-Druckerei in Hermannstadt erschienen: Die Protokolle des Landeskonsistoriums der Evangelischen Landeskirche in Rumänien 1919-1944. Urkundenbuch der Evangelischen Landeskirche A.B. in Rumänien Bd. 4/1 – Protokolle 1919-1926, Bd. 4/2 – Protokolle 1928-1932, Bd. 4/3 – Protokolle 1933-1938, Bd. 4/4 – Protokolle 1939-1944, bearbeitet, kritisch ediert und herausgegeben von Ulrich A. Wien und Dirk Schuster unter Mitarbeit von Timo Hagen, Hermannstadt/Sibiu 2021.
Gefördert wurde die Drucklegung mit finanzieller Unterstützung des Departements für interethnische Beziehungen im Generalsekretariat der Regierung Rumäniens durch das Demokratische Forum der Deutschen in Rumänien sowie einem Zuschuss durch die Potsdam Graduate School und des Landes Kärnten. Die aufwendige Transkription der Originaldokumente wurde teilweise gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien. Die Verhandlungsprotokolle sind gelegentlich mit erklärenden Anmerkungen versehen, um unbekannte Wörter oder Zusammenhänge für die heutige Leserschaft zu erhellen.

Wer sich für die Geschichte der Siebenbürger Sachsen und insbesondere die Geschichte der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien in der Kriegs- und Zwischenkriegszeit interessiert, wird über die Herausgabe der Protokollbücher hoch erfreut sein. Denn eine Quellenedition erleichtert den Zugang zu den Originalakten um ein Vielfaches. Als ich in den 1990er Jahren im landeskirchlichen Archiv in Hermannstadt zu den evangelisch-lutherischen Gemeinden in Bessarabien recherchierte, standen mir die Originalprotokolle zur Verfügung. Aber selbstverständlich musste ich vor Ort arbeiten, durfte auch schon Kopien ziehen, was in der Zeit vor 1989 nicht möglich war. Erheblich leichter ist nun die Einsicht in die Verhandlungsprotokolle des Landeskonsistoriums, die bequem in der Siebenbürgischen Bibliothek in Gundelsheim und in vielen anderen Universitätsbibliotheken in Deutschland zugänglich sind.

Der Quellenedition sind in Bd. 4/1 und 4/3 ausführliche Einleitungen zur Geschichte der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien vorangestellt, die von Dr. Ulrich Wien verfasst, mit reichlich Bildmaterial und in Band 4/1 mit einem Literaturverzeichnis versehen wurden. In gewohnt pointierter und detailreicher Weise werden die wesentlichen Aspekte und Akteure der fraglichen Jahre vorgestellt und kritisch beleuchtet. Die Herausforderungen, mit denen die evangelische wie auch die katholische Kirche am Ende des Ersten Weltkriegs und in der Zwischenkriegszeit im neuen Vielvölkerstaat Rumänien konfrontiert waren, waren enorm. Die Verhandlungsprotokolle in Band 4/1 und 4/2 dokumentieren das intensive Ringen um eine stabile finanzielle Basis für Kirche und Schule, denn die Agrarreform zu Beginn der 1920er Jahre hatte nicht nur den privaten, sondern auch den korporativen Besitz, mit dem das ausdifferenzierte Schulwesen in Siebenbürgen finanziert wurde, massiv verkleinert. Diese Jahre stellten die Weichen für die fatalen Entwicklungen in den 1930er Jahren, die letztlich die „Selbstnazifizierung“ in Teilen der Bevölkerung und die „Gleichschaltung“ der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien durch die NS-Volksgruppenführung Anfang der 1940er Jahre begünstigten. Die beiden letzten Bände der Quellenedition, Band 4/3 und 4/4, spiegeln – unterstützt durch die Edition ergänzender, aussagekräftiger Quellen – diese Angriffe auf die Autonomie der Landeskirche und die Reaktionen darauf durch volksmissionarische Bemühungen und NS-kritische und widerständige Gruppen und Personen wider. Erwartungsgemäß konzentrieren sich die Protokolle des Landeskonsistoriums auf die zu behandelnden Fragen in den zehn siebenbürgischen Kirchenbezirken und das Diasporapfarramt. Aber aufgrund der territorialen Vergrößerungen des Königreichs Rumänien nach dem Ersten Weltkrieg hatten sich evangelische Minderheitenkirchen und -gemeinden in diesen Regionen der siebenbürgischen Landeskirche angegliedert. Seit 1926/27 unter einer gemeinsamen Kirchenordnung vereint, bildete das Landeskonsistorium in Hermannstadt für die angeschlossenen Kirchenbezirke Bukarest, Czernowitz, Tarutino und Temeswar die Zentralbehörde. Nach Hermannstadt wurden nicht nur die Bezirkskirchenprotokolle gesandt und die Veränderungen im Kirchenbezirk mitgeteilt, das landeskirchliche Hilfswerk für arme Gemeinden, das 1930 gegründet wurde, unterstützte auch mittellose Gemeinden und Lehrer in diesen Kirchenbezirken und verhandelte in Schulfragen mit den Regierungsstellen. Mit dem Landeskonsistorium stritt vor allem die bessarabiendeutsche Kirchenleitung in Tarutino um weitestgehende innerbezirkliche Autonomie.

Diese Quellenedition stellt eine Fundgrube für alle historisch Interessierten und Forschenden dar. Den Herausgebern und Mitarbeitenden gebührt großer Dank für die jahrelange Arbeit an diesem Werk, das eine weite Verbreitung verdient.

Dr. Cornelia Schlarb



„Die Protokolle des Landeskonsistoriums der Evangelischen Landeskirche in Rumänien 1919-1944“. Hg. Ulrich A. Wien und Dirk Schuster unter Mitarbeit von Timo Hagen. Honterus Verlag, Hermannstadt, 2021, 4 Bände (kostenfrei zu beziehen bei Ulrich Wien, E-Mail: wien[ät]uni-landau.de)

Schlagwörter: Landeskonsistorium, Protokolle, Evangelische Kirche, Schule, Buchvorstellung

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