17. Dezember 2001

Grundlegende Änderungen des Rentenrechts

Die Rentenreform 2001 tritt am 1. Januar 2002 in Kraft und bringt neue Einschränkungen, aber auch Verbesserungen. Durch das Altersvermögensergänzungsgesetz (AVmEG) hat der Gesetzgeber mit Wirkung vom 1. Januar 2002 zahlreiche Vorschriften im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung geändert. Der folgende Beitrag bietet einen Überblick über die Neuregelungen und zeigt möglichen Handlungs- und Entscheidungsbedarf auf.
Die Neuregelungen erfassen drei Kernbereiche: die anrechenbaren Zeiten sind erweitert worden, damit Lücken in Versicherungsverläufen geschlossen werden; kindesbezogene Leistungen werden erweitert, um die eigenständige Rentenversicherung der Frauen zu verbessern; letztlich wird das gesamte Hinterbliebenenrecht (einschränkend) reformiert und in diesem Bereich sind die Änderungen am weitreichendsten.

Änderung der anrechenbaren Zeiten

Anhebung der anrechenbaren Ausbildungszeiten auf acht Jahre. Bisher waren maximal drei Jahre an Ausbildungszeiten anrechenbar. Ab Inkrafttreten der Neuregelung werden insgesamt acht Jahre an Ausbildungszeiten als rentenrechtliche Zeit anerkannt, unabhängig davon, wann diese ab dem 17. Lebensjahr zurückgelegt wurden. Hiervon werden drei Jahre mit Entgeltpunkten bewertet. Die weiteren Zeiten schließen Lücken im Versicherungsverlauf und wirken sich für die Gesamtleistungsbewertung positiv aus. Auch zählen sie zur Erfüllung der Wartezeit von 35 Jahren für Renten an langjährige Versicherte. Hat jemand nach bisherigem Recht für Ausbildungszeiten, die wegen Überschreitens der Dreijahresgrenze nicht anrechenbar waren, freiwillige Beiträge nachgezahlt, so kann er nun eine Rückzahlung dieser Beiträge beantragen (§ 207 Abs. 3 Sozialgesetzbuch – SGB – VI).
Neue Anrechnungszeit wegen Krankheit und Neuregelungen zwischen dem 17. und 25. Lebensjahr: Zeiten einer Krankheit, die mindestens einen Kalendermonat angedauert haben (Feiertage und Samstage/Sonntage am Anfang/Ende des Monates zählen dazu), werden bei entsprechendem Nachweis als Anrechnungszeiten anerkannt – auch Krankheit im Ausland (z.B. in Rumänien). Der Nachweis kann durch ein Attest eines Arztes, einer Krankenkasse etc. erbracht werden. Eine „Unterbrechung“ einer versicherten Beschäftigung oder des Wehrdienstes ist für diese Zeit nicht erforderlich, sie wird also auch dann anerkannt, wenn der Betroffene vorher keinerlei solche Zeiten zurückgelegt hat. Diese Voraussetzung ist auch für Zeiten der Schwangerschaft oder der Arbeitslosigkeit bis zum 25. Lebensjahr weggefallen. Damit sind zukünftig auch Zeiten der Arbeitslosigkeit unmittelbar nach Beendigung der Schule anrechenbar. Die Arbeitslosigkeit kann z.B. durch Vorlage von Bewerbungsschreiben aus der Zeit belegt werden. Ab Vollendung des 25. Lebensjahres werden diese Zeiten (wie bisher) nur anerkannt, wenn unmittelbar davor eine versicherte Beschäftigung ausgeübt wurde.

Eigenständige Sicherung der Frauen

In § 70 Abs. 3a, § 55 Abs. 1 Satz 3, § 83 Abs. 1 des SGB VI in der Fassung des AVmEG wird für alle Frauen eine kindbezogene Höherbewertung von Pflichtbeiträgen für Zeiten ab 1. Januar 1992 geregelt. Für Zeiten davor wird die Rente nach Mindesteinkommen gemäß § 262 SGB VI fortgeführt. Auch ist die Möglichkeit der Gutschrift von Entgeltpunkten bei Mehrfacherziehung oder Mehrfachpflege geschaffen worden. Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschriften ist jedoch immer, dass insgesamt mindestens 25 Jahre an rentenrechtlichen Zeiten (§ 54 Abs. 1 SGB VI ohne neue Beitragszeiten gemäß § 55 Abs. 1 Satz 3 neue Fassung) erworben wurden. Beitragszeiten, die mit Zeiten der Kindererziehung oder Pflege zusammentreffen, werden nach der neuen Regelung um 50 Prozent angehoben, höchstens jedoch um 0,0278 Entgeltpunkte pro Monat. Bei Mehrfacherziehung erfolgt eine Gutschrift in dieser Höhe. Die Gesamtsumme der Entgeltpunkte (also für die eigene Beitragszeit, die Erhöhung und die Gutschrift) darf pro Monat 0,0833 Entgeltpunkte nicht überschreiten. Die vielfachen Möglichkeiten und Fallgestaltungen können in diesem Rahmen nicht dargestellt werden und erfordern eine eigene Prüfung.
Diese Änderungen der Zeiten gelten bei jedem Rentenbeginn ab 1. Januar 2002. Bei alten Renten und Neufeststellungen werden sie nicht angewandt (§§ 300, 306 SGB VI). Sofern jemand, für den die Änderungen vorteilhaft wären, bereits in Rente ist, muss geprüft werden, ob durch eine „Rentenumwandlung“ ein „neuer“ Rentenbeginn herbeigeführt werden kann.

