1. Februar 2002

Ein Heimatbuch, das Akzente setzt

Michael Konnerth: Honigberg. Eine siebenbürgische Gemeinde im Burzenland. Gundelsheim 2001, 1092 Seiten, 673 Abbildungen (davon 142 Farbbilder, 34 Karten, 10 Luftbilder, 72 Gebäudegrundrisse, -aufrisse und -schnitte, 122 Tabellen), 78 Euro, zuzüglich 7 Euro Versandspesen. Bestellungen bei Anton Madlo, Schafgasse 3, 71032 Böblingen, Telefon: (0 70 31) 22 39 42.
Vier Jahre nachdem der aus Abtsdorf bei Agnetheln stammende, seit 1989 als Historiker in Bad Rappenau tätige Michael Konnerth für die Ortsmonographie seiner Geburtsgemeinde den Landespreis für Heimatforschung des Landes Baden-Württemberg erhalten hat, ist im November 2001 ein noch "schwergewichtigeres" Heimatbuch aus seiner Feder erschienen. Es ist der Großgemeinde Honigberg (Harman, [Szász]Hermány) gewidmet, in der Konnerth von 1961 bis 1983 zunächst als Lehrer für Geographie und Geschichte und bald auch als Schulleiter tätig war. Schon damals hat er begonnen, Material für eine Ortsgeschichte zu sammeln, Material, das ohne seinen Einsatz unwiederbringlich verloren gegangen wäre. Zudem konnte er zwei ältere Arbeiten über Honigberg auswerten und eine ganze Reihe damals noch lebender Honigberger Persönlichkeiten befragen. Ohne diese Vorarbeiten wäre es für einen Einzelnen nicht möglich gewesen, eine solch umfangreiche Monographie zu verfassen. Bereits 1968 gab Konnerth eine auf Rumänisch geschriebene Abhandlung über diese Gemeinde heraus, aus der seine Frau stammt, in der seine Söhne geboren wurden und die auch ihm zur Heimat wurde.
Die Kirchenburg Honigberg. Luftbildaufnahme: Georg Gerster
Die Kirchenburg Honigberg. Luftbildaufnahme: Georg Gerster

Wie das "Abtsdorf"-Buch so zeichnet sich auch das "Honigberg"-Buch durch eine klare und konsequente Gliederung aus. Begrüßenswert sind die Zusammenfassungen am Ende der 14 Kapitel, manchmal auch am Ende eines größeren Abschnittes. Im 1. Kapitel (Einleitung, S. 19-24) geht der Verfasser kritisch auf den Stand der Forschung und die Quellenlage ein, anschließend im 2. Kapitel (S. 25-110) ausführlich auf die Naturbedingungen, auf die politische und kirchliche Verwaltungszugehörigkeit sowie auf die Struktur der 6.034 ha großen Gemarkung (Flurnamensverzeichnis S. 78-90).
Im 3. Kapitel (S. 110-269) widmet sich Michael Konnerth der bis ins frühe 13. Jahrhundert zurück reichenden Geschichte Honigbergs im Rahmen der Gesamtgeschichte Siebenbürgens und des Burzenlandes. Der 1240 in einer Schenkungsurkunde an das Zisterzienserkloster Kerz erstmals als "mons Mellis" (= Honigberg) erwähnte Ort wurde durch ca. 30 deutsche Siedlerfamilien gegründet, als 1211-1225 der Deutsche Ritterorden von König Andreas II. mit dem nur dünn besiedelten Burzenland belehnt worden war. (Bis 1838 waren von ca. 2 100 Bewohnern nur noch 64 Prozent Siebenbürger Sachsen, da sich seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert Rumänen und Zigeuner ansiedelten.) Honigberg hatte immer wieder unter den Einfällen fremder Kriegsscharen zu leiden, seien es die Mongolen und Tataren (1241/42 bis 1335) oder ab 1395 die Türken. Auch in der Zeit relativer Selbständigkeit unter türkischer Oberhoheit (1526 - 1688) wurde der Ort mehrfach niedergebrannt oder ausgeplündert. Allerdings wurde die mächtige Honigberger Kirchenburg erstmals Ende 1848 in den Wirren der Revolution eingenommen.
Die Österreicher - zwischen 1688 und 1867 gehörte Siebenbürgen zur Habsburger Monarchie - ließen ab 1698 mehrere Konskriptionen durchführen, in denen die steuerpflichtigen Familien erfasst wurden. Konnerth hat die im Ungarischen Nationalarchiv in Budapest aufbewahrten Steuerverzeichnisse und "Ortsbeschreibungen" gewissenhaft ausgewertet und ein eindrucksvolles Bild der Wirtschaft Honigbergs und der anderen sächsischen Gemeinden des Burzenlandes im 18. Jahrhundert zeichnen können (S. 148-177). Ihren privilegierten Status verloren die Honigberger wie alle Siebenbürger Sachsen, als Siebenbürgen ab 1867 zum ungarischen Teil des Kaiserreichs gehörte. Allerdings war es auch eine Zeit wirtschaftlichen Aufschwungs: Am Vorabend des Ersten Weltkrieges nahm Honigberg mit hoher Wirtschaftskraft und gut ausgebauter Infrastruktur eine Spitzenstellung unter den sächsischen Gemeinden in Siebenbürgen ein.
Bei der Beschreibung der Ereignisse in Honigberg in den Jahren des Ersten Weltkrieges greift Konnerth u.a. auf die anschaulichen und lesenswerten Berichte von zwei Zeitzeugen zurück: die des Unteroffiziers und späteren Honigberger Vizerichters und Kirchenkurators Michael Thiess sowie die des späteren Lehrers Michael Farsch. Nach Kriegsbeginn kämpften zahlreiche Honigberger an verschiedenen Fronten, und Honigberg selbst wurde durch den Kriegseintritt Rumäniens Kriegsschauplatz. Insgesamt gab es in Honigberg unter den Siebenbürger Sachsen 55 Kriegsopfer, unter den Rumänen und Zigeunern 50.
Seit 1918 gehören Siebenbürgen und Honigberg zum Königreich Rumänien. Mit der neuen Zugehörigkeit gingen tief greifende wirtschaftliche und politische Veränderungen einher: Mit der Bodenreform von 1921 verlor die Evangelische Kirchengemeinde Honigberg 84 Prozent ihres Grundbesitzes, und 1928 ging die politische Führung der Gemeinde in rumänische Hände über. Zwischen 1934 und 1939 erlebte Honigberg einen wirtschaftlichen Aufschwung, der durch den Zweiten Weltkrieg, in dem Rumänien bis zum Spätsommer 1944 auf deutscher Seite kämpfte, ein jähes Ende fand. Mit einem Abschnitt über "Honigberg zur Zeit des Zweiten Weltkrieges (1939 - 1945)" - objektiv und lesenswert werden die Zeit der Deutschen Volksgruppe in Honigberg und die Rekrutierung zur Waffen-SS geschildert - schließt Michael Konnerth seinen historischen Überblick zunächst ab.
Die Nachkriegsgeschichte, die mit dem Frontwechsel Rumäniens im August 1944 beginnt, setzt Konnerth im 11. Kapitel (S. 898-988) fort. Hier stützt sich der Autor auf Berichte von Zeitzeugen und auf eigenes Erleben. Ausführlich schildert er Entrechtung, Verfolgung, Zwangsarbeit, Enteignung, Zwangsumsiedlung und die Verschleppung nach Russland. Aber auch Positives wird nicht vergessen. Langsam ging es wieder etwas aufwärts, auch innerhalb des nun sozialistischen Staates Rumänien. Sozialistische Wirtschaftseinheiten - Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft, Betrieb für die Mechanisierung der Landwirtschaft, Landwirtschaftlicher Staatsbetrieb und Teppichknüpferei - ersetzten die einstigen Privatbetriebe. Das Bauerndorf wandelte sich zur Wohngemeinde im Umfeld von Kronstadt. Es kam zu Verbesserungen im Gesundheitswesen. Die deutsche Kulturarbeit konnte wieder gefördert werden - es gab eine Bläserformation, Chor, Jugendtanz- und Theatergruppe -, und im Feld- und Hallenhandball (Peter Streitferdt, Gerhard Schwab, Anna Stark) wurde ganz oben mitgemischt.
Die Auswanderung hat Michael Konnerth, der 1983 in die Bundesrepublik übersiedelte, selbst miterlebt und kann sie daher im Kapitel 12 (S. 988-1012) hautnah beschreiben. Die Familienzusammenführung wuchs zur Massenauswanderung an, so dass gegenwärtig nur noch 136 Siebenbürger Sachsen in Honigberg leben (1941 waren es 1 358). Wie die umfangreiche Adressenliste im Anhang (S. 1 053-1 091) zeigt, leben die ausgesiedelten Landsleute heute verstreut in der Bundesrepublik und in aller Welt. Sie haben sich inzwischen in ihrer neuen Heimat integriert, halten aber noch Kontakt zueinander u.a. in der Honigberger Nachbarschaft.
Ein ganz wesentlicher Bestandteil der wohlgelungenen Ortsmonographie von Honigberg sind die Kapitel 4-10, die sich insbesondere auf das Honigberg der Zeit vor 1944 beziehen. Im 4. Kapitel (S. 273-398) wird einerseits die Gemeinde vorgestellt: Ortsanlage, Entwicklung der Siedlung, traditionelle Gehöft- und Hausformen, Entstehung, Nutzung und Einrichtung des Honigberger Bauernhauses. Andererseits wird ein detaillierter, mit Tabellen und Diagrammen gespickter Überblick über die Einwohner von Honigberg - Sachsen, Rumänen und Zigeuner - im Zeitraum zwischen 1510 und 1997 gegeben. Im 5. Kapitel (S. 398-426) wendet sich Konnerth dem Thema "Wie Honigberg regiert wurde" zu. Er behandelt hier den Gemeinderat (Altschaft) sowie die Gemeindeämter - Hann/Richter, Vizerichter, Geschworene und Gemeindeschreiber - und beschreibt die Honigberger Rathäuser, Gemeindewappen, Gemeindesiegel sowie Viehbrandzeichen.
Das 6. Kapitel (S. 426-521) ist den Lebensgrundlagen und der Arbeitswelt gewidmet, in deren Mittelpunkt die Landwirtschaft steht. Vorgestellt werden die landwirtschaftlichen Vereine und Genossenschaften. Ein gesonderter Abschnitt gilt dem Wald und seiner Nutzung in Honigberg - Gemeindewald wie auswärtiger Waldbesitz der Gemeinde - wobei auch Jagd und Fischerei abgehandelt werden. Ein weiterer Abschnitt beleuchtet Handwerksberufe und Handwerksmeister, Dorfläden und Händler, Schankwirtschaften und Mühlen. Schließlich wird die Arbeit in Feld, Hof und Haus erörtert: Hanf- und Flachsanbau sowie deren Bearbeitung, Maisanbau und Ernte, Schweineschlachten, Spinnen und Weben, Brotbacken etc.
Das 7. Kapitel (S. 521-562) ist der Honigberger Mundart - das Hounschbarjeresch (mit Beispielen) - gewidmet und es werden die in Honigberg auftretenden Familien-/Rufnamen aufgeführt und erläutert, während die Honigberger Tracht, durch ansprechende Farbaufnahmen illustriert, im 8. Kapitel (S. 562-596) vorgestellt wird.
Kirche und Schule - die beiden Eckpfeiler des geistigen Lebens einer Gemeinde - beleuchtet Konnerth im 9. Kapitel (S. 596-840). Zunächst beschreibt und illustriert der Verfasser die beeindruckende Honigberger Kirchenburg, die Kirche selbst, Haus und Hof des evangelischen Pfarrers sowie Friedhof. Erst danach wendet er sich im Abschnitt "Kirchliches Leben" der Struktur der evangelischen Kirchengemeinde zu, schildert Gottesdienst und Gottesdienstbesuch und führt Pfarrer und Prediger auf. In gesonderten Abschnitten geht Konnerth auf Bruder- und Schwesterschaft, Nachbarschaften, kirchliche Vereine, Bläserformation und Kirchenchor sowie orthodoxe Kirche samt Friedhof ein. Nicht ganz so viel Platz widmet Konnert der Schule in Honigberg. Zunächst geht er auf die Lehrer ein, auf ihre Ausbildung und Besoldung, auf die Predigerlehrer und Rektoren. Dann wendet er sich Schulgebäuden und Lehrerwohnungen, Schülern und Unterricht, Fortbildungsschule und rumänischer Schule sowie Bewahranstalten und Kindergärten zu.
Im 10. Kapitel (S. 840-898) schließlich beschreibt Konnerth das Honigberger Brauchtum im Lebenszyklus (Geburt und Taufe, Konfirmation, Verlobung und Hochzeit sowie Tod und Begräbnis) wie auch im Jahreszyklus (Silvester und Neujahr, Fasching, Palmsonntag und Ostern, Erster Mai und Pfingsten, Schulfest, Muttertag, Erntedankfest und Reformationsfest, Heldengedenktag und Totensonntag, Advent und Weihnachten, festliche Bälle sowie Namenstage).
Während die bereits erwähnten Kapitel 11 und 12 sich mit der Nachkriegsgeschichte und der Auswanderung beschäftigen, werden im 13. Kapitel (S. 1012) alte Münzen, Maße und Gewichte aufgeführt. Das abschließende 14. Kapitel (S. 1013-1091) beinhaltet den umfangreichen Anhang: Zeittafel zur Geschichte Honigbergs, Tabellen- und Abbildungsverzeichnis, Quellen- und Literaturverzeichnis, Personen- und Ortsregister, Verzeichnis der Honigberger Hausnummern, Adressenverzeichnis der Honigberger in aller Welt.
Dank Michael Konnerth liegt ein beispielhaftes, sehr materialreiches und anschauliches Heimatbuch vor, das nicht nur für die jetzige Generation eine unverzichtbare Quelle zum Studium der Vergangenheit Siebenbürgens und speziell Honigbergs darstellt, sondern auch für die Zukunft eine Fundgrube und ein Nachschlagewerk von wesentlichem Wert darstellt. Darüber hinaus wird das vorliegende Buch zur Integration der ehemaligen Honigberger in ihrer neuen Heimat beitragen, indem es ihr Selbstbewusstsein stärkt und die Verbindung zwischen den Landsleuten in der Zerstreuung fördert.

Arnold Scheuerbrandt


(gedruckte Ausgabe: Siebenbürgische Zeitung, Folge 2 vom 31. Januar 2002, Seite 8)

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