8. April 2011

Siebenbürgische Klänge in fränkischen Kirchen

Siebenbürgische Klänge entfalteten sich am letzten Märzwochenende in zwei Nürnberger Kirchen: Am 26. März war das Ensemble „Flauto dolce“ in St. Martha, am 27. März Erich Türk in der Reformations-Gedächtniskirche am Stadtpark zu hören. Während draußen in der großen Welt die „Arabellion“ (FAZ) und die große tragische Ungewissheit nach Erdbeben, Tsunami und Atomkatastrophe tobten, erklangen in St. Martha im Herzen der Nürnberger Altstadt zarte und eindringliche Töne aus vergangenen Jahrhunderten, verbannten die Tageshektik für wenige Stunden, ließen uns lauschen, frei atmen, genießen. Andächtig nahmen rund einhundert Musikliebhaber im gotischen Gotteshaus die anfangs zarten, später auch bewegten Weisen auf. Entrückt folgten wir der einfühlsam vorgetragenen breiten Vielfalt höchster musikalischer Kunst aus unterschiedlichen Zeiten, ethnischen und religiösen Zusammenhängen.
Verantwortlich für diesen ersten musikalischen Genuss waren die Mitglieder des im Jahre 2000 an der Klausenburger Musikhochschule Gheorghe Dima von Zoltán Majó gegründeten und von ihm geleiteten Ensembles „Flauto dolce“: Mária Szabó, Ágnes Tóth (beide Blockflöte) und Mihaela Maxim (Solistin der Rumänischen Staatsoper Klausenburg), alle Absolventinnen der Musikakademie Gheorghe Dima, diesmal verstärkt durch einen weiteren Siebenbürger, nämlich Erich Türk (Cembalo, Orgel). Letzterer bediente nicht nur das Cembalo und die Orgel meisterhaft, er führte auch als versierter Moderator durch das Programm.

„Flauto Dolce“ hat sich einerseits zum Ziel gesetzt, die Familie der Blockflöte (Flauto dolce) mit dem dazugehörenden Repertoire alter und moderner Werke in Rumänien bekannt zu machen und Werken der Renaissance, des Barock, des Rokoko, aber auch der Moderne einen Platz im gegenwärtigen Musikleben zu sichern. Zum anderen ist das Ensemble der Musikakademie bemüht, frühe siebenbürgische Musik aus verschiedenen alten Manuskripten in die Öffentlichkeit zu tragen. Sein Repertoire erstreckt sich auch auf avantgardistische Musik, was auch in diesem Konzert einen Höhepunkt darstellte.

Womit präsentierten sich die Künstler in St. Martha? Man ging chronologisch vor und begann mit einem Instrumentalstück für Orgel (Anonymus). Es folgte eine Fantasia La Romana von Orazio Tarditi, das Jubilate von Lodovico Viadana, eine weitere Fantasia und das Benedictus von Alessandro Grandi, alle Stücke aus dem Codex Caioni aus Csiksomlyó/Șumuleu Ciuc aus dem 17. Jahrhundert. Dass hier so viele Italiener vorkommen hat damit zu tun, dass auch siebenbürgische Fürsten des 16.-18. Jahrhunderts an ihren Residenzen Hofmusiker, damals vornehmlich italienische, beschäftigten. Danach hörten wir zwei Lieder von Gabriel Reilich (1643-1677), fünf Sätze aus der Triosonate in d-Moll von Georg Philipp Telemann (1681-1767), die Arie „Ach, süßes Wort“ von Johann Sartorius (1712-1787), anschließend einige Chassidische Lieder aus der Maramuresch aus dem 18. Jahrhundert, Tänze aus Siebenbürgen aus einem Manuskript aus Sepsiszentgyörgy/Sf. Gheorghe (1757), bearbeitet von Zoltán Majó. Das 20. Jahrhundert war im letzten Drittel vertreten durch die Ruhige Messe für Orgel (1942) von Zoltán Kodály (1882-1967), die von Zoltán Majó bearbeiteten Rumänischen Volkstänze (1915) von Béla Bartók (1881-1945), mehrere Teile aus dem Orgelstück von 1988 In Honorem Honteri von Hans Peter Türk (*1940), eine extrem beschwingte Variation des von Matthias Friederich (*1954) 1977 komponierten Happy Birthday, sowie Swingin’ Shepherd Blues von Moe Koffman (1928-2001) und Soft Shoe Shuffle von Brian Bonsor (*1926).
Das Flauto Dolce Ensemble in der St. Martha ...
Das Flauto Dolce Ensemble in der St. Martha Kirche (von links): Erich Türk, Mihaela Maxim, Zoltán Majó, Mária Szabó, Agnes Tóth und Hans Peter Türk. Foto: Inge Alzner
Das wunderbare Konzert widerspiegelte nicht bloß die musikalische, ethnische oder konfessionelle Vielfalt des früheren und heutigen Siebenbürgen, es dokumentierte durch die Auswahl und geschmeidige Interpretation die stete Bereitschaft Siebenbürgens als europäische Kulturlandschaft, sich der Welt des Abendlandes mit seinen mannigfaltigen geistigen, mit seinen reichhaltigen musikalischen Strömungen zu öffnen.

