5. September 2011

Joscha Remus’ Wegweiser durch die rumänische Kultur

„KulturSchock Rumänien“ ist kein klassischer Reiseführer. Statt Stadtplänen und Beschreibungen von Sehenswürdigkeiten enthält das handliche Buch eine detaillierte Einführung in die rumänische Kultur. Der potenzielle Rumänienreisende soll eine Orientierungshilfe für den fremden Alltag mit auf den Weg bekommen, soll Geschichte, Lebens- und Denkweise der Einheimischen kennenlernen und vor allem von all seinen Vorurteilen befreit werden.
Der Autor Joscha Remus beweist dabei seine profunde Kenntnis des Landes und seiner Gepflogenheiten und schafft es dank zahlreicher eingestreuter Anekdoten, dass sich der Leser trotz einer Fülle von Fakten nicht zu langweilen beginnt. Nach in einem kurzen Kapitel mit geografischen Informationen bekommt der Leser zunächst einen recht ausführlichen Überblick über die Geschichte Rumäniens. Der Fokus liegt dabei vor allem auf der Entstehung Rumäniens als eigenständiger Staat und auf der Ära Ceaușescu. Diese Themen werden eingehend behandelt, dafür bleibt der Autor dem Leser leider eine Beschreibung der Geschehnisse zwischen 1500 und 1800 schuldig.

Es folgt ein Blick auf Politik, Wirtschaft und Religion in der heutigen Gesellschaft Rumäniens. Auch vor heiklen Themen wird dabei nicht Halt gemacht, so ist beispielsweise ein ganzes Kapitel der „Kunst des Schmierens“ gewidmet.

Das nächste Kapitel befasst sich mit den Minderheiten in Rumänien. Im Gegensatz zu anderen Autoren von Rumänien-Reiseführern erliegt Joscha Remus dabei aber nicht der Versuchung, die Geschichte der Deutschen in Rumänien zum Hauptthema seines Werkes zu machen. Das liegt wahrscheinlich daran, dass Remus selbst nicht aus Siebenbürgen stammt.

Mit einer guten Prise Humor, aber immer mit einem liebevollen Blick beschreibt er in den folgenden Kapiteln die Eigenheiten der rumänischen Bevölkerung. Es geht um Rollenbilder, rumänischen Humor, den Stolz auf die Sprache und nicht zuletzt um die ambivalente Haltung der Rumänen zum jüngsten Erfolgszug der Marke Dracula. Hierbei sei ein für alle Mal festgestellt, dass die wahre Geschichte des Vlad Tepeș sich nicht in Transsylvanien abspielte, da der Vampir Fürst der Walachei war. Einem großen Teil der Rumänen ist das aber völlig gleichgültig, in Remus’ Worten: „Hauptsache – Dracula sells.“

Nach einem kurzen Kapitel zum rumänischen Bildungs-, Gesundheits-, und Sozialwesen gibt der Autor einen Überblick über die bildenden Künste, Theater, Literatur, Film und Musik in Rumänien. Das Buch schließt mit Kapiteln, die den rumänischen Alltag beschreiben. Hier findet der Leser auch die meisten praktischen Tipps, z.B. einen Hinweis auf die zahlreichen Schlaglöcher auf den rumänischen Straßen. Im Gegensatz zum allgemeinen Tenor warnt der Autor aber nicht im Besonderen vor der Kriminalität in osteuropäischen Ländern, im Gegenteil: „Rumänien ist im internationalen Vergleich ein sicheres Land. Kapitalverbrechen sind [...] sehr selten und auch die Bukarest-Statistiken der Autodiebstähle und Raubüberfälle liegen deutlich unter denen von Amsterdam oder Paris.“ Wieder ein weit verbreitetes Vorurteil beseitigt.

Alles in allem enthält „KulturSchock Rumänien“ eine unheimlich große Anzahl von Daten und Fakten. Als erstes fallen dem Leser aber nicht, wie man etwa meinen könnte, Jahreszahlen oder Prozentsätze ins Auge, sondern die beeindruckenden Fotos, die der Autor größtenteils selbst auf seinen Reisen durch das Land gemacht hat. Sie zeigen vor allem die Menschen in Rumänien, vom völlig verrußten Arbeiter aus Kopisch über den Ziegenhirten aus dem Alttal bis zum IT-Experten in Hermannstadt. Außerdem wird der Text aufgelockert durch viele Infokästen, die interessante Anekdoten oder sogar kleine Interviews zum Thema enthalten. Immer wieder kommt dabei auch Nicu zu Wort. Nicu ist ein 73-jähriger „pensionierter Lehrer und Hobbysoziologe“ aus Bukarest, der in seiner Funktion als „Zeitzeuge“ vor allem über die Zeit der Diktatur unter Ceaușescu einige lustige Geschichten besteuert.

Für den Leser, der dem Rumänischen nicht mächtig ist, gibt es bei wichtigen rumänischen Wörtern und Namen immer wieder Aussprachehilfen. Rumänische Orte, für die auch eine deutsche Bezeichnung existiert, werden allerdings – und das ist eine der wenigen Schwachstellen des Buches – nicht einheitlich entweder auf Deutsch oder auf Rumänisch angeführt. Der Autor wechselt häufig zwischen den Bezeichnungen, erklärt aber dabei beispielsweise nie ausdrücklich, dass es sich bei Hermannstadt und Sibiu um ein und dieselbe Stadt handelt. Etwas überraschend ist der häufige Wechsel in der Bezeichnung von Siebenbürgen. So sind beispielsweise in einem Absatz die IT-Spezialisten aus den Städten Siebenbürgens das Thema und im nächsten Absatz wird das einfache Leben der Bauern und Hirten in Transsylvanien beschrieben. Das kann den unkundigen Leser schon einmal verwirren.

Trotzdem spricht das Buch gerade Menschen an, die sich bis dahin noch überhaupt nicht mit Rumänien auseinandergesetzt haben. Sie erhalten einen ersten Überblick über das Land, seine Sitten und Gebräuche und werden auf den dortigen Alltag vorbereitet. Einen kleinen Kulturschock werden sie aber wahrscheinlich doch erhalten, wenn sie schließlich nach Rumänien fahren, denn auch die ausführlichste Lektüre vorab kann die eigenen Erfahrungen nicht ersetzen.

Angelika Stefan


Joscha Remus: „KulturSchock Rumänien“, Reise Know-How Verlag, Bielefeld, 2011, zweite, komplett aktualisierte Auflage, 312 Seiten, 14,90 Euro, ISBN 978-3-8317-1496-4.
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Schlagwörter: Rezension, Rumänien, Kultur, Reise, Humor

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