Reform des Hinterbliebenenrentenrechtes

Die Neuerungen im Hinterbliebenenrecht gelten nur für Todesfälle ab 1. Januar 2002 wenn die Ehe nach dem 31. Dezember 2001 geschlossen wurde oder wenn die Ehe zwar vor dem 1. Januar 2002 geschlossen wurde, aber beide Ehegatten am 1. Januar 2002 das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten. Damit gilt das alte Hinterbliebenenrentenrecht weiter für alle Todesfälle vor dem 1. Januar 2002 und alle Ehen, in denen ein Partner vor dem 2. Januar 1962 geboren ist.
1) Die „kleine Witwenrente“ (vor Vollendung des 45. Lebensjahres ohne Erziehung eines Kindes) wird künftig nur noch für eine Übergangszeit von zwei Jahren gezahlt. Bisher gab es keine Zeitgrenze. Bei Vollendung des 45. Lebensjahres muss die „große Witwenrente“ ausdrücklich neu beantragt werden; eine „Erinnerung“ durch die Rentenversicherung oder gar Zahlung von Amts wegen ist nicht vorgesehen.
2) Die „große Witwenrente“ beträgt nur noch 55 % der Rente des Verstorbenen (bisher 60%).
3) Hinterbliebenenrenten nach „Kurzehen“ werden überhaupt nicht mehr gezahlt, außer es wird der Beleg erbracht, dass diese „Kurzehen“ nicht ausschließlich wegen des Erwerbes eines Hinterbliebenrentenanspruches geschlossen worden sind. Von einer „Kurzehe“ spricht man bei Ehen, die zum Todeszeitpunkt nicht länger als ein Jahr bestanden haben.
4) Die Einkommensanrechnung wird auf alle Einkommensarten erweitert. Damit werden bei Hinterbliebenenrenten nun sogar Gewinne aus privaten Veräußerungsgeschäften, Vermögenseinkünfte etc. angerechnet. Die Festschreibung des Freibetrages, die im AVmEG noch geregelt war, wurde zwischenzeitlich wieder aufgehoben und tritt nicht in Kraft.
5) Es wird ein „Ehegattensplitting“ (partnerschaftliches Teilen von Rentenanwartschaften) eingeführt, das Versicherte anstatt der Hinterbliebenenrenten wählen können. Hierbei werden Rentenanwartschaften während der Ehezeit ausgeglichen und bei der eigenen Rente berücksichtigt. Die Entscheidung, ob Ehegattensplitting oder Hinterbliebenenrente gewählt werden soll, ist nur auf Grund einer genauen Einzelfallprüfung (unter Abwägung der Auswirkung bei Waisenrenten sowie der Einkommensanrechnung) zu treffen.
6) In § 87a Abs. 1 und 2 SGB VI wird ein Zuschlag an Entgeltpunkten für Kindererziehung bis zum dritten Lebensjahr geregelt. Dieser Zuschlag erhöht die Hinterbliebenenrente und unterliegt nicht dem gekürzten Zugangsfaktor. Ab dem 1. Januar 2002 wird für das erste Kind ein Zuschlag von ca. 50 Euro, je weiteres Kind ca. 25 Euro gezahlt. Die Hinterbliebenenrente und alle Zuschläge dürfen den Betrag der Versichertenrente des Verstorbenen nicht übersteigen (§ 88a SGB VI). Diese Zuschläge gibt es nicht für Hinterbliebenenrenten nach altem Recht (§ 264b Abs. 2 SGB VI)
Hinzuweisen ist noch auf eine Änderung, die bereits Anfang 2001 geschaffen wurde: Durch das 4. Euroeinführungsgesetz hat der Gesetzgeber wesentliche Vorschriften im Sozialverfahrensrecht geändert und z.B. in § 41 SGB X verfügt, dass Sozialbehörden begangene Verfahrensfehler noch bis zum Ende der zweiten Instanz heilen können. Blieb bisher einem Rentner eine zu hoch errechnete Rente erhalten, wenn die Behörde bis zum Beginn des Klageverfahrens die erforderliche Anhörung zur Korrektur (§ 24 SGB X) nicht ordnungsgemäß vorgenommen hatte, so darf diese nun sogar bis zum Ende der zweiten Instanz jeden Fehler im Sinne des § 41 SGB X „nachbessern“.
Eine wichtige Änderung tritt am 1. Januar 2003 in Kraft: Durch das „Gesetz zur bedarfsorientierten Grundsicherung“ wird eine Leistung im Sinne der Sozialhilfe geregelt, die von den Städten und Gemeinden gezahlt wird, wenn die Rente den Lebensbedarf nicht deckt. Neu ist hierbei, dass von der Behörde unterhaltspflichtige Kinder nicht mehr in Anspruch genommen werden, wenn Eltern wegen geringer Rente solche Leistungen beantragen. Rentenbehörden sind gemäß § 109a SGB VI verpflichtet, beratend tätig zu werden und sogar Anträge auf diese Leistungen entgegenzunehmen.

RA Bernd B. Fabritius

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