8. Februar 2024

Bedeutendster Sammler historischer Wertpapiere zu Siebenbürgen: Nachruf auf Hellmar Christian Wester

Hellmar Christan Wester war am 27. Dezember 1953 in Kronstadt geboren worden und besuchte dort das Honterus-Lyzeum. Nachdem er als Jugendlicher bei einem Fluchtversuch an der Donau entdeckt und inhaftiert worden war, konnte er nur noch eine Berufsschule besuchen, die er als Berufskraftfahrer abschloss. Die Zeit bei der Armee musste Hellmar Wester als Bau-Soldat verbringen. Diese Erlebnisse prägten sein zukünftiges Leben sehr stark. Sein Ziel war, „ein absolut freier Mensch – von NICHTS und NIEMANDEM abhängig – zu sein“.
Hellmar Christian Wester Foto: Brigitte Wester ...
Hellmar Christian Wester Foto: Brigitte Wester
Im Jahr 1980 erfolgte die Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland. Zunächst arbeitete Hellmar Wester als Berufskraftfahrer und bildete sich in seinen freien Stunden intensiv weiter. Es folgte u. a. ein Studium an der Akademie für Welthandel in Frankfurt/M. zum Verkehrsfachwirt. Anschließend war er im Logistikbereich einiger großer Speditions- und Handelsbetriebe tätig, schließlich als Prokurist bei renommierten und traditionsreichen Firmen wie Daufenbach GmbH & Co (Euskirchen), Meyer & Meyer GmbH & Co (Osnabrück) und Paul Fassbender GmbH & Co (Bonn).

Seit seiner Ausreise setzte sich Hellmar Wester intensiv für die sozialen und kulturellen Belange sowie die Gemeinschaft der Siebenbürger Sachsen ein. Er war stellvertretender Vorsitzender der Landesgruppe Nordrhein-Westfalen der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen in Deutschland (1994-1998), Leiter des Referats „Organisation und Siebenbürgen“ (1998-2002) sowie Sozialreferent der Kreisgruppe Köln (1994-2001). Während seiner Tätigkeit koordinierte und organisierte er Hilfeleistungen, Hilfsgütersendungen und Besuchsreisen nach Siebenbürgen. Hellmar Wester war in der Heimatortsgemeinschaft Kronstadt seit 1996 aktiv und gehörte seit 1985 dem Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde e.V. an. Neben ausgedehnten Reisen galten seine Interessen der Musik (er sang in mehreren Chören mit), der Geschichte und den Oldtimern/Traktoren. Seine Tatkraft zeigte sich auch in der Gründung des Vereins „Treckerfreunde Kirchheim 1996 e.V.“.

Ein besonderes Herzensanliegen war die Beschäftigung mit der europäischen Wirtschaftsgeschichte und dem Sammeln historischer Wertpapiere. Neben dem Sammelgebiet Siebenbürgen und Rumänien widmete er sich dem Sammelgebiet Diamanten, darunter Minen, Handel und verarbeitende Industrie. Mit alten Aktien aus Siebenbürgen und Rumänien beschäftigte sich Hellmar Wester seit 1986. Ihn interessierten vor allem die Geschichte, die Protagonisten und die Verbindungen zu anderen Unternehmungen, die hinter diesen Papieren stehen. Hinzu kamen alte Rechnungen, Fotos, Werbung, usw., um die Geschichte einer Gesellschaft zu dokumentieren. Besondere Freude bereiteten ihm „exotische“ Fundstücke, über die er gerne berichtete, zum Beispiel zur „Ersten südosteuropäischen Silberfuchsfarm Aktiengesellschaft“ in Zeiden, siehe Aufsatz unter http://tinyurl.com/2p8576vp.

1999 gab es die erste Ausstellung seiner historischen Wertpapiere im Gerhart-Hauptmann-Haus in Düsseldorf. Die insgesamt 50 Aktien, Schuldverschreibungen, Versicherungspolicen und sonstigen „Non-Valeurs“ – wie diese heute nicht mehr gültigen Wertpapiere von Spezialisten und Sammlern genannt werden – illustrieren ein bis heute wenig bekanntes und erforschtes Gebiet der siebenbürgisch-sächsischen Existenz im Karpatenbogen. Dazu erschien ein Katalog, der von einem kleinen Team um Hellmar Wester erarbeitet worden war. Neben den farbigen Abbildungen der Wertpapiere bietet er Grundinformationen zu den bedeutendsten siebenbürgisch-sächsischen Unternehmen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und damit ein hilfreiches Nachschlagewerk.

Dafür erhielt Hellmar Wester im darauffolgenden Jahr beim Heimattag der Siebenbürger Sachsen den von der Siebenbürgisch-Sächsischen Stiftung vergebenen Ernst-Habermann-Preis (diese Zeitung berichtete). Ebenfalls zu Pfingsten 2000 wurde die Ausstellung „Historische Wertpapiere aus Siebenbürgen“ in Dinkelsbühl und wenig später während der Siebenbürgisch-Sächsischen Kulturtage in Frankfurt/M. gezeigt. Damals wurde eine gelungene Online-Version vom Internetreferenten der Landsmannschaft, Robert Sonnleitner, erstellt, so dass die Ausstellung bis heute einem weltweiten Publikum zugänglich ist: www.siebenbuerger.de/go/654U.
Aktie der Sächsisch-Regener Sparkassen A.G. ...
Aktie der Sächsisch-Regener Sparkassen A.G. Sammlung H. Chr. Wester. Foto: Ingrid Schiel
Im Laufe der Jahre baute Hellmar Wester seine Sammlung immer weiter aus, bis sie schließlich über 2000 Exponate umfasste, darunter sehr seltene Stücke und Unikate. Daneben verfügte er über ein umfangreiches Wissen zu den einzelnen Unternehmen, ihrer Geschichte und den Protagonisten. Hinzu kam eine große Spezialbibliothek. Ohne seine verständnisvolle Ehefrau Brigitte, einer Kölnerin, wäre dieses Wirken nicht möglich gewesen, wie auch seiner Dankesrede zu entnehmen war.

Es war ihm ein besonderes Anliegen, die Bedeutung historischer Wertpapiere und Aktien in der Wissenschaft und Öffentlichkeit zu vermitteln. Im Rahmen einer Tagung des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde e.V. (AKSL) fand 2002 in Leoben eine Ausstellung zu „Wertpapieren aus dem Montanwesen Siebenbürgens und Rumäniens“ statt. 2004 brachte er den „Ersten Aktienkalender Transsylvanien“ als Sammleredition heraus. Kalenderblatt für Kalenderblatt werden hochwertige und originalgetreue Nachdrucke historischer Wertpapiere mit den Daten der jeweiligen Gesellschaft aus seiner Sammlung dreisprachig geboten. Aktien und Wertpapiere spiegeln ebenso die grafische Kunst ihrer Zeit und sind kleine Kunstwerke. Anlässlich der Kulturhauptstadt Hermannstadt und des Großen Sachsentreffens 2007 fand erstmals eine Ausstellung „Historische Wertpapiere aus Siebenbürgen“ in Siebenbürgen selbst statt. Im Rahmen der Tagung „Deutsche Unternehmens- und Wirtschaftsgeschichte am Beispiel Kronstadts und des Burzenlandes“ am Heiligenhof in Bad Kissingen sprach Hellmar Wester 2013 zum Thema: „Pioniere der Globalisierung. Zwei deutsche Weltunternehmen in Kronstadt in den 1930er Jahren. Von der Gründung bis zum Untergang“. Er stellte die Schokoladenfabrik Stollwerk AG und den Konsumgüterkonzern Baiersdorf AG vor.

Die AKSL-Jahrestagung 2020 auf Schloss Horneck war dem Schwerpunktthema Industrialisierung Siebenbürgens gewidmet. Hellmar Wester illustrierte in seinem Vortrag „Siebenbürgische Wirtschaftsgeschichte der Gründerzeit im Spiegel der Aktien: Industriebetriebe, Banken, Infrastruktur“, wie durch die Magyarisierungspolitik Ungarns nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 Deutsche und Rumänen die Wirtschaftspolitik ins Zentrum ihrer jeweiligen Nationalbewegung rückten. Er zeigte zahlreiche Aktien und andere Wertpapiere, wobei er nicht nur auf deren dokumentarische sowie wirtschaftshistorische Bedeutung hinwies, sondern auch auf deren regionalspezifische grafische und ästhetische Gestaltung.

Hellmar Wester war seit den 1980er Jahren Schloss Horneck, der Siebenbürgischen Bibliothek mit Archiv und später der Stiftung Siebenbürgische Bibliothek eng verbunden. Schon früh setzte er sich als stellvertretender Vorsitzender der Landesgruppe Nordrhein-Westfalen öffentlich für den Erhalt des Siebenbürgischen Dokumentationszentrums in Gundelsheim – späteres Siebenbürgen-Institut – im Rahmen einer Stiftung ein. Aber nicht nur finanziell (so floss u. a. ein Teil seines Preisgeldes der Stiftung Siebenbürgische Bibliothek zu) und mit Sachgegenständen half Hellmar Wester aus. Er, der die größte Sammlung zu historischen Wertpapieren zu Siebenbürgen zusammengetragen hatte, überließ diese 2018 aufgrund eines Schenkungsvertrags dem AKSL für das Siebenbürgen-Institut. Mit Mitteln der Freunde und Förderer der Siebenbürgischen Bibliothek e. V. konnten bereits weitere Stücke mit Hilfe seiner Expertise ergänzt werden. Hellmar Wester plante, diese Sammlung vor Ort zu erschließen und zu dokumentieren. In einem weiteren Schritt sollte sie digitalisiert und öffentlich zugänglich gemacht werden. In diesem Zusammenhang strebte Hellmar Wester eine größere Buchpublikation an. Dazu ist es leider nicht mehr gekommen. Er starb am 16. September 2023 im Alter von 69 Jahren in Euskirchen.

Die Stiftung Siebenbürgische Bibliothek und das Siebenbürgen-Institut in Gundelsheim am Neckar trauern um einen engagierten Förderer und Forscher. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.

Dr. Ingrid Schiel

Schlagwörter: Kultur, Nachruf, Wertpapiere, Sammlung, Kronstadt, AKSL

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