6. Juli 2011

Die Neuordnung der siebenbürgisch-sächsischen Kirche vor 150 Jahren

1861 gab sich die Evangelische Kirche Augsburger Bekenntnisses in Siebenbürgen nach längeren Verhandlungen eine neue Verfassung. Sie blieb in weiten Teilen bis 1997 gültig und prägte das Leben der Siebenbürger Sachsen in dieser Zeit. Denn sie verband Kirche und Schule noch stärker als bis dahin, demokratisierte das innerkirchliche Leben durch die Stärkung der Laien in der Kirchenleitung, von der Gemeindevertretung und dem Presbyterium über die Kuratoren bis hin zur Landeskirchenversammlung, die den Bischof wählt und die kirchlichen Gesetze festlegt. Durch Umgehung des bis dahin gültigen „Summepiskopats“ des Landesherren schuf sie sich eine noch stärkere Autonomie und durch die Verlegung des Bischofssitzes aus Birthälm nach Hermannstadt wurde der Anspruch der Kirche als Repräsentantin und moralische Instanz der Siebenbürger Sachsen auch nach außen hin deutlich gemacht.

Vorgeschichte

Nach der Revolution von 1848/1849 wurde die Habsburgermonarchie, zu der Siebenbürgen gehörte, von einer absolutistisch agierenden Regierung geleitet, die auch so treue Anhänger wie die Siebenbürger Sachsen enttäuschte, die in den Revolutionsjahren für den Kaiser gekämpft hatten. Nach Niederlagen im Krieg gegen das nach Einigung strebende Italien musste die Wiener Regierung die Zügel in der Monarchie lockern. Um auch Nichtkatholiken anzusprechen, wurde unter anderen am 1. September 1859 das Protestantenpatent erlassen. In sogenannten Vertrauensmänner-Kommissionen sollten die Beziehungen zwischen Staat und protestantischen Kirchen neu geregelt werden.

Nach Siebenbürgen wurde Josef Andreas Zimmermann (1810-1897) als „Ministerialcommissär“ entsandt, um mit den Vertrauensmännern der evangelisch-lutherischen Kirche zu beraten, zu denen Gottlieb Budaker, Georg Daniel Teutsch, Andreas Gräser, Samuel Schiel, Friedrich Phleps, Jakob Rannicher und Conrad Schmidt berufen worden waren.

In den Beratungen ging es vor allem um die Verabschiedung einer neuen Kirchenverfassung, bei deren Ausgestaltung drei Gruppen unterschiedliche Ziele verfolgten: die konservativen Bedenkenträger, die einen Einfluss-Verlust der Geistlichen befürchteten, die liberalen Kreise, die für kirchliche Autonomie plädierten, und eine dritte, pragmatisch agierende Gruppe, die eine 1855 erlassene „Provisorische Vorschrift“ der Regierung verbessern wollte, der aber von den Gegnern unterstellt wurde, sie wolle die Kirche „in die Hände des Staates“ kommen lassen. Letztlich aber setzte sich diese vom Schäßburger Gymnasialdirektor Georg Daniel Teutsch (1817-1893) angeführte Gruppe durch, die bei aller Kompromissbereitschaft der Regierung ein Zurückdrängen staatlicher Einflussmöglichkeiten abgerungen hat, die geistliche Autorität zu wahren verstand, den Weltlichen aber trotzdem eine stärkere Mitbestimmung nach dem sogenannten synodal-presbyterialen Prinzip einräumte.

G. D. Teutsch, der spätere Bischof, schilderte die Vorteile dieser neuen Ordnung am 9. März 1861 in einem Brief an Eugen v. Trauschenfels: „Die endliche Organisierung unserer Kirche ist meiner Überzeugung nach der erste und festeste Grundstein für die edelsten Güter unseres Volkstums; ja der Fortbestand unserer Nationalität beruht wesentlich auf einer Konstituierung unserer Kirche (und Schule), die die Kräfte dieser zu sammeln, zu erhalten, zu stärken Raum und Möglichkeit biete.“

Erste Landeskirchenversammlung

Auf dieser Grundlage konnte am 12.-22. April 1861 die erste Landeskirchenversammlung unter dem Vorsitz des Superintendenten Georg Paul Binder zusammentreten, unter Teilnahme geistlicher und weltlicher Abgeordneter aus allen Kirchenbezirken sowie von sechs Gymnasialdirektoren. Sie bestand zunächst als Verfassungsorgan neben der Geistlichen Synode der Kirchenkapitel unter dem Generaldechanten Johann Fabini, doch wurde nun bald ein aus allgemeinen Wahlen hervorgehendes, prinzipiell paritätisch aus Geistlichen und Weltlichen zusammengesetztes, dreistufiges Kirchenregiment errichtet. Der neue Landeskirchenkurator Conrad Schmidt würdigte die Kapitel als „nothwendige Institutionen in der früheren Zeit“, plädierte aber nun für die Umsetzung der Verwaltungsreform auf der Grundlage der neuen Kirchenverfassung.

Am 18. April 1861 nahm die Landeskirchenversammlung nach kurzer Schlussdebatte die ersten sieben Abschnitte der „Provisorischen Bestimmungen“ fast einstimmig an. Sie traten am 1. Juli 1861 in Kraft. Anderthalb Jahre später verabschiedete die zweite Landeskirchenversammlung den VIII. Abschnitt über die Pfarrerwahlen. Damit waren zum ersten Advent 1862 alle Teile der neuen Kirchenverfassung gültig.

Georg Daniel Teutsch. Visitbild von Theodor ...
Georg Daniel Teutsch. Visitbild von Theodor Glatz, um 1862.
Nach dem Vorbild der Rheinisch-Westfälischen Kirchenordnung wurde in Siebenbürgen ein Kompromiss zwischen Konsistorial- und Presbyterial-Synodalverfassung umgesetzt. Erstmals wurden (vorerst nur von Männern) gewählte Presbyterien als Kirchenbehörden und Gemeindevertretungen als Repräsentanz der Ortsgemeinde eingeführt, zudem der Kurator als weltlicher Hauptrepräsentant der Kirche neben dem Pfarrer.

Wichtigste Neuerungen

Die neue Kirchenverfassung brach mit der kirchenrechtlichen Tradition, ohne sie zu verleugnen. Erstmals wurden alle Evangelisch-Lutherischen Siebenbürgens in eine Gesamtkirche gleichberechtigt integriert. Die Landeskirche wurde in zehn (bis 1920 bestehende) Kirchenbezirke eingeteilt. Die einheitliche Regelung des Schulwesens durch das Landeskonsistorium dämmte gemeindliche Eigenmächtigkeit ebenso ein wie die Kirchenvisitationen, die zu den Obliegenheiten des Bischofs zählten. Die Kapitel spielten nur noch bei der Pfarrerfortbildung und als Standesvertretung eine Rolle. Der Bischofssitz wurde definitiv von Birthälm nach Hermannstadt verlegt. Der Landesherr verzichtete auf seinen Anspruch auf kirchliche Oberhoheit, also auf den sogenannten Summepiskopat.

Die Landeskirche wurde in drei Stufen von unten nach oben aufgebaut. Es galt ein repräsentativ-demokratisches Siebverfahren, an dem alle selbstständigen Männer teilnehmen konnten. In indirekten Wahlen wurden die jeweiligen Delegierten in die höheren Vertretungskörper gewählt. Der Bischof wurde ebenfalls in einem ­demokratischen, indirekten System aus Vorschlägen aller Kirchengemeinden sowie der Kirchenbezirke von der Landeskirchenversammlung auf Lebenszeit (mit Rücktrittsrecht) gewählt.

Die Landeskirchenversammlung tagt in getrennten Sitzungen als Organ des Kirchenregiments und als Organ der Gesetzgebung. Sie wählt die Exekutive des Kirchenregiments, das Landeskonsistorium, sowie dessen Kanzleileiter, den Hauptanwalt. Auf allen Ebenen finden die Schulvertreter, insbesondere die Gymnasialdirektoren, Gehör; doch nur in der Landeskirchenversammlung sind sie ex officio Mitglied. Eine zentrale Pensionsanstalt für kirchliche Angestellte (Lehrer und Pfarrer) wird vorgesehen. Kirche und Schule werden auch in der Verfassung als ein Organismus behandelt, für akademische Kandidaten des Lehr- und Pfarramtes ein Doppelstudium (mit Theologie als Pflichtfach) vorgesehen.

Diese Kirchenverfassung hat mit zeitbedingten, zum Teil erheblichen Modifikationen bis 1997 gegolten. Änderungen gab es im Blick auf das Frauenwahlrecht (aktiv und passiv nach 1920), auf das Kirchengebiet sowie die Kirchenbezirkseinteilung, auf die Mandatsdauer, auf die verpflichtende Repräsentanz der Lehrer und deren Annullierung 1949. Weitere Änderungen betrafen die Zahl der in die Körperschaften gewählten Mitglieder, die Maßstäbe, die an die Kandidaten für weltliche Wahlämter gestellt wurden sowie die Nachbarschafts-, Bruder- und Schwesterschaftsordnung.

Hinzu kam die Reduktion des ethnischen Spektrums, das die Landeskirche spätestens seit dem Ausscheiden der letzten magyarischen Gemeinde 1971 zu einer einheitlich deutschen Landeskirche werden ließ.

Die Evangelische Landeskirche in Siebenbürgen hat mit dieser neuen Kirchenverfassung die Vorreiterrolle in Siebenbürgen übernommen. Die evangelisch-reformierte Generalsynode hat am 22. Juni 1871 eine kirchliche, demokratische Repräsentativverfassung angenommen. Ebenfalls kam es im orthodoxen Erzbistum von ­Sie­ben­bürgen unter dem Metropoliten Andrei Șaguna 1868/69 zur Verabschiedung des „Organischen Statuts“ als Kirchenverfassung nach protestantischen und katholischen Vorbildern. Eine Versammlung des „Status Catholicus“ in Sieben­bürgen legte 1873 die Grundlagen für die Wiederherstellung der Autonomie. In der unitarischen Konfession wurde nach dem Ausgleich 1867 ebenfalls eine neue Verfassung eingeführt, die von unten nach oben aufgebaut war.

Ulrich A. Wien

Schlagwörter: Kirche, Siebenbürgen, Geschichte

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