Dynamisch, filigran, einnehmend

Der zweite musikalische Genuss am 27. März in der geräumigen Reformations-Gedächtnis-Kirche am Nürnberger Stadtpark startete schon bei der Begrüßung durch den Vorsitzenden des „Nürnberger Kulturbeirats zugewanderter Deutscher“, Lucian Mot, mit einem Applaus zu Ehren des anwesenden, seinen Geburtstag erstmals außerhalb Siebenbürgens feiernden Komponisten Hans-Peter Türk, Vater des Interpreten Erich Türk. Hans-Peter Türk genoss mit dem lauschenden Publikum ein geschickt zusammengefügtes und vortrefflich gespieltes Orgelkonzert seines Sohnes. Erich Türk, geb. 1972, studierte Orgel an der Gheorghe Dima Musikakademie in Klausenburg bei Ursula Philippi und in Wien bei Michael Rădulescu sowie Cembalo bei Ilton Wjuniski und Gordon Murray. Derzeit unterrichtet er Orgel, Cembalo, Generalbass, Kammermusik und Orgel an der Gheorghe Dima Musikakademie. Als Solist, Kammermusiker und Chorleiter trat er in den meisten europäischen Ländern auf. Er setzt sich für historische Instrumente und historische Aufführungspraxis ein, ist häufig Gast auf Festivals für Alte Musik in ganz Rumänien. In gleichem Maße machte er sich durch Uraufführungen zeitgenössischer Klausenburger Komponisten, nicht zuletzt seines Vaters Hans-Peter Türk, auch um moderne Musik verdient. Beim internationalen Bachwettbewerb in Brügge 2000 gewann er den 2. Preis und den Publikumspreis.

Nach dem mächtigen Einstieg mit Rudolf Lassels (1861-1918) Präludium und Fuge in c-Moll folgten zwei sanfte Choralvorspiele mit romantisch gefärbter Harmonik von Johannes Brahms (1833-1897): „Herzliebster Jesu“ und „Herzlich tut mich verlangen“ in verschiedenen Klangebenen. Brahms blickt auf sein irdisches Dasein zurück und erwartet getrost und glaubensgestärkt sein eigenes Ende, wonach ihn „herzlich“ verlangt. Den Choralstücken folgten wesentliche Teile aus dem dem Reformator Johannes Honterus gewidmeten Werk „In Honorem Honteri“ (1988) des wohl bedeutendsten und tiefsinnigsten siebenbürgisch-sächsischen Komponisten der Gegenwart, Hans-Peter Türk (*1940): „Variationen über den Iambicum trimetrum aus Johannes Honterus‘ Odae cum harmoniis“, eine typische Türk-Komposition mit christlicher Aussage und siebenbürgisch-sächsischem Bekenntnischarakter, in der Tradition und Innovation deutlich zutage treten. Erich Türk beherrscht die Musik seines Vaters nicht nur scheinbar mühelos, es gelingt ihm, sie auch dynamisch abgestuft, stellenweise filigran, wahrhaft einnehmend zu spielen und die Spannung auch über Satzgrenzen hinweg aufrecht zu erhalten. Das Konzert beschloss Erich Türk mit Teilen der Ruhigen Messe (Organoedia ad missam lectam) von Zoltán Kodály (1882-1967). Wie Hans-Peter Türk erkannte auch Kodály den unschätzbaren Wert der Volksmusik für sein Schaffen sowie die immense Bedeutung musikalischer Erziehung junger Menschen, die dadurch ein Gefühl für Disziplin, für Verantwortung bekommen und deren Charakter über Musik gefestigt werden kann. Geschmeidig, ohne jedwede Hast wechselten bei der Interpretation der Musik Kodálys durch Erich Türk stillere und kräftigere Tonpassagen in diesem kräftigen Finale.

Der neugegründete „Nürnberger Kulturbeirat zugewanderter Deutscher“, dies wurde auch in den Begrüßungs- und Dankesworten seines Vorsitzenden Lucian Mot deutlich, hat sein Bestes getan, um diese wunderbaren Könner zu diesem Zeitpunkt in Nürnberg zu versammeln, ihnen eine adäquate Bühne und dem Publikum eine seltene Möglichkeit zu bieten, zwei musikalische Leckerbissen aus Siebenbürgen zu goutieren.

Horst Göbbel

Schlagwörter: Musik, Nürnberg

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