14. Februar 2013

Honterusschule, Ural und Amur: Der Pädagoge Wilfried Bielz wird 80

Im September 1955 besuchte Bundeskanzler Konrad Adenauer an der Spitze einer großen Regierungsdelegation Moskau. Der Besuch markierte den Beginn eines riesigen Aufbauwerkes der Aussöhnung zwischen den beiden Völkern, deren Soldaten sich im Zweiten Weltkrieg erbittert bekämpft hatten. In den folgenden Jahren trugen auf beiden Seiten Techniker, Wissenschaftler, Künstler, Lehrer dazu bei, dass aus Feinden wieder Partner und auch Freunde wurden. Der siebenbürgisch-sächsische Pädagoge Wilfried Bielz, Gymnasiallehrer im Rheinland, war im Auftrag des Vereins für deutsche Kulturbeziehungen im Ausland (VDA) und der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) als ehrenamtlicher Mitarbeiter im Laufe von zehn Jahren an mehreren Projekten dieser Institutionen in Russland beteiligt. Ihm als einzigem Siebenbürger Sachsen, der im Südural, in Sibirien und dem fernen Amurgebiet zur Pflege der deutschen Sprache und Kultur effektiv beigetragen hat, ist dieser Beitrag gewidmet.
Wilfried Bielz wurde am 14. Februar 1933 in Hermannstadt als ältestes von fünf Kindern geboren. Die Grundschule besuchte Wilfried auf dem Hundsrücken. Gern erinnert er sich an die freundliche Lehrer-Schüler-Beziehung, an die hervorragenden Grundschullehrer Ungar, Ohsam, Gutt und Ziegler. Als er 1948 auf die Bruckenthalschule gehen sollte, waren im Zuge einer Schulreform die meisten deutschen Gymnasien aufgelöst worden. Durch Zufall erfuhr Wilfrieds Vater, in einer „Schlange“ stehend, dass im 90 km entfernten Schäßburg eine deutsche pädagogische Schule gegründet worden war, an der er die Aufnahmeprüfung dann auch bestand. Hier erschlossen sich ihm neue Horizonte der Bildung, Erziehung und des Gemeinschaftslebens. Seine Lieblingslehrer waren Dr. Eckhard Hügel und Dr. Richard Lang. Die Komponistenstunden seines ehemaligen Musiklehrers aus Hermannstadt, Ernst Irtel, begeisterten auch ihn, so wie viele seiner Klassenkameraden.

Wilfried Bielz. ...
Wilfried Bielz.
Mit 19 Jahren verließ er Schäßburg. Im Gepäck hatte er neben seinem Lehrerdiplom praktische Erfahrungen aus dem Pädagogikunterricht mitgenommen und Wege kennen gelernt, wie man Schulkinder in der Klasse anregt und motiviert. Das hat ihn geprägt und seinen späteren Weg als Gymnasiallehrer geebnet. Ein „goldenes Pfand" durfte er aus dieser Zeit auch mitnehmen: die zahlreichen Freundschaften, die er mit seinen Kameraden und Kameradinnen geschlossen und die er ein Leben lang gepflegt und gehegt hat. Diese Freundschaften sind bis heute eines seiner behütetsten Güter geblieben. Nach einem Jahr Lehrertätigkeit in Siebenbürgen (Haschagen) zog es ihn nach Bukarest, um ein Universitätsstudium aufzunehmen. Viel verdankt Wilfried Bielz seinem Professor Tudor Vianu und seiner aus Siebenbürgen stammenden damaligen Assistentin Grete Klaster-Ungureanu.

1958 kam der frischgebackene Hochschulabsolvent nach Kronstadt an die traditionsreiche Honterusschule, an der er 16 Jahre unterrichten sollte. Wilfried Bielz empfindet dieses Gymnasium als seine wichtigste Wirkungsstätte. In den Klassen 9-12 unterrichtete er Deutsch mit dem Schwerpunkt Literaturgeschichte. Er betreute Literaturkreise und nahm mit seinen Schülern an vielen Olympiaden teil. Sein ehemaliger Schüler Frieder Schuller erinnert sich: „Professor Bielz gestaltete die wöchentlichen Deutschstunden zum spannenden Kunstgespräch, ja er steigerte sie oft zum poetischen Hochgenuss. Unser Deutschlehrer ließ uns die allgegenwärtige Zensur vergessen; was schön, literarisch ausgefallen und auch lesbar-süffig war, konnte vor der ganzen Klasse zum Thema erhoben werden. Wilfried Bielz gelang es, uns die Literatur als möglichen, ja unverzichtbaren Wegbegleiter mitzugeben."

In Kronstadt heiratete Wilfried seine erste Frau Eva, geb. Tritsch. Die gemeinsame Tochter Karin wurde 1960 geboren. Die heutige Innenarchitektin, die in Leipzig lebt, schätzt ihre 14 Kronstädter Jahre als wertvolle Grundlage für ihr späteres Leben.

1974 kam dann eine große Zäsur. Die Familie wanderte nach Deutschland aus. Am Rhein-Sieg-Gymnasium in Sankt Augustin wurde er Gymnasiallehrer und das für 18 Jahre.

1991 heiratete Wilfried die Kronstädterin Sigrun, geb. Klein, Mathe- und Physiklehrerin an einer Schule in Wipperfürth. Das Ehepaar wohnt auch heute noch im Bergischen Land und erfreut sich an der Schönheit der ländlichen, waldreichen Gegend. Seine Frau Sigrun war es auch, die ihm zu seinem, vielleicht spannendsten, aber bestimmt exotischen Abschnitt seines Lehrerdaseins verholfen hat: Wilfried ging ehrenamtlich nach Russland und sollte dort zehn Jahre lang, bis zu drei Monaten jährlich wirken. Er fasste den Entschluss, sich für den Deutschunterricht in Russland zu engagieren. Planung und Koordination übernahmen der Verein für Deutsche Kulturbeziehungen im Ausland (VDA), das Goethe-Institut und die damalige Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ).

Wilfried Bielz arbeitete an Gymnasien, Universitäten und deutschen Kulturzentren, um dem Deutschunterricht Impulse zu geben, den dortigen Lehrern Schützenhilfe zu leisten sowie Schüler und Studenten mit der deutschen Sprache und Literatur vertrauter zu machen. Von Siebenbürgen und dem Rheinland also nach Russland. Die Unterschiede waren gewaltig. Riesige Entfernungen, unermessliche Landschaften, mehrere Klima- und Zeitzonen und dazu ein buntes Völkergemisch – so präsentierte sich Russland dem deutschen Mitarbeiter. Wilfrieds Weg führte zuerst in den Ural, in die Städte Tscheljabinsk, Miass, Troizk und Slatoust. Dann ging es weiter Richtung Baikalsee, nach Irkutsk, in die sibirische Metropole. Wilfrieds Seminarteilnehmer waren neben Russen auch Baschkiren, Tataren, Buriaten, Mari und Tschuwaschen, russische Juden und nur eine Russlanddeutsche. Die tatarischen Schüler redeten Bielz mit „Effendi" (Herr) an, den Titel „Genosse" gab es nicht mehr.

Geographische Endstation auf dieser langen Reise war die Stadt Blagoweschtschensk am Amur, an der Grenze zu China, ca. 6000 km Luftlinie von Moskau entfernt. Die Hochschuldozentin Elena Iwaschtschik aus Blagoweschtschensk erinnert sich: „Er hat uns, den Dozenten des Lehrstuhls Deutsch als Fremdsprache, methodische Hinweise gegeben, sein Deutschunterricht förderte phonetische, lexikalische und grammatische Fertigkeiten der russischen Germanisten, ihre Kompetenz im Sprechen, Hören, Lesen und Schreiben. Die Dozenten und Studenten sind Wilfried Bielz aber nicht nur für seine fachlichen Leistungen, sondern auch für seine menschliche Güte dankbar; er war immer rücksichtsvoll und zuvorkommend, ständig bereit, Hilfe zu leisten. Hochmut war ihm fremd und er war zum Umgang mit ausländischen Kollegen und anderen Menschen die ideale Person."

„Wahrhaft glücklich werden die sein, die den Weg zum Dienst am Anderen gesucht und gefunden haben". Dieses Zitat von Albert Schweitzer gilt sicherlich auch für Wilfried Bielz. Lieber Wilfried, eine große Gratulantenschar Siebenbürger, Rheinländer und alle Ehemaligen vom Ural bis zum Amur wünschen Dir Gesundheit und noch viele schöne Jahre zusammen mit Sigrun.

Karl Günter Reich

Schlagwörter: Pädagoge, Schäßburg, Hermannstadt, Kronstadt

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Neueste Kommentare

  • 14.02.2013, 13:50 Uhr von pedimed: Die Vielvölkergemeinschaft in Siebenbürgen war wohl die Eigenschaft die ihm diese in Russland gut ... [weiter]

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