31. Januar 2024

Passionierter Forscher der Karpaten-Alpen-Geologie: Hans-Georg Kräutner zum Neunzigsten

Hans-Georg Kräutner ist Geologe, Petrologe, Lagerstättenkundler, Tektoniker und Kartograf. Ein allseitiger Geowissenschaftler, Wissenschaftsorganisator und Herausgeber, der ein internationales Netzwerk aufgebaut hat, das weit über die Landesgrenzen Rumäniens nachfolgenden Geowissenschaftler neue Wege aufgezeichnet hat. Hans-Georg Kräutner, der am 31. Januar sein 90. Lebensjahr erfüllt, ist ein würdiger Nachfolger seines Vaters, des Geologen Theodor Kräutner, auf dessen Leben im Folgenden auch eingegangen wird.
Hans-Georg Kräutner, 2004 ...
Hans-Georg Kräutner, 2004
Europa und mittendrin Siebenbürgen erlebt im 20. Jahrhundert eine stürmische Epoche. Es war ein Jahrhundert kriegerischer Konflikte, doch auch der Wissenschaften. Am Himmel brauten sich dunkle Wolken zusammen, die Vorboten des Ersten Weltkriegs, und damit auch das Ende der „ruhigen“ Zeiten der Doppelmonarchie. Bereits nach dem Ausgleich von 1867 deuteten sich auch für Siebenbürgen gravierende Veränderungen an. Der Ausgang des Ersten Weltkriegs schafft eine völlig neue Situation und einen neuen historischen Rahmen. 1920 wird Siebenbürgen durch den Vertrag von Trianon in den rumänischen Staat eingegliedert.

Der Familie Kräutner, in die die Eltern des Jubilars geboren wurden, gehörten bekannte Persönlichkeiten Siebenbürgens der damaligen Zeit an. Vater Theodor Kräutner, geboren 1899 war Sohn des evangelischen Pfarrers aus Baaßen und Lehrer an der Bürgerschule in Schäßburg. Die Mutter, Erna Kräutner, war die Tochter des Bistritzer Juristen und Stadtrichters Friedrich Simbriger.

Nach dem frühen Verlust des Vaters siedelt die Familie 1900 nach Bistritz um. Hier besucht Theodor Kräutner die Schule, zunächst die Volksschule und anschließend das Evangelischen Obergymnasium, das er mit einer ­vorgezogenen „Kriegs-Matura“ abschließt. Unmittelbar danach leistet er für zwei Jahre Kriegsdienst in der k.u.k. Armee an der französischen Front. Er gerät in amerikanisch-französische Kriegsgefangenschaft in Savenay bei Nantes. Eine Bescheinigung des Konsistoriums der Evangelischen Landeskirche befreit ihn von weiterem Militärdienst mit der Begründung des Theologiestudiums.

In den Jahren 1919 bis 1923 studierte er in Wien an der Philosophischen Fakultät (Geologie) und an der Evangelisch-theologischen Fakultät. Das naturwissenschaftliche Studium schließt er mit dem Titel Dr. phil. ab. 1923 besteht er in Hermannstadt die Pfarramtsprüfung.

1924 wird er als Geologe am Geologischen Landesamt (Inst. Geologic al României) angestellt und behält diese Position, mehrfach ausgezeichnet, bis zu seiner Verhaftung (Dezember 1944) und anschließenden Deportation nach Russland (1945). Kurzzeitig unterrichtet Kräutner am Gymnasium in Bistritz (1923) und nebenberuflich an einem Gymnasium in Bukarest.

1932 heiratet er Erna Simbriger in Bistritz. Der Ehe entspringen zwei Kinder, Hans-Georg, der Jubilar und Gertraut, verh. Lexen.

Kräutner überlebt die Russlanddeportation nicht. Wenige Tage nach seiner Ankunft in Sighet stirbt er, schwer erkrankt, am 11. Dezember 1945 in einem Krankenhaus in Großwardein (Oradea).

Besondere Bedeutung erlangen seine Arbeiten über das kristalline Massiv von Rodna (Herzynische Deckentektonik), deren Ergebnisse zum großen Teil für das gesamte Kristallin der Ostkarpaten Geltung haben. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Erforschung des Mesozoikums und die Erkennung der Deckenstruktur im nördlichen Siebenbürgischen Westgebirge (M. Apuseni).

Hans-Georg Kräutner kommt am 31. Januar 1934 in Bukarest zur Welt. Er verbringt eine glückliche Kindheit in Bukarest und bei den Großeltern in Bistritz oder auf deren Sommersitz am Hahnenberg. Schon in frühen Jahren nimmt ihn der Vater mit ins Gelände, wohl auch in der Absicht, ihm die Natur- und Gebirgslandschaft der Karpaten näher zu bringen. Der Umschwung in Rumänien sowie der frühe Tod des Vaters setzen diesen schönen Zeiten ein jähes Ende.

In den ersten Schuljahren besucht er die deutsche Volksschule in Bukarest, muss aber dann, bedingt durch die eingetretenen Veränderungen, an ein rumänisches Gymnasium wechseln, das er 1952 mit dem Bakkalaureat (Abitur) abschließt.

Musisch begabt – er spielte Cello in verschiedenen Orchestern, u.a. im Orchester des Bukarester Konservatoriums unter dem Dirigat von George Georgescu –, entscheidet sich Hans-Georg in die Fußstapfen des Vaters zu treten. Es sind entbehrungsreiche Jahre, die auf die mittellose Witwe und die Kinder zukommen. Arbeitskollegen des Vaters verhalfen der Mutter zu einer Arbeitsstelle am Geologischen Institut in Bukarest. Unter den allgemein bekannten schwierigen Verhältnissen der damaligen Zeit gelingt Hans-Georg 1952 die Aufnahmeprüfung an der Fakultät für Geologie-Geographie der Bukarester Universität. Er schließt das Studium 1957 als Diplom Geologe mit der Fachausrichtung Mineralogie-Petrographie ab.
Exkursion 1996 zur 90-jährigen Feier des ...
Exkursion 1996 zur 90-jährigen Feier des Geologischen Instituts von Rumänien, Lagebesprechung am St. Annen-See (Ostkarpaten), dem einzigen vulkanischen Kratersee der rumänischen Karpaten. Hans-Georg Kräutner, 2. v. rechts im gelben Hemd. Foto: Uwe Kasper
Der Notstand der Nachkriegszeit ist in der Jugend merklich zu spüren. Die Lage verbessert sich nach dem Einstieg in das Berufsleben und mit der Gründung einer Familie. Als junger Geologe heiratet Kräutner 1958 seine Studienkollegin Florentina Nicolescu, 1967 kommt Tochter Brigitte zur Welt.

Forschungsaufenthalte an den Universitäten Lüttich und RWTH Aachen (1970, als Humboldt-Stipendiat) nutzt Kräutner intensiv zu seiner akademischen Fortbildung. Im gleichen Jahr promoviert er an der Bukarester Universität zum Dr. rer. nat. 1974 folgt ein weiterer Aufenthalt an der Universität zu Padua.

Nach einem dreijährigen Intermezzo an einer Prospektionsfirma (Intreprinderea de Prospecţiuni și Laboratoare) wird Kräutner an das Geologische Landesamt (Institutul Geologic, Name wird öfter geändert) berufen. Hier (bis 1974) und anschließend am Institut für Geologie und Geophysik beginnt eine steile berufliche Karriere, die erst 1992 mit der Aussiedlung nach Deutschland ein Ende findet.

Als beruflicher Vorteil erweist sich, dass Hans-Georg nicht der Nomenklatura angehörte. Da ihm somit führende administrative Stellungen verschlossen bleiben, konnte er sich voll geologischen Forschungsthemen widmen. Nach Erwerb des nötigen Wissens und Erfahrung gewann er das Vertrauen der leitenden Stellen im Institut und im Ministerium. Das ermöglichte ihm auf indirektem Weg, Forschungsthemen zu bestimmen und die Planung vieler Bohr- und Bergbauvorhaben in den Ost- und Südkarpaten zu beeinflussen und so an der Klärung des geologischen Baus (Tektonik) der Ost- und Südkarpaten mitzuwirken.

Gute Fremdsprachenkenntnisse erleichterten Hans-Georg die Teilnahme an mehreren internationalen Projekten und Gremien. Seine länderübergreifende Tätigkeit wurde auch dadurch gefördert, dass in späteren Jahren seine Mitarbeit persönlich aus dem Ausland angefordert und finanziert wurde.

Schwerpunkt seiner langjährigen Aktivitäten ist die mineralogische, petrographische, lithostratigraphische, strukturelle und geochemische Erforschung der kristallinen Schiefer der Karpaten und assoziierter Lagerstätten sowie die damit verbundene geologische Kartierung. Durch Projektleitungen und Vertretungen konnte er eine Stellung erringen, die ihm die ausschließlich wissenschaftliche Leitung der Arbeiten in seinem Fachbereich ermöglichte.

In den Jahren 1961-68 arbeitet Kräutner im Poiana Ruscă Massiv über die dort vorkommenden Eisenerze, die auch das Thema seiner Dissertation waren. In der Folge wird er zu Projekten herangezogen, die die Erkundung der Erze in den metamorphen Gesteinen der Ost- und Südkarpaten zum Ziel haben. Ökonomisch von Bedeutung sind Arbeiten, die zu Neuentdeckungen von Eisenerzen in der Poiana Ruscă und von Kupfer-Zink-Blei-Sulfiderzen in den Ostkarpaten geführt haben. Besonderes Interesse hatte er in all den Jahren an der geologischen Kartierung und Gliederung der kristallinen Schiefer in den nördlichen und südlichen Ostkarpaten.

Auf wissenschaftliche Kontakte mit dem Ausland legte Hans-Georg Kräutner großen Wert, obwohl diese unter den kommunistischen Einschränkungen nicht leicht zu erreichen waren. Es war ihm aber immer wichtig, bei der Entwicklung der weltweiten geologischen Forschung am Laufenden zu bleiben und sein Verständnis für geologische Werdegänge durch eigene Einsicht zu erweitern. Er konnte so Teile des alpidischen Gebirgssystems aus Europa und Kleinasien in den Betischen und Katalonischen Gebirgszügen aus Spanien, in den französischen Pyrenäen, den Schweizer und österreichischen Alpen, in den slowakischen Westkarpaten, dem Pannonischen Becken in Ungarn, im Balkan-Gebirge Bulgariens, in den Südkarpaten und Dinariden Serbiens und Mazedoniens, in den alpidischen Strukturen auf Sizilien, Kalabrien, Kreta und in Anatolien besichtigen. Dazu kamen die Varistischen und älteren Strukturen aus dem Vorland der Alpen-Karpaten in den Ardennen, im Rheinischen Schiefergebirge, Harz, Sächsischem Erzgebirge und Böhmischen Massiv sowie im Kaukasus, in der Russischen Plattform und im östlichen Altai-Gebirge in Tadschikistan. Während eines Auftrags in Afrika konnte er einige Erzlagerstätten in Gabun besichtigen.

Nach 1970 werden Kräutner zunehmend internationale Forschungsthemen anvertraut, u.a. auch im Rahmen der UNESCO. Er vertritt bis 1992 Rumänien in mehreren internationalen Projekten, die den gesamten alpinen Raum betreffen. Anerkannt ist auch die Tätigkeit Kräutners als Redaktionsmitglied und Mitherausgeber rumänischer und internationaler Zeitschriften (u.a. 1981-1990 „Geologica Carpathica“ in Preßburg, 1990-1992 Chief editor „Romanian Journal of Mineral Deposits“ in Bukarest). Seit 1970 ist er Mitglied der internationalen „Gesellschaft für Lagerstättenforschung“ (SGA) und seit 1985 eines Fachausschusses der „International Union of Geological Sciences“ (IUGS). Die Liste der Fachpublikationen umfasst weit über 100 Titel und zahlreiche geologische und metallogenetische Karten. Unter anderem hat er an der Erstellung der metallogenetischen Karte Europas und der Eisenerz-Karte Europas mitgewirkt.

Beruflich geadelt wird Kräutner bereits 1975 durch den „Grigore Cobălcescu“-Preis, die höchste Auszeichnung der Rumänischen Akademie für eine wissenschaftliche Publikation. Die Aufnahme in die Akademie, die krönende Anerkennung seiner wissenschaftlichen Leistungen bleibt ihm jedoch, durch die Ausreise nach Deutschland leider verwehrt.

1996 war die Feier zum 90-jährigen Bestehen des Inst. Geologic al României (IGR) ein besonderes Ereignis, an dem zahlreiche Gäste aus dem In- und Ausland anwesend waren, so auch Kräutner, der die Leitung einer Exkusion ins Syenitmassiv von Ditrău (Ostkarpaten), übernommen hatte.

Anfang der 1990er Jahre werden die Reisemöglichkeiten immer beschwerlicher. Auslandsaufenthalte waren nur noch zu jenen Veranstaltungen möglich, zu denen er persönlich eingeladen wurde. Als Konsequenz dieser Situation entscheidet sich die Familie Kräutner schweren Herzens im September 1992 zur Aussiedlung in die Bundesrepublik. In Rosenheim, wo seit 1980 die Mutter und seit 1990 Tochter Brigitte ihren Wohnsitz haben, werden sie sehnsüchtig erwartet.

Der Einstieg ins Berufsleben gelingt auch in Deutschland. Von 1993 bis zum Rentenantritt 1996 ist Kräutner wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Allgemeine und Angewandte Geologie der Ludwig-Maximilian-Universität in München. Zunächst befasste er sich hier anhand von Satellitenbildern mit der geologischen Kartierung der östlichen Ägyptischen Wüste und mit den hier vorkommenden Goldlagerstätten der Pharaonen. Zusätzlich bearbeitete er ein Projekt für die Goldlagerstätte Freda-Rebecca aus Zimbabwe so wie ein Konservierungskonzept für das Münster zu Thann. In dieser Zeit hält er Vorträge an Hochschulinstituten in Köln, Leoben, Salzburg und im Rahmen des AKSL, Sektion Naturwissenschaften. Gerne erinnern sich die Kölner Studenten an den interessanten und sehr aktuellen Kolloquiumsvortrag „Die Geologische Entwicklung der Ost- und Südkarpaten. Ein Überblick“, den Hans-Georg, meiner Einladung folgend, am Geologischen Institut der Uni Köln (1993) gehalten hat. Der Vortrag war ein willkommener Beitrag zur Vorbereitung einer großen Karpatenexkursion der Kölner Studenten, die noch im selben Jahr stattfand.

Sein Rat war und ist nach wie vor gefragt, ebenso seine Mitarbeit an verschiedenen Projekten, unter anderen an einer neuen geologischen Karte der Karpaten-Balkan-Verbindung, die in Belgrad veröffentlicht wurde.

Ein schwerer Schicksalsschlag ist der Tod seiner Frau Anfang 2004. Der Versuch, an der Seite seiner alten Bukarester Jugendfreundin ein neues Leben aufzubauen, gelingt. Die beiden unternehmen weitangelegte Reisen durch die Welt und pflegen die Kontakte zu dem Freundeskreis aus den Jahren in Rumänien. Familie und Freunde bleiben ihm weiterhin eine wertvolle Stütze.

Hans-Georg Kräutner kann auf ein erfülltes Leben zurückblicken. Für die Zukunft wünschen Freunde und Kollegen eine ruhige, gute und abwechslungsreiche Zeit. Glückauf, lieber Hans-Georg!

Dr. Haino Uwe Kasper

Schlagwörter: Porträt, Geburtstag, Geologe

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