5. April 2015

Siebenbürgen mitten in Sachsen

Leipzig. 251000 Besucher wurden gezählt. Mehr als 2000 Aussteller meldeten sich vorab. 3000 Mitwirkende reisten an. 400 Leseorte soll es in der Stadt gegeben haben. Die Leipziger Buchmesse vom 12. bis 15. März war erneut eine Veranstaltung der Superlative.
Für eine ganz spezielle Bereicherung sorgte dort Dagmar Dusil. Die aus Hermannstadt stammende Autorin lud zu einer kulinarischen Lesung und wagte im Leipziger Haus der Demokratie einen Blick zurück durchs Küchenfenster. Der Abend für die siebenbürgische Küche war ausverkauft, wie die Einlader schon vorab resümierten. Kein Platz blieb frei, obwohl gleichzeitig viele Konkurrenzveranstaltungen stattfanden. Die Autorin erinnerte in ihren Texten an den Geschmack ihrer Kindheit und gewährte einen Einblick in die eigene Biografie, in das Alltagsleben mit den nicht ganz einfachen Begleitumständen. Eigentlich wollte sie vor Jahren nur die gesammelten Rezepte Siebenbürgens der eigenen Tochter als Hochzeitsgeschenk überreichen. Daraus entwickelte sich dann das Buch „Blick zurück durchs Küchenfenster“, das im vergangenen Jahr in einer überarbeiteten Fassung im Leipziger BuchVerlag für die Frau erschien.
Die aus Siebenbürgen stammende und jetzt in ...
Die aus Siebenbürgen stammende und jetzt in Ostthüringen wohnende Sofia Diezel (links) fuhr zur Leipziger Buchmesse, um dort die Veranstaltung „Blick zurück durchs Küchenfenster“ mit Dagmar Dusil (rechts) zu besuchen. Foto: Roland Barwinsky
Der Vortragenden war es außerdem wichtig, das Image ihrer ursprünglichen Heimat zurechtzurücken. Erst einige Stunden vor dieser Veranstaltung wollte ein Besucher auf der Buchmesse wissen, ob es nicht zu gefährlich sei, heutzutage nach Rumänien zu fahren. So hörten die Zuhörer viel von einem kulturellen Schmelztiegel, den es in Transsilvanien schon vor Jahrhunderten gab. Auf engsten Raum leben dort seit Urzeiten verschiedenste Nationalitäten mit ihren unterschiedlichsten Religionen, Kirchen, Lebensweisen und Ansichten. Diese Vielfalt bereicherte nicht nur das Leben, sondern auch die Speisekarte. Man erfuhr einiges über die Mangel- und Tauschwirtschaft zu realsozialistischen Zeiten, vom Improvisieren unter schwierigsten Bedingungen und vom Schlangestehen vor den Läden. Damit wurden Bilder im Kopf geschaffen, die vielen Anwesenden irgendwie bekannt vorkamen. Denn in der ehemaligen DDR – wo Leipzig lag – lief es so ähnlich.

Zwischendurch kredenzte das Küchenteam ein 3-Gang-Kostprobenmenü mit siebenbürgischen Spezialitäten. Auf der Speisenkarte stand Schinken in Aspik mit Auberginensalat. Danach gab es Rahmschnitzel in Champignonsauce mit Kartoffelpüree und Salat. Als Nachtisch servierte das Team eine Zitronencreme. Ein kulturelles Rahmenprogramm beförderte die Lust auf die gereichten Speisen zusätzlich. Peter Szaunig am Klavier spielte siebenbürgische Komponisten wie Carl Filtsch (1830-1845). Das in Mühlbach geborene Wunderkind wurde vom Schaffen Frédéric Chopins (1810-1849), der ihn übrigens auch unterrichtete, inspiriert und erhielt u.a. von Franz Liszt (1810-1886) viel Lob. Für viele Gäste sollte es die erste Begegnung mit der musikalischen Erbmasse dieses nur 15 Jahre alt gewordenen Komponisten sein.

Freudentränen hatte Sofia Diezel, geborene Bordon, in den Augen, eine aus Schellenberg bei Hermannstadt stammende Besucherin. Sie wanderte Ende der 1950er Jahre in die damalige DDR aus und lebt seitdem in Ostthüringen. Im Dezember 2014 erhielt die Frau das Buch von Dagmar Dusil und wollte deswegen unbedingt die Autorin persönlich kennenlernen. Der recht lange Anfahrtsweg störte sie dabei keineswegs. Im Gegenteil: Im Alter seien bei ihr plötzlich viele Kindheitserinnerungen wieder da. Sie versprach zugleich, ihre siebenbürgische Heimat noch so oft wie möglich zu besuchen. Ein Wunsch, der durch diese kulinarische Lesung noch befördert wurde.

Roland Barwinsky

Schlagwörter: Leipzig, Buchmesse, Lesung, Dagmar Dusil